Im Laden von Khalid Qaderi sieht es auf den ersten Blick aus wie immer. Die Schaufenster sind voll mit einer bunten Mischung aus Frischwaren, Getränken und allerlei Dekoartikeln. Zwischen den Regalen wuseln einige Kunden hin und her, decken sich mit eingelegtem Gemüse in großen Gläsern und mit dünnen Fladenbroten ein. Dass in Wirklichkeit auch hier, im Steintor-Basar, momentan vieles anders ist als sonst, zeigt der zweite Blick. Etwa anderthalb Meter von der Kasse entfernt hat jemand eine Linie auf den Boden geklebt. Improvisiert sieht das aus, genau wie die aufgehängte Plexiglasscheibe. Dahinter sitzt Khalid Qaderi, eine Hand in Plastik, die andere tippt konzentriert auf dem Smartphone herum.
Khalid Qaderi und seine Frau Shogufa stammen ursprünglich aus Afghanistan. Den Supermarkt im Steintor betreiben sie mit insgesamt fünf weiteren Angestellten. Wenn man Khalid Qaderi fragt, wie sich die Corona-Krise auf sein Geschäft auswirkt, dann verweist er lieber an seine Frau. „Die spricht besseres Deutsch“, sagt er – und reicht das Handy weiter. Shogufa Qaderi ist aktuell zu Hause und betreut die drei Kinder. Sie sagt aber, dass man die Verunsicherung in ihrem Laden merke. „Es waren zuletzt weniger Kunden als noch vor einer Woche da.“
Wichtige Funktion im doppelten Sinne
Menschen wie Khalid und Shogufa Qaderi kommt aktuell eine im doppelten Sinne wichtige Funktion zu. Zum einen gehören sie als Lebensmittelhändler zu jenem kleinen Teil des öffentlichen Lebens, der aktuell noch existent ist. Zum anderen vermitteln sie Informationen an Bekannte, Verwandte und Kunden, von denen viele die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung in der Corona-Krise nicht kennen oder nicht verstehen.
Auch Khalid Qaderi berichtet, dass es gerade bei ausländischen und nicht-deutschsprachigen Mitbürgern häufig Informationsdefizite gebe. Nach der Ansprache der Bundeskanzlerin am vergangenen Sonntag habe er viele Bekannte angerufen, die nicht gut deutsch sprechen, um sie über die neuen Regeln zu informieren. „Ich habe ihnen gesagt, dass sie in der Öffentlichkeit voneinander Abstand halten müssen. Sonst droht eine Geldstrafe. 25.000 Euro, oder?“, fragt Qaderi und lacht.
Im Steintor-Basar interpretiert man die Abstandsregeln unterschiedlich. Während Khalid Qaderi Distanz wahrt, bewegen sich einige Kunden in Kleingruppen dicht nebeneinander. Auch die ein oder andere Plauderei kommt zustande. Andere weichen im großen Bogen aus, den Schal oder die Schutzmaske über das Gesicht gezogen.
Mehrsprachige Schilder im Ladenfenster
Wie gut sie über die aktuellen Regeln informiert sind, will von den Kunden auf Nachfrage kaum jemand beantworten. Am Ladenfenster hängen zwar mehrsprachige Schilder, die über geänderte Öffnungszeiten informieren, aber zum Thema Corona steht dort nichts. Natürlich sei das in persönlichen Gesprächen mit den Kunden immer wieder ein Thema, aber viele Nachfragen habe es nicht gegeben, sagt Qaderi. Aus anderen Bremer Supermärkten, in denen viele Menschen mit Migrationshintergrund einkaufen, berichten Inhaber teilweise andere Eindrücke. Gülay Aksü betreibt zusammen mit ihrem Mann einen kleinen Supermarkt in Osterholz-Tenever. Dort habe es in den vergangenen Tagen mehr Andrang als gewöhnlich gegeben, sagt sie. „Die Kunden fragen sehr viel, sind unsicher, ob der Laden auch nächste Woche noch auf hat“, sagt Aksü. Viele hätten Angst und würden auf Vorrat kaufen. „Vor allem Reis, Mehl und Nudeln“, sagt sie. Ihr Mann und sie würden versuchen, in persönlichen Gesprächen aufzuklären. Aushänge gebe es nicht, allerdings habe auch ihr Geschäft neue Hygienevorschriften erlassen – zum Beispiel sei die Kasse nun mit Plastik abgehängt und die Mitarbeiter würden Handschuhe tragen.
Von einem Zulauf an Kunden berichtet auch Daniel Zwiazek, der in einem Lebensmittelladen für polnische Spezialitäten arbeitet. Probleme, die aktuellen Maßnahmen richtig zu verstehen, habe seine Kundschaft nicht. „Die sind sehr gut informiert, weil Polen ja auch sehr viele ähnliche Maßnahmen, teilweise sogar früher als Deutschland, getroffen hat.“ Ein paar telefonische Nachfragen habe es jedoch gegeben, als vor einigen Tagen die Gastronomie nicht mehr öffnen durfte.
Sprachprobleme verunsichern
Dass Sprachprobleme verunsichern und teilweise sogar zu Paniken führen können, berichtet Hüsnü Özalp. Er leitet den Orient-Markt in der Bahnhofstraße in Osterholz-Scharmbeck. „Viele unserer Kunden verstehen die deutschen Nachrichten nicht richtig“, vermutet Özalp. Und wenn dann in den sozialen Medien Falschmeldungen auftauchen, dass zum Beispiel bekannte Discounter ihre Geschäfte schließen, reagierten die Kunden panisch. „Ich habe einem Freund, der so eine Nachricht gepostet hat, gesagt, dass das nicht stimmt und er solche Nachrichten nicht weiterleiten soll“, berichtet Özalp. Verunsicherte und sogar aggressive Kunden hat auch Vitaly Langolf erlebt, der ein russisches Lebensmittelgeschäft in Kattenturm betreibt. Näheres wolle er dazu nicht sagen.
Von Aggressivität ist im Steintor-Basar nichts zu spüren. Während draußen auf der Straße jeder seines Weges geht, ist die Stimmung im Laden von Khalid Qaderi beinahe ausgelassen. Qaderi scherzt mit den Kunden, räumt auf, geht alltäglichen Aufgaben nach. Auch in der hauseigenen Bäckerei und an der Fleischtheke läuft der Betrieb wie immer. Umgeben von dem Geruch süßer Backwaren hat Khalid Qaderi gegen Nachmittag immer mehr zu tun. Hamsterkäufe macht hier niemand, aber bestimmte Waren sind aktuell schneller ausverkauft. „Kein Mehl mehr?“, fragt ein Kunde. Qaderi muss ihn vertrösten.
Markus Sorber hingegen ist fündig geworden – er hat sich mit Wurst eingedeckt. Viele Veränderungen durch die Corona-Krise habe er im Steintor-Basar nicht wahrgenommen. Auch zu deutschen Supermärkten sehe er keinen großen Unterschied, wenn es um die Einhaltung von Regeln geht. „Ich finde es aber wichtig, dass die Infos auch an Menschen vermittelt werden, die das vielleicht sonst nicht mitbekommen. Zum Beispiel in Flüchtlingsunterkünften.“ Das sieht auch Inhaber Khalid Qaderi so. Bis jedoch alles die offiziellen Wege gegangen sei, wolle er weiter vermitteln, sagt er. Und natürlich weiter seiner Arbeit nachgehen.
Schwierige Verständigung:Dass Sprachprobleme in der Corona-Krise ein reelles Problem sind, berichtet zum Beispiel die Ausländerbehörde im niedersächsischen Landkreis Diepholz. Dort heißt es, die Polizei habe um Unterstützung gebeten, weil sie bei der Kontrolle von Ausländern oftmals auf Unverständnis treffe, wenn es um die aktuelle Corona-Lage gehe. Um möglichst alle Menschen über neue Regelungen informieren zu können, hat die Stadt Twistringen deswegen Übersetzungen der Rede von Angela Merkel weitergeleitet. So soll die Rede, die unter anderem in Arabisch und Türkisch vorliegt, in Flüchtlingsunterkünften verteilt werden.