Überseestadt. In der Überseestadt wurde am Dienstagnachmittag der Grundstein für einen Traum gelegt. Auf einem fast 7800 Quadratmeter großen Grundstück am Kommodore-Johnsen-Boulevard wird das Blauhaus entstehen – ein Ort, an dem Inklusion gelebt werden kann. Elf Jahre lang hatte der Verein „Blaue Karawane“ davon geträumt. Dementsprechend groß war die Freude: Bei all den vielen Grundsteinlegungen, an denen er in seiner Amtszeit teilnahm, habe er noch nie einen solch schönen und fröhlichen Empfang erlebt, schwärmte Bausenator Joachim Lohse. Bürgermeister Carsten Sieling gratulierte allen Beteiligten zu dem deutschlandweit einmaligen Projekt. Es trage dazu bei, so der Bürgermeister, dass „eine wachsende Stadt menschlich bleibt.“
Das Blauhaus wird vom Bremer Wohnungsunternehmen Gewoba gebaut. Es sind eigentlich zwei fünfgeschossige Wohngebäude und ein eingeschossiges Quartierszentrum, die einen großen grünen Gartenhof umrahmen. Voraussichtlich Ende 2019 werden dort rund 170 Menschen wohnen können. Die 84 barrierefreien Wohneinheiten unterscheiden sich nicht wesentlich davon, was die Gewoba an anderen Orten der Stadt baut, erklärte Projektleiter Johann Christian Plagemann: Die Wohnungsgrößen rangieren von „Mikro-Apartments“ mit knapp 30 Quadratmetern bis zu Fünf-Zimmer-Wohnungen mit fast 100 Quadratmetern. Einige davon sind rollstuhlgerecht konzipiert. 50 Wohnungen sind öffentlich gefördert, die übrigen werden frei vermietet. Das wirklich Besondere an diesem 21-Millionen-Euro-Bauvorhaben, so der Architekt: „Normalerweise kennen wir die Menschen vorher nicht, die in unsere Häuser ziehen. Doch dieses Haus wurde mit seinen Bewohnern geplant.“
Es werde, so erklärt die „Blaue Karawane“ in ihrer Projektbeschreibung, eine Nachbarschaft von Behinderten, Nichtbehinderten, Älteren, Jüngeren, Ärmeren und Wohlhabenderen sein, die gleichberechtigt, auf Augenhöhe, und so selbstständig wie möglich im Blauhaus leben können. Im Erdgeschoss von „Haus Süd“ wird eine inklusive Tagesstätte für 60 Kinder im Alter von zwölf Monaten bis sechs Jahren einziehen. Das Kinderhaus Blau wird die vierte Einrichtung in Trägerschaft des Vereins Quirl Kinderhäuser. Der Martinsclub wird zwei betreute Wohngemeinschaften eröffnen. Geplant ist laut Plagemann außerdem eine Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz. Im Quartierszentrum „Blaue Manege“ werden Werkstätten und Ateliers eingerichtet. Veranstaltungsräume und der gemeinschaftlich genutzte Innenhof sollen Orte der nachbarschaftlichen Begegnung und der Gastfreundschaft werden. Mit dem Blauhaus entstehe eine Wohnanlage, die den Inklusionsgedanken konsequent verwirkliche, erklärte der Gewoba-Vorstandsvorsitzende Peter Stubbe. Es sei gebaut für Menschen, denen es aus verschiedenen Gründen schwerfalle, auf dem normalen Wohnungsmarkt fündig zu werden. Stubbe schloss seine Rede mit den Worten: „Willkommen in der Mitte der Gesellschaft!“ Wie besonders dieses Haus ist, konnte Lars Gerhardt aus dem Vorstand des Vereins „Inklusive Wohngemeinschaft Bremen“ schildern: Vier Jahre lang hatten Eltern von Kindern mit Beeinträchtigung in der Stadt nach einem Ort gesucht, um eine solche WG zu gründen. „Man kann sich gar nicht vorstellen, wie kompliziert das ist“, erklärte Gerhardt. Im Blauhaus werden sich bald acht junge Menschen eine Wohnung teilen – vier davon mit Behinderung. Die Übrigen werden laut Gerhardt Studierende sein, die bereit sind, ehrenamtliche Unterstützungsdienste zu übernehmen, und dafür in der WG günstig wohnen können.
Glück, Stolz und Dankbarkeit waren die Gefühle, die Schirmherrin Luise Scherf mit dem Tag der Grundsteinlegung verband. Von einem „Glückstag“ sprach auch Klaus Pramann, der den größten Applaus aller Festredner bekam. Der Psychiater und Initiator der „Blauen Karawane“ – für Luise Scherf „Kopf und Herz“ des Projekts – dankte dafür allen Wegbegleitern, darunter auch Bauunternehmer Klaus Hübotter und Arnold Knigge, Sprecher der freien Wohlfahrtsverbände. „Seit über 30 Jahren bewegt uns die Idee, etwas gegen die Ausgrenzung von Menschen zu unternehmen“, sagte Pramann. Das Blauhaus verwirkliche den Grundgedanken „Wir gehören alle zusammen“.
Die blaue Zeitkapsel, die feierlich einbetoniert wurde, war besonders groß und schwer. In ihr mussten schließlich viele Erinnerungen an eine bewegte Geschichte verwahrt werden: zum Beispiel ein Miniaturmodell des „Wüstennarrenschiffs“. Das blaue Kamel, Wahrzeichen der Blauen Karawane, war im zwölf Meter langen und knapp fünfeinhalb Meter hohen Original bei der Grundsteinlegung dabei. Eine kleine Ausstellung im Festzeit illustrierte die Chronik des Blauhauses in historischen Fotos und Zeitungsausschnitten. Sie geht zurück auf die Zeiten der Klinik Kloster Blankenburg. Seit Ende des 18. Jahrhunderts war das ehemalige Dominikanerinnenkloster am Stadtrand von Oldenburg als „Bewahr- und Pflegeanstalt“ genutzt worden. Ab den 1950er-Jahren brachte die Stadt Bremen dort psychisch kranke, geistig behinderte und suchtkranke Menschen unter – oft für den Rest ihres Lebens.
Von 1980 an löste Bremen im Rahmen der Psychiatriereform die Anstalt mit damals 300 Patienten schrittweise auf, 1988 wurde sie endgültig geschlossen. 1985 zog erstmals die „Blaue Karawane“ als Gemeinschaft von Patienten, Klinikmitarbeitern, Künstlern und Bürgern von Triest durch Deutschlands Anstalten, um die Abkehr von der Zwangspsychiatrie zu fordern. 1987 wurde das „Café Blau“ an der Travemünder Straße 7 eröffnet. Mitte 2003 fand die „Blaue Karawanserei“ eine Heimat im Speicher XI der Überseestadt.
Weitere Informationen
Ausführliche Informationen über den Verein, seine Aktivitäten und Ziele, finden sich über die Internetadresse https://blauekarawane.de.