Das Leben ist leicht, solange es einem nicht zu nahe kommt. Wenn doch, sehen die Dinge plötzlich anders aus. Dann kommt die eigene Meinung ins Straucheln.
Meine Meinung ist: Syrer, die in Deutschland auf Kosten der Allgemeinheit leben, weil sie Schutz brauchen, sollten in ihre Heimat zurückkehren, wenn sie diesen Schutz nicht mehr benötigen, weil ihre Heimat wieder sicherer geworden ist. Klar, die Diskussionen um die Rückkehr brachen vorschnell aus. Nur weil ein Diktator gestürzt ist, heißt das noch lange nicht, dass nicht der nächste menschenunterdrückende Machthaber schon durch die Tür kommt.
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Ob ein Islamist Syrien den Frieden bringt? Skepsis ist die Mutter der Euphoriekiste. Frieden, das wäre ja schön. Aber für vorschnellen Jubel ist es zu früh in einem noch immer chaotischen Land. Da lassen sich nicht mal eben sichere Verhältnisse herstellen, als wäre kaum was dabei. Und so ist jetzt nicht die Zeit, die große Rückführung zu starten.
Doch der Gedanke ist so erlaubt, wie das Ziel an sich richtig ist. Im Konjunktiv formuliert: Wenn es wieder Sicherheit in Syrien gäbe, dann bräuchte es die Syrer zurück in ihrer Heimat und dann wäre es für Deutschland an der Zeit, die Hilfe nicht zu beenden, aber abzubauen. Schlicht, weil sie nicht mehr gebraucht würde und die eigenen Probleme ja auch nicht gerade klein sind.
Und dann sitzt da plötzlich Mohammed. Er steuert ein Taxi durch Bremen und ich bin eingestiegen. Er ist vor sieben Jahren vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland geflohen. Auf die Frage, ob er denn nun wieder nach Syrien zurückkehren werde, zögert er bis zur nächsten Kreuzung und noch eine halbe Rotphase lang.
Dann kommt der Moment, der mir und meiner Meinung das Leben so nahe bringt, dass es eng wird für das, was ich so leicht dahermeine. „Heimat bleibt Heimat“, sagt er ohne viel Akzent, und fragt: „Wer will da schon nicht wieder hin?“ – „Nur“, sagt er dann, und zieht sein Handy aus der Tasche, „das war mal mein Haus“. Er zeigt auf ein Bild auf dem mehr Einschusslöcher als Mauern zu sehen sind. Drum herum stehen Skelette von Gebäuden, eine Trümmerlandschaft. „Was ist Heimat, wenn dein Haus zerbombt ist?“, fragt er. Und was soll man schon antworten, wenn einer sagt, dass sein Haus zerbombt wurde? Mir fällt keine andere Antwort ein, als zu schweigen.
Mohammed erzählt von seinen Kindern. Der jüngste Sohn wurde in Deutschland geboren. „Der kennt Syrien ja gar nicht. Für den ist das keine Heimat, verstehst du?“ Ja, das tue ich. Das Leben fühlt sich plötzlich überaus nah an. Mohammeds Tochter sei schon in der Oberstufe, bald mache sie ihr Abitur. „Die will hier in Deutschland bleiben und studieren, die bekomme ich niemals nach Syrien – die will das nicht“, sagt der Vater und hebt die Arme für einen Moment vom Lenkrad weg in die Luft. Ich schweige noch immer.
Und dann erzählt Mohammed noch, dass er in Deutschland immer gearbeitet habe. In einem Sicherheitsdienst, in einer Küche, nun als Taxifahrer. Eigentlich lohne sich das gar nicht, denn ohne seine nicht üppig bezahlte Arbeit würde er auch nicht viel weniger Geld haben, rechnet er vor. Andere sitzen zu Hause und bekommen fast das Gleiche, sagt Mohammed.
Was Mohammed wirklich frustriert
Viele seiner Nachbarn würden es ganz offen sagen: Warum den ganzen Tag arbeiten, wenn der Staat doch fast genauso viel zahlt? Mohammed will arbeiten, er muss, um Mensch zu bleiben, sagt er. Der Syrer hat den Eindruck, dass Deutschland es nicht richtig macht, wenn das Land Leuten ein arbeitsloses Leben ohne große Abstriche ermögliche. Wer es nicht freiwillig tue, brauche Druck statt jeden Monat verlässlich Geld aufs Konto. Ihn motiviere es nicht gerade, dass andere nichts tun und es auch nicht schlechter hätten als er, der stundenlang durch die Straßen der Stadt hetzt. So sieht Mohammed das. Ein Syrer spricht aus, was oft als rechter Populismus abgetan wird.
Was meine ich noch nach dieser Fahrt von kaum vier Kilometern? Darüber muss ich jetzt erst noch mal nachdenken. Das Leben wird nicht leichter, wenn es sich einem nähert. Aber es wird größer.