Der Richter glaubt die Geschichte des Polizisten. Doch, doch – was dieser als Zeuge vor dem Amtsgericht über die Verfolgungsjagd durch Werder-Ultras berichtete, habe schon authentisch geklungen. Wie er alleine ohne seine Kollegen im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Rücken zur Wand einer Gruppe aus etwa 15 aufgebrachten Ultras gegenübergestanden und in seiner Not die Waffe gezogen habe. Doch ob es tatsächlich der 25-jährige Angeklagte war, der dabei als Rädelsführer auftrat, habe man nicht aufklären können. Es spräche zwar Einiges dafür, aber es blieben „vernünftige Restzweifel“. Deshalb die Entscheidung zugunsten des Angeklagten: Freispruch.
Nach dem Heimspiel von Werder Bremen gegen die TSG Hoffenheim im Dezember 2018 war der Polizist, der als szenekundiger Beamter den Fanmarsch nach dem Spiel in zivil begleitete, mit einem Döner beworfen wurde. Als er dem Werfer hinterherrannte, bemerkte der Polizist, dass er selbst von einer johlenden Gruppe Ultras verfolgt wurde. Als er in der Straße Am Dobben seine eigene Jagd aufgab und stehen blieb, habe die Gruppe einen bedrohlichen Halbkreis um ihn gebildet, erzählte der Polizist. Vorneweg der Angeklagte, der mehrfach versucht habe, die anderen aufzuwiegeln. „Der Hund ist alleine“, habe er gebrüllt und kurz darauf, als der Beamte seine Dienstpistole gezogen hatte: „Die Fotze hat die Waffe gezogen“.
Er habe den Mann eindeutig identifiziert, sagte der Polizist beim Prozessauftakt vor einer Woche aus. Schließlich kenne er ihn schon von diversen anderen Gelegenheiten. Der 25-Jährige, angeklagt wegen Landfriedensbruch, Widerstand und Beleidigung, bestritt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, hüllte sich ansonsten aber in Schweigen.
Misslich fürs Gericht, denn außer dem Polizisten gab es niemanden, der den Angeklagten an diesem Abend gesehen hatte. Die Aussagen des Opfers seien zwar glaubhaft, konstatierte der Richter am Mittwoch in seiner Urteilsbegründung. Andererseits sei bei ihm schon ein gewisses Verfolgungsinteresse zu spüren gewesen. Zudem habe er sich in einer extremen Stresssituation befunden, voller Angst, ins Koma geprügelt zu werden. „Und das muss dann dazu führen, dass man seine Identifizierungsleistung kritisch hinterfragt“, betonte der Richter.
Döner-Werfer nicht „zweifelsfrei“ identifiziert
Das hatte zuvor schon die Anwältin des Angeklagten mit dem Hinweis getan, dass der Polizist nach eigener Aussage auch schon den Döner-Werfer „zweifelsfrei“ identifiziert haben wollte. Wohl ein Fehler, wie sich später herausstellte, das Verfahren gegen diesen Mann wurde eingestellt.
Letztlich entscheidend sollte aber eine andere Zeugenaussage werden – die des Polizisten, der damals im Team zusammen mit dem späteren Opfer unterwegs war. Der fehlte vergangene Woche krankheitsbedingt als Zeuge und wurde nun am zweiten Prozesstag gehört. Zwar bestätigte er den Dönerwurf und die Verfolgungsjagd, machte hierzu aber mehrfach Angaben, die im Widerspruch zu der Aussage seines Kollegen standen. Darüber hinaus wartete er zur Überraschung von Richter und Staatsanwalt im Gerichtssaal mit Details auf, die er in einem unmittelbar nach der Tat verfassten schriftlichen Vermerk nicht erwähnt hatte. Und auch die standen im Widerspruch zu den Aussagen seines Kollegen.
Wasser auf den Mühlen der Verteidigerin, die schon zuvor Diskrepanzen in der Aussage des Opfers zum zeitlichen und räumlichen Ablauf des Geschehens ausgemacht hatte. Aber auch der Staatsanwalt schwenkte an dieser Stelle um. „Es bleiben zu viele Restzweifel für eine Verurteilung“, fasste der Anklagevertreter die widersprüchlichen Zeugenaussagen zusammen und plädierte auf Freispruch. Die Verteidigerin schloss sich dem wenig überraschend an, und so sah es letztlich auch der Richter: „Richtig schlüssig ist die Geschichte nicht, irgendwie passt sie nicht.“