Blumenthal. Die eigenmächtige Benennung von zwei Grünwegen durch eine Gruppe von Bürgern sorgt in Blumenthal für Aufruhr. Der Beirat Blumenthal fordert, dass die Gruppe um den Blumenthaler Gerd-Rolf Rosenberger die Schilder mit den Namen der von den Nazis ermordeten kommunistischen Widerstandkämpfer Leo Drabent und Hans Neumann wieder abbaut. Begründung: Mal eben so ein Straßenschild aufstellen, das verstoße gegen Recht und Ordnung im Lande.
Ob und wie ein Name auf ein Schild kommt, ist in Bremen klar geregelt. „Die Beiräte haben das Vorschlagsrecht“, sagt Martin Stellmann vom Amt für Straßen und Verkehr (ASV). Dabei können die Kommunalpolitiker Anregungen von Bürgern aufgreifen. Die Behörde gebe den Vorschlag der Beiräte zur fachlichen Prüfung weiter an das Staatsarchiv. Spricht aus Sicht der Mitarbeiter dort nichts gegen den geplanten Namen, geht der Vorschlag weiter in die Baudeputation. Das letzte Wort hat der Senat. Stimmt er zu, schreitet das ASV laut Stellmann zur Tat: „Wir lassen die Schilder fertigen und montieren.“
Das Staatsarchiv als beratende Prüfinstanz nimmt jeden Vorschlag unter die Lupe. Die Mitarbeiter werfen einen kritischen Blick auf die Begründung für den Namensvorschlag. „Wir stellen fest, ob die dargelegten Gründe den Tatsachen entsprechen und ob sie belegbar sind“, sagt Archivleiter Konrad Elmshäuser. Nicht immer stellt sich nach den Erfahrungen des Historikers ein Sachverhalt so dar, wie er von den Antragstellern geschildert wird. Seine Mitarbeiter hätten bei der Überprüfung schon erstaunliche Überraschungen erlebt.
„Unsere eigentliche Aufgabe besteht aber darin, zu prüfen, ob es Gründe gibt, die gegen einen Namensvorschlag sprechen“, betont Elmshäuser. Soll eine Straße oder ein Weg nach einer Person der Zeitgeschichte benannt werden, richtet sich das Augenmerk der Historiker meist auf eines: „Wir prüfen, ob es Verstrickungen in der Zeit der NS-Herrschaft gab.“ Eine Nazi-Vergangenheit ist laut Elmshäuser indes „kein grundsätzliches Ausschlusskriterium“. Dass jemand in der NS-Zeit beispielsweise Mitglied in der NSDAP war, schließe ihn als Namensgeber für eine Straße nicht automatisch aus.
Die Historiker schauen genauer hin. War der Betreffende überzeugter Anhänger oder Mitläufer? „Eine frühe und lange Parteimitgliedschaft lässt darauf schließen, dass eine Person nicht unter dem Druck der Ereignisse eingetreten war.“ Hatte der potenzielle Namensgeber Parteiämter in der NSDAP inne oder sich öffentlich zum NS-System bekannt? Auch darauf klopfen die Fachleute im Staatsarchiv eine Biografie ab. Unterlagen aus dem Entnazifizierungsverfahren werden zur Beurteilung hinzugezogen.
Kritischer Blick der Historiker
Elmshäuser und sein Team verlassen sich nicht blind auf das, was auf dem Papier steht. „Unterlagen können unvollständig sein, 'Persilscheine' oder auch falsch belastende Aussagen enthalten. Da muss man mit dem Gespür des Historikers herangehen“, so der Archivleiter. „Eine große Rolle bei der Beurteilung spielt, welche Tätigkeit der Betreffende in der NS-Zeit ausübte. Bei Personen, die im erzieherischen oder kulturellen Bereich wirkten, wird man kritischer hinschauen als bei einem Techniker oder Forscher.“ Michael Fischer war weder Pädagoge noch Techniker. Er war Architekt, leitete von 1910 bis zur Eingemeindung 1939 das Blumenthaler Bauamt, wurde 1942 Baurat – und er war Mitglied in der NSDAP. Als Gemeindebaumeister plante Fischer unter anderem den Blumenthaler Wasserturm, der 1927/28 erbaut wurde. Der Platz vor dem Turm soll nun nach ihm benannt werden, so will es der Ortsbeirat.
Bereits im Oktober 2016 folgte er dem Antrag eines Bürgers, die Anlage „Baurat-Fischer-Platz“ zu nennen. Der Vorschlag stammt vom Blumenthaler Walter Schörling. Der hat ein Buch über Fischer und sein Wirken als Baumeister in Blumenthal geschrieben. „Fischer ist von 1935 bis 1945 Mitglied der NSDAP gewesen“, haben seine Recherchen ergeben. Von 1933 bis 1935 habe er auch einem Reservesturm der SA angehört.
Der braune Fleck auf der Weste hat Schörling und den Blumenthaler Beirat nicht davon abgehalten, den Namen des ehemaligen Baurates Fischer für den Platz vor dem Wasserturm vorzuschlagen. Nach Schörlings Recherchen „war er kein überzeugter Nazi und hat sich auch nicht öffentlich zur Weltanschauung des NS-Regimes bekannt“. Vielmehr sei Fischer unter Druck gesetzt worden, der Partei beizutreten. Im Entnazifizierungsverfahren sei er als Mitläufer eingestuft worden.
Mit der Namensgebung für den Platz wollen Schörling und der Beirat die Verdienste des Architekten vor 1933 würdigen. Heute noch stehende Bauten wie der Wasserturm, das Gebäudeensemble der Feuerwache und der ehemaligen Schule am Schillerplatz mit den Siedlungshäusern rund um den Platz sind nach Plänen Fischers gebaut worden. „Als Gemeindebaumeister hat er Blumenthal wesentlich mitgeprägt“, sagt Ortsamtsleiter Peter Nowack.
Noch ist der Platz vor dem Wasserturm namenlos. Der Beirat hat die Benennung an eine Umgestaltung geknüpft. 120 000 Euro wurden laut Ortsamtsleiter Peter Nowack für den Haushalt 2018 beantragt, dort steht das Geld indes nicht bereit. Deshalb liegt die Namensgebung erst mal auf Eis. „Erst wenn die Mittel zur Verfügung stehen und eine abgestimmte Planung vorliegt, wird das Verfahren angeschoben“, sagt ASV-Vertreter Stellmann.
Für Staatsarchiv-Leiter Konrad Elmshäuser zeigt die nicht selten mit großer Intensität geführte Debatte um Straßennamen, wie sensibilisiert und kritisch die Öffentlichkeit heute mit der NS-Vergangenheit umgeht. Bundesweit gebe es einen Trend, Straßen nach Verfolgten oder Widerständlern zu benennen. Leo Drabent und Hans Neumann waren kommunistische Widerstandskämpfer, die von den Nazis ermordet wurden.
Beim Streit um die Schilder, die ihre Namen tragen, geht es denn auch nicht um die Personen, sondern um juristische Korrektheit. „Der Beirat würde die Namensgebung akzeptieren, dafür gäbe es eine deutliche Mehrheit“, meint der Ortsamtsleiter. Dafür müssten die widerrechtlich errichteten Schilder aber erst weg. Nowack hat den Bürgern eine Frist gesetzt: „Zwischen dem 5. und 9. Februar müssen die Schilder abgebaut werden. Geschieht das nicht, wird der Beirat den Antrag für die Benennung der Wege in seiner Sitzung am 12. Februar nur kurz aufrufen und dann ohne weitere Diskussion ablehnen.“