Herr Lademann, als gebürtiger Bremer und ausgewiesener Einzelhandelsexperte kennen Sie sich aus. Wie beurteilen Sie den Status der Bremer Innenstadt?
Rainer Lademann: In der Gesamtschau ist sie eindeutig zu schwach aufgestellt und kann ins Umland hinein nicht genügend Sogkraft entwickeln. Bei Qualität und Quantität des Einzelhandels liegt Bremen eher gleichauf mit Städten wie Kassel und Braunschweig, diese Städte sind aber um die Hälfte kleiner. Hannover hat in der Innenstadt fast doppelt so viel Handelsfläche wie Bremen.
Selbst das beschauliche Oldenburg reicht mit seinem City-Einzelhandel fast an bremische Dimensionen heran. Größe allein trägt zwar noch nicht, damit verbunden ist in der Regel aber ein spezialisierteres Angebot. Wer etwas Besonderes einkaufen will, findet das nicht in Bremen, sondern in Hannover, und vor allem in Hamburg. Das ist leider so.
Dabei ist Bremen so schön und könnte mit seinen Pfunden wuchern. Einkaufen soll ja ein Erlebnis sein.
Absolut. Bremen hat was zu bieten. Marktplatz, Schnoor, Böttcherstraße, die Wallanlagen, das ist herausragend, einmalig. Leider fehlt eine solche Qualität im Einkaufsbereich.
Ein Boulevard wäre schön, die Obernstraße, dummerweise fährt dort die Straßenbahn.
Über das Thema reden wir seit Jahrzehnten. Die Straßenbahn in die Martinistraße zu verlegen, soll zu teuer sein. Mag sein, dass das stimmt. Ich wäre trotzdem dafür, noch einmal darüber nachzudenken und offen zu sein für alles Mögliche. Nehmen Sie Karlsruhe, dort wird gerade an einer unterirdischen Lösung gebaut.
Was ist mit dem Verkehr insgesamt? Wie sollte heute eine Innenstadt erschlossen sein? Ganz raus mit den Autos und weg mit den Parkhäusern, die Flächen besetzen, die man besser nutzen könnte?
Richtig ist, dass solche Parkmöglichkeiten nicht unbedingt im engsten Herzen der Stadt organisiert sein müssen. Aber machen wir uns nichts vor, der Individualverkehr wird uns noch sehr lange begleiten, schon weil die Menschen nun mal bequem sind und sich vor allem im Alter keine komplizierte Anfahrt zumuten wollen. Der ÖPNV als Alternative würde im Übrigen schnell an seine Kapazitätsgrenzen stoßen. In Bremen sind es an den Wochenenden bis zu 50 Prozent Menschen aus dem Umland, die sich in der Innenstadt aufhalten und dort einkaufen.
Die wollen auch mit dem Auto kommen können oder müssen es gar. Lässt man das nicht mehr zu oder erschwert es, macht das die Einkaufszentren an der Peripherie stark, genauso den Online-Handel. Bedenken wir bitte auch, dass mit einer Umsetzung der vielen City-Projekte die Attraktivität zunimmt. Es sollen also mehr Besucher in die Innenstadt kommen. Insofern kann man die großartigen Projektideen nicht ohne eine leistungsfähige Erschließung auch für das Auto denken.
Sie sprechen den Online-Handel an. Einkaufen im Internet, ein klarer Trend.
Ja, immer noch, wenngleich sich die Zuwachsraten abschwächen. Wir gehen zurzeit von rund zehn Prozent des Gesamteinzelhandels aus, so schwierig das auch zu berechnen ist. Bei Sortimenten wie Bücher, Bekleidung oder Tonträger liegt der Anteil noch einmal deutlich höher, wir schätzen bei bis zu 30 Prozent.
Wie stellt man sich klug darauf ein, wenn, wie in Bremen gerade, die Innenstadt neu geplant wird?
Indem auch der stationäre Handel mehr und mehr digitalisiert wird. WLAN sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Darauf aufbauend können die stärkeren Anbieter den Kunden Software zur Verfügung stellen, die darüber informiert, welche Waren in welchen Geschäften verfügbar sind oder welche Sonderangebote es gibt. Auch beim Neubau von gemanagten Passagen – etwa dem Vorhaben von Kurt Zech – oder Einkaufszentren lassen sich derartige Lösungen realisieren. Ein anderes Beispiel: Heute schon kann man Frequenzen messen, anonymisiert natürlich – vor welchem Angebot bleiben die Kunden länger stehen, was ignorieren sie? Das sind Beispiele, was für Chancen die Digitalisierung für den Handel in der Innenstadt bietet.
Gemeinhin wird sie dort als Bedrohung empfunden.
Das ist sie, natürlich, ein Ergebnis könnte aber auch sein, dass bestimmte Läden wieder zurückkehren oder überhaupt erst einen Standort in der City in Betracht ziehen. Ich sage Ihnen ein Beispiel, ein neues Konzept der Handelskette Dänisches Bettenlager. Vieles wird den Kunden dort mittlerweile virtuell gezeigt, das spart Ladenfläche und schafft die Möglichkeit, Innenstadtstandorte zu belegen, wo die Kundenfrequenz am höchsten ist.
Das gleiche Konzept verfolgt zum Beispiel das französische Sporthaus Decathlon mit seinen neuen City-Filialen in Deutschland. Wer weiß, vielleicht sehen wir dieses Unternehmen bald auch in der Bremer Innenstadt. So eine Entwicklung kann mindestens zum Teil kompensieren, was durch den Online-Handel an Umsatz verloren geht.
Sie kennen die Pläne von Kurt Zech, Christian Jacobs und anderen für die Bremer City – worauf kommt es jetzt an?
Den Schwung zu nutzen, unbedingt. Man muss dabei aber vorsichtig sein und nicht zu viel auf einmal wollen. Das ist insgesamt gesehen ja eine ganze Kaskade von Projekten: Karstadt, Parkhaus Mitte, Kaufhof, der Lloydhof, das Bremer Carree und einiges noch dazwischen, dazu das große Sparkassen-Areal am Brill. Es geht ums Bauen, am Ende aber auch ums Vermieten. Geht alles auf einmal an den Markt, könnte die Nachfrage stocken und Dynamik verloren gehen. Wichtig ist, die Schlüsselprojekte zuerst zu realisieren, das schafft Planungs- und Investitionssicherheit für die mittelgroßen und kleineren Projekte.
Das Interview führte Jürgen Hinrichs.
Zur Person:
Rainer Lademann berät Unternehmen und Kommunen bei Standortfragen im Einzelhandel. Der 64-Jährige arbeitet außerdem als Honorarprofessor am Institut für Marketing und Handel der Universität Göttingen.