Über kein Thema wurde im Wahlkampf zur Bundestagswahl intensiver gesprochen als den Umgang mit Migranten und Migrantinnen. Sie sind aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland gekommen. Aber wie fühlen sie sich nach den Wahlerfolgen der AfD? Wie empfinden sie die Stimmung in Bremen? Der WESER-KURIER hat mit einigen Menschen über ihre Gefühle, Sorgen und Ängste gesprochen – und ihre Hoffnungen.
Ozioma Arinze, 47 Jahre, kam 2001 aus Nigeria
„Ich bin vor 24 Jahren meinem Mann gefolgt, der schon in Bremen lebte und arbeitete. Ich hatte einen Studienabschluss in Mikrobiologie, aber ohne Deutschkenntnisse konnte ich damit hier nichts anfangen. Weil ich gerne im medizinischen Bereich bleiben wollte, habe ich eine dreijährige Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin absolviert und arbeite seit Jahren in der Altenpflege. Als ich hierherkam, gab es noch nicht viele Menschen afrikanischer Herkunft, da fiel ich schon sehr auf. In den ersten fünf Jahren habe ich mich jede Nacht vor Heimweh in den Schlaf geweint. Doch das hat sich geändert, mein Leben findet hier statt, hier ist meine Familie, hier sind meine Freunde. Meine Kolleginnen und Patienten mögen mich so, wie ich bin.
Was mich am meisten an den Wahlen erschreckt hat: die Tatsache, dass so viele junge Leute die AfD gewählt haben. Bei den Älteren kann ich es noch eher nachvollziehen, sie sind Menschen aus anderen Ländern nicht so gewohnt, aber die Jungen? Wir sind doch miteinander aufgewachsen! Was ist da schiefgelaufen? Wenn es hart auf hart käme, könnte ich nach Nigeria zurückkehren, obwohl ich mich dort längst nicht mehr zu Hause fühle. Unser ältester Sohn studiert Elektro- und Informationstechnik, der zweite macht eine Ausbildung zum IT-Systemelektroniker, der dritte möchte ein duales Studium im sozialen Bereich beginnen. Sie haben überhaupt keinen Bezug zu Nigeria, könnten dort nicht leben. Bremen ist ihre Heimat, sie kennen keine andere.“

Juan Trujillo kam aus den USA nach Bremen.
Juan Trujillo, 53 Jahre, US-Amerikaner, seit 2003 in Bremen
„Einmal ging ich durch ein Geschäft und merkte, dass ich ständig verfolgt wurde. Die Verkäuferinnen hatten wohl den Verdacht, dass ich etwas klauen wollte. Ich drehte mich um und sagte: Entschuldigung, mein Deutsch ist noch nicht so gut, ich komme aus den USA. Sofort waren alle ganz anders, sehr freundlich. Vor 20 Jahren bin ich aus Liebe zu meinem Partner nach Bremen gezogen und arbeite hier als Fotograf und Grafiker. Schwulenfeindlichkeit habe ich noch nicht erlebt, Rassismus und Diskriminierung aber schon. Ich bin in den Staaten geboren und aufgewachsen, meine Eltern stammen aber aus Puerto Rico. Hier wird mein Aussehen aber oft als arabisch interpretiert, und das schürt Misstrauen.
Als ich nach Deutschland kam, wunderte ich mich, dass nirgendwo eine deutsche Flagge zu sehen war. Die Stars and Stripes sieht man in den USA schließlich an fast jedem Haus. Als ich bei der Weltmeisterschaft 2006 die schöne Stimmung im Land erlebte, habe ich fast geweint vor Freude. Damals dachte ich: Es wird Zeit, dass sich die Deutschen nicht länger für die Vergangenheit entschuldigen müssen, sie haben gelernt aus ihrer Geschichte. Mittlerweile bin ich anderer Meinung. Viele junge Menschen können mit dem Begriff Holocaust gar nichts mehr anfangen. Ich finde, in den Schulen müsste zu diesem Thema unbedingt viel mehr getan werden.“

Kimia Khosroshahroody hat in Teheran studiert.
Kimia Khosroshahroody, 35 Jahre, kam 2017 aus dem Iran
„In Bremen habe ich persönlich nie Diskriminierung erlebt oder schlechte Erfahrungen gemacht, die Stadt ist offen und multikulturell. Unsere Länder sind verfeindet, aber meine beste Freundin stammt aus dem Irak. Momentan habe ich aber, ehrlich gesagt, Angst. Ich habe zwar einen deutschen Pass, aber ich sehe anders aus, spreche die Sprache noch nicht perfekt, werde als Ausländerin wahrgenommen. Man weiß ja nie, was passiert.
Bevor ich mit meinen Eltern nach Deutschland kam, hatte ich in Teheran Kunst- und Kulturmanagement studiert. Es war nicht einfach, hier völlig neu anzufangen, die Sprache zu lernen, mir selbst und anderen zu beweisen, dass ich etwas kann. Ich habe anfangs eine Zeit lang im Bremer Geschichtenhaus gearbeitet, bevor ich vor fünf Jahren die Stelle als Kulturpädagogin im Kulturladen Huchting bekam – ein Traumjob. Hier lerne ich jeden Tag Neues von den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Mein größter Wunsch ist natürlich Frieden auf der ganzen Welt. Und dass alle Menschen so akzeptiert und respektiert werden, wie sie sind.“

Suha Shamu hat anfangs als Näherin gearbeitet.
Suha Shamu, 55 Jahre, floh 2000 aus dem Irak
„Das Erste, was ich sofort spürte, als ich in Deutschland ankam, war dieses Gefühl der Sicherheit. Wir kamen hierher, damit unsere Kinder frei und ohne Angst leben können. Anfangs dachte ich, alle schauen mich an, weil ich anders aussehe, habe mir sogar eine Zeit lang die Haare blond gefärbt, aber das stand mir überhaupt nicht. Das war ich nicht. Den Kindern sagte ich immer: Seid lieb, seid ruhig, sonst denken die Deutschen: So sind die Ausländer halt. Gearbeitet habe ich immer, anfangs als Näherin, später im Einzelhandel, eine Zeit lang führten mein Mann und ich ein kleines Lebensmittelgeschäft. Ich habe Deutschkurse besucht, den Einbürgerungstest mit null Fehlern bestanden, ich habe so gekämpft, um alles gut zu machen. Sogar Fahrradfahren habe ich hier gelernt. Im Irak wäre das unvorstellbar. Es war ein großes Glück, als ich das Angebot bekam, im Kulturladen Huchting kreative und handwerkliche Projekte anzubieten.
Einmal wurde ich im Bus von einer Frau beschimpft. „Scheiß-Ausländerin“, rief sie, „Ihr sollt raus!“ Ich war so schockiert, dass ich kaum atmen konnte. Aber dann verstand ich, dass die Frau psychisch krank war. Normale Menschen tun so etwas nicht. Ich habe größte Angst vor einem Krieg. Jeden Tag bete ich: Lieber Gott, mach, dass das nicht passiert. Glaubt mir: Krieg ist das Schlimmste auf der ganzen Welt.“

Marc Heesch-Abu wurde in Clubs abgewiesen.
Marc Heesh-Abu, 40 Jahre, Bremer mit nigerianischen Wurzeln
„Meine Mutter ist Bremerin, mein Vater stammt aus Nigeria. Ich selbst bin in Vegesack geboren und aufgewachsen. Dennoch werde ich nicht als Deutscher gelesen. Das begleitet und belastet mich mein Leben lang. Schon als Kind habe ich definitiv erfahren, was Diskriminierung ist. Wenn ich als Jugendlicher in den Club wollte, wurde ich bestimmt jedes dritte Mal von den Türstehern abgewiesen. Nach den Wahlen hatte ich irgendwie das Gefühl, dass mir manche Leute nicht mehr in die Augen schauen. Ich kann gar nicht mit Sicherheit sagen, ob die Feindseligkeit gestiegen ist oder ob ich sie nur feinfühliger wahrnehme.
Auf jeden Fall ist das Gefühl des Unwohlseins gewachsen, und die Befürchtung, dass es nicht besser wird. Ich kann sehr wohl die Angst verstehen, die die Terroranschläge der letzten Monate auslösen. Aber man kann doch nicht unschuldige Menschen dafür verantwortlich machen, was einzelne Täter getan haben. Ich würde mir wünschen, dass die Leute weniger generalisieren und andere in Schubladen stecken. Trotzdem will ich mir die Hoffnung nicht nehmen lassen, dass die Menschlichkeit in der Gesellschaft und in der Politik siegt.“

Günter Tuncel ist Trainer der SV Hemelingen.
Günter Tuncel, 36 Jahre, Trainer SV Hemelingen
"Der Wahlerfolg der AfD ist für viele Migranten ein Problem, weil sie sich allein aufgrund der Rhetorik diskriminiert fühlen. Diese Partei fällt Pauschalurteile über alle Menschen, die nicht deutsch sind. So entsteht ein Klima der Angst und Unsicherheit, und das kann zu einer Spaltung der Gesellschaft führen. Ich weiß das auch deshalb, weil ich in einem Übergangswohnheim in Arbergen und in einem Jugendhaus in Hemelingen arbeite. Dort fragen sich viele: Bin ich noch Teil dieser Gesellschaft? Das alles ist besorgniserregend. Man darf aber nicht vergessen, dass auch viele Migranten die AfD unterstützen, weil sie unzufrieden mit der aktuellen Politik sind. Das ist eigentlich noch besorgniserregender.
Dabei leben wir in einem Land, das jeden Tag auf vielfältige Weise zeigt, wie gut die Integration in ganz vielen Lebensbereichen funktioniert. Das erlebe ich unter anderem täglich in unserem Verein, dem SV Hemelingen. Im Sport interessiert es doch erst einmal niemanden, welche Hautfarbe jemand hat oder aus welcher Kultur jemand stammt. Es gibt diese integrative Kraft in Deutschland, und ich halte sie für viel stärker als alle Versuche der Diskriminierung."

Elif Zengin ist Dramaturgin am Theater Bremen.
Elif Zengin, 30 Jahre, hat türkische Wurzeln und arbeitet am Theater Bremen
„Meine Erwartungen und Hoffnungen sind klar, genauso wie meine Enttäuschungen, die durch das Wahlergebnis entstanden sind. Sie sind eigentlich nicht am Sonntag entstanden, sie wurden mir nur noch einmal klar vor die Augen geführt – in Zahlen, in Farben, in Balken. Ich spüre meine Frustration, meine Wut, meine Angst sowie meine unstillbare Hoffnung und Stärke – ich sehe mich aber nicht länger in Deutschland.“

Der Bariton Elias Gyungseok Han ist Sänger am Theater Bremen.
Elias Gyungseok Han, 42 Jahre, stammt aus Korea und arbeitet am Theater Bremen
„Deutschland baut, gewollt oder ungewollt, nicht nur zwischen Ost und West, sondern überall erneut unsichtbare Mauern. Während ich das beobachte, frage ich mich zunehmend, ob ich in naher Zukunft überhaupt noch als Teil dieser Gesellschaft in Deutschland leben darf – und ob ich es überhaupt noch möchte.“