Die Halle ist 8000 Quadratmeter groß und mit hohen Regalen bestückt. Jede Menge Platz für Bier, Wein und Spirituosen, doch es gibt Lücken, und das ist ungewöhnlich. Auch dass auf dem Hof so viele Lastwagen stehen, kommt normalerweise nicht vor. Sie sind sonst ständig unterwegs, um die Ware zu verteilen. In Bremen und umzu, bis nach Cuxhaven und zunehmend auch nach Hamburg. Beckröge, Bremens Platzhirsch im Getränkegroßhandel, hat expandiert in den vergangenen Jahren, das Geschäft mit den Kneipen, Bars, Restaurants und Hotels lief blendend.
Hinzu kamen Festivals wie das Hurricane in Scheeßel, das Deichbrand in Cuxhaven und die Breminale, die in diesem Jahr das erste Mal von Beckröge mit Getränken beliefert werden sollte. Alles abgesagt, die Lokale geschlossen. Eine Katastrophe für das Gastgewerbe und damit auch für den Großhandel. „Serbisch“, beschreibt Uwe Lammers die Situation, „sehr beschissen.“ Ein Spruch von seinem Opa.
Lammers, zusammen mit Klaus Kreienborg Geschäftsführer bei Beckröge, zeigt das Lager und muss sich dabei zu allem Überdruss, den die Corona-Krise verursacht, nun auch noch über ein Malheur ärgern. Zwei Mitarbeiter packen Kartons um und lassen einen fallen. Schnaps, der kaputt geht, man riecht den Schaden. Kann passieren, aber wenn’s sowieso schon schlecht läuft, ist das doppelt blöd. Den grimmigen Blick vom Chef müssen sich die beiden Männer jetzt gefallen lassen. Sie fluchen zur Entschuldigung, dann ist es gut.
„Wir sitzen in einem Boot“
„Wir sitzen in einem Boot“, sagt Lammers. Er meint das im umfassenden Sinn. Der Umsatz von Beckröge, rund 35 Millionen Euro, kommt zu 95 Prozent aus der Gastronomie. Das Unternehmen hängt am Zapfhahn, könnte man sagen. Doch so profan, als rein geschäftliches Verhältnis, will Lammers das nicht sehen: „In der Gastro geht es nicht um den letzten Euro, da ist viel Vertrauen im Spiel.“
Zu den Kunden gebe es in der Regel persönliche Beziehungen. „Das ist nicht wie beim Supermarkt, wo nur die Paletten ausgetauscht werden. Unsere Fahrer sind anders, die liefern oft bis in die Keller hinein, ohne dass kontrolliert wird.“ Man kennt sich – und hilft sich: „Wir haben Verträge, in denen Mindestabnahmemengen festgeschrieben sind, die setzen wir jetzt natürlich aus.“
Lammers weiß von Eigentümern, die den Betreibern ihrer Lokale die Pacht stunden oder für einen Monat ganz darauf verzichten. Das sei hilfreich und gut, aber eben auch sehr klug, weil dadurch eine ganze andere, viel festere Bindung aufgebaut werde. „Das ist doch überall so im Leben oder sollte so sein: ein Geben und Nehmen.“
Beckröge, das zur Nordmann-Gruppe gehört und mit 20 Prozent auch zum Brauereikonzern Inbev, hat rund 110 Beschäftigte. Die allermeisten sind jetzt in Kurzarbeit; keiner weiß, wie lange noch. In zwei Jahren feiert das Unternehmen seinen 150. Geburtstag, dann soll es längst wieder auf vollen Touren laufen, hofft Lammers. Er glaubt an die Gastronomie: „Die Nähe zum Gast, die Individualität und hohe Sozialkompetenz, das gibt es im Internet nicht, das merken die Leute jetzt.“ Die Kneipe als Kontaktbörse – unverzichtbar, sagt der Geschäftsführer. Sein Lager mit den Getränken, darunter 1000 Fässer Bier, ist heute halb leer, es ist aber auch halb voll. „Wir sind bereit, wenn es wieder losgeht.“
Zu Lammers’ besten Kunden zählt Roland Koch von Gastro Consulting. In Bremen bewirtschaftet das Unternehmen unter anderem das El Mundo, den Chilli-Club und die beiden Paulaner’s. Hinzu kommen Betriebe der gehobenen Gastronomie, die in Hamburg zu Hause sind. „Wir haben 800 Mitarbeiter, 95 Prozent sind in Kurzarbeit“, sagt Koch. Was das für seine Mitarbeiter bedeutet, rechnet er schnell vor: „Eine Servicekraft verdient 1600 Euro netto, davon bleiben jetzt etwas mehr als 1000 Euro. Mit den Zuschlägen für Nachtarbeit und dem Trinkgeld lag das Gehalt tatsächlich aber bei gut 2000 Euro, der Mitarbeiter hat jetzt also die Hälfte weniger.“
„Ein Drittel verschwindet“
Eine üble Lage für die Beschäftigten, nicht minder aber auch für die Unternehmen. „Ich schätze, dass ein Drittel davon nach der Krise verschwunden sein wird“, sagt Koch. Gastronomie sei ein Geschäft mit geringen Margen, wegen des dünnen Polsters müssten jetzt Schulden gemacht werden, um sie erst nach einigen Jahren und auch nur vielleicht wieder los zu sein – „warum sollte man das machen?“. Zumal es sicher nicht so sei, dass nach Öffnung der Lokale gleich wieder ein großer Umsatz erzielt werde. Eher drohe zunächst ein weiteres Minus.
Koch spricht von einer „sehr komplexen Situation“, schwierig, damit umzugehen. Er wünscht sich eine klare Perspektive: Wann und in welchen Schritten dürfen die Betriebe mit den entsprechenden Regeln für Hygiene und Abstand wieder Gäste empfangen? Seiner Einschätzung nach läuft es auf Mitte Mai hinaus, möglicherweise aber auch auf Pfingsten. Bis dahin müsse es ein Rettungspaket geben – staatliche Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden und über das hinausgehen, was bisher an Soforthilfen gezahlt wurde. „Wir sind ja nicht nur Essen und Trinken, wir haben eine gesellschaftliche Relevanz.“ Für einen ganz entscheidenden Schritt, der bereits gegangen wurde, hält er die Herabsetzung der Mehrwertsteuer im Gastgewerbe – „das ist eine Sensation, das macht Mut.“