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Helmut Scherbeitz über die Sicherung der Ärzteversorgung in der Wesermarsch „Wir bekommen ein massives Problem“

Herr Scherbeitz, die Kassenärztliche Vereinigung hat die Aufgabe, eine ausreichende, qualifizierte und flächendeckende Ärzteversorgung sicherzustellen. Wie gut oder schlecht gelingt Ihnen das in der Wesermarsch?Helmut Scherbeitz: Wir müssen uns aktiv bemühen, um zusätzliche Ärzte, vor allem Hausärzte für die nördliche Wesermarsch zu gewinnen. Noch haben wir keine Unterversorgung, aber wir steuern auf ein Problem zu.
01.11.2016, 00:00 Uhr
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Von Georg Jauken

Herr Scherbeitz, die Kassenärztliche Vereinigung hat die Aufgabe, eine ausreichende, qualifizierte und flächendeckende Ärzteversorgung sicherzustellen. Wie gut oder schlecht gelingt Ihnen das in der Wesermarsch?

Helmut Scherbeitz: Wir müssen uns aktiv bemühen, um zusätzliche Ärzte, vor allem Hausärzte für die nördliche Wesermarsch zu gewinnen. Noch haben wir keine Unterversorgung, aber wir steuern auf ein Problem zu.

Beschreiben Sie das Problem doch bitte mal in Zahlen.

Im Planungsbereich Nord mit der Gemeinde Butjadingen und der Stadt Nordenham haben wir 16 Hausärzte und sechseinhalb freie Plätze. Der Versorgungsgrad liegt damit bei 79 Prozent. Bei einem Wert unter 75 Prozent sprechen wir von einer Unterversorgung. Wir sind dort also relativ nahe dran an der Unterversorgung.

Ob und wann es dazu kommt, dürfte wesentlich vom Alter der Ärzte abhängen und ob rechtzeitig gegengesteuert werden kann. Wie alt sind die Hausärzte in Nordenham und Butjadingen?

Ihr Durchschnittsalter beträgt 59,8 Jahre. Landesweit gehen die Ärzte in Niedersachsen im Durchschnitt mit 63,5 Jahren in den Ruhestand. Wir müssen also davon ausgehen, dass in den nächsten fünf Jahren die Hälfte der 16 Hausärzte ausscheidet.

Wie ist die Lage in den übrigen Städten und Gemeinden?

Dort gibt es zurzeit 33 Hausärzte und 2,5 freie Stellen. Der Versorgungsgrad liegt bei 102,4 Prozent, ab 110 Prozent würden wir von einer Überversorgung sprechen. In der mittleren und südlichen Wesermarsch haben wir also eine etwas höhere Versorgung und mit einem Altersdurchschnitt von 56,9 Jahren auch etwas jüngere Ärzte.

Droht dort nicht drei Jahre später das gleiche Versorgungsproblem wie im Norden?

Im Süden werden wir das Problem nicht so sehr bekommen, unter anderem wegen der Nähe zu Oldenburg. Viele junge Ärzte, die in einem der Lehrkrankenhäuser in Oldenburg ausgebildet werden, möchten hinterher dort wohnen bleiben. Sie haben weniger ein Problem nach Berne zu fahren als nach Ovelgönne. Ab 25 Minuten Fahrzeit wird es schwierig.

Wie ist die Lage insgesamt? Gibt es genügend junge Mediziner mit dem Berufsziel Hausarzt?

In Niedersachsen, aber auch bundesweit, werden insgesamt viel zu wenig Hausärzte ausgebildet. Eigentlich müsste der Anteil der Hausärzte 40 Prozent betragen, tatsächlich machen nur zehn Prozent der Ärzte die entsprechende Fachausbildung. Wenn wir daran nichts ändern, bekommen wir ein massives Problem.

Hausarzt zu werden, muss ja ziemlich unattraktiv sein. Woran liegt es?

Das Bild des Hausarztes ist stark von der Vergangenheit geprägt. Die Leute denken, Hausärzte arbeiten einzeln und das 70 Stunden in der Woche. Gerade junge Ärztinnen sind dafür nicht zu gewinnen. Viele von ihnen wollen Teilzeit arbeiten. Damit das möglich ist, brauchen wir größere Einheiten.

Wie kann unter solchen Voraussetzungen die Ärzteversorgung auf dem Land sichergestellt werden?

Es wird nicht mehr den Einzelhausarzt in jedem Ortsteil geben. Was wir brauchen sind Gemeinschaftspraxen in den zentralen Ortslagen. Dann stellt sich allerdings die Frage, wie die Patienten dort hinkommen. Das ist auch eine Aufgabe der Gemeinden, zum Beispiel bei der Bauplanung Ärztehäuser, Apotheken, Einkaufsmöglichkeiten und Ähnliches an einem Ort zu konzentrieren. Das müssen wir gemeinsam in den Blick nehmen, denn das Werben für den Hausarzt-Beruf alleine wird nicht reichen. Der Landkreis muss sehen, dass die Region attraktiv bleibt oder noch attraktiver wird. Er macht aber auch schon viel in diese Richtung.

Und was tut die Kassenärztliche Vereinigung, um Ärzte für die Region zu gewinnen?

Die Wesermarsch gehört mit Wilhelmshaven und Friesland zur Gesundheitsregion Jade. In diesem Rahmen laden wir beispielsweise seit zweieinhalb Jahren Medizinstudenten zu Praxiskursen ein. Die sind im Studium immer Mangelware. Wenn wir den Studenten anbieten, ein Wochenende lang Ultraschalluntersuchungen zu üben, kommen sie und lernen ganz nebenbei die Region kennen. Beim letzten Mal waren es 70 Studenten, verteilt über mehrere Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte. Wenn sie sich nach dem Studium entscheiden müssen, wo sie hingehen, kennen sie unsere Region schon. So etwas wirkt sich natürlich immer erst mittel- bis langfristig aus.

Würden großzügige Gründungsdarlehen oder besser Zuschüsse die Attraktivität der Wesermarsch für die Ärzte nicht deutlich schneller steigern?

Wer in der Region Nord eine Praxis übernimmt, bekommt jetzt schon 60 000 Euro Zuschuss. Das ist sicher wichtig, Geld alleine reicht aber nicht.

Was tun Sie, damit junge Leute, die zum Medizinstudium aus der Wesermarsch beispielsweise nach Hannover oder Göttingen ziehen, hinterher als Ärzte zurückkommen?

Im Rahmen der Gesundheitsregion ist geplant, schon in den Abiturklassen nach möglichen späteren Medizinstudenten zu suchen und dann den Kontakt zu halten.

Aus der Politik gibt es den Vorschlag, Medizinstudienplätze bevorzugt an Studenten zu vergeben, die sich verpflichten, hinterher eine Praxis in einer unterversorgten ländlichen Region zu betreiben. Wer die Vereinbarung nicht einhält, müsste eine hohe Strafe zahlen. Was halten Sie davon?

Das halte ich für problematisch. Ärzte zwangsweise zur Tätigkeit in einer bestimmten Region zu verpflichten trägt nicht zur Freude an dieser Arbeit bei. So wird die Aufgabe, als Hausarzt in einer ländlichen Region tätig zu sein, noch weniger attraktiv.

Junge Ärzte, die in einem der Lehrkrankenhäuser in Oldenburg ausgebildet werden, wollen später möglichst dort bleiben, haben Sie anfangs gesagt. Müsste es dort und in anderen Großstädten dann nicht auch mal Ärzte geben, deren Praxis sich wegen zu geringer Patientenzahlen nicht rentieren? Könnte man ihnen nicht die Vorzüge einer Landarztpraxis schmackhaft machen?

Auf dem Land lässt sich deutlich mehr Geld verdienen. Aber es gibt Praxen, die haben 1500 Patienten im Quartal, andere leben von 800. Dass ein Arzt, der sich engagiert um seine Patienten kümmert, seine Praxis wegen zu wenig Patienten aufgibt, habe ich in 26 Jahren bei der Kassenärztlichen Vereinigung noch nicht erlebt.

Bislang haben wir nur über Hausärzte gesprochen. Wie sieht es in anderen Fachrichtungen aus, beispielsweise bei Augenärzten?

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass zu wenig Augenärzte ausgebildet werden. Heutzutage werden fast alle Eingriffe ambulant vorgenommen, daher gibt es kaum noch Augenkliniken, die ausbilden. Noch haben wir in den anderen Fächern in der Wesermarsch eine 100-Prozent-Versorgung. Das Grundsatzproblem bleibt allerdings: Junge Ärzte wollen möglichst in der Stadt bleiben.

Für Zahnärzte sind nicht Sie zuständig, sondern die Kassenzahnärztliche Vereinigung. Können Sie trotzdem etwas zur zahnärztlichen Versorgung sagen?

Für die Zahnärzte wurde gesetzlich vor einigen Jahren die Bedarfsplanung aufgegeben. Die Folge ist, dass mehr Zahnärzte in die Ballungszentren gehen und weniger aufs Land. Mein Eindruck ist, dass sich dieser Prozess eher beschleunigt hat.

Keine Planung ist also auch keine Lösung?

Es ist schwierig, aber wir müssen steuern, sonst haben wir keine Chance. Vor drei Jahren hatten wir faktisch eine Unterversorgung bei den Nervenärzten, also Neurologen und Psychiatern in der Wesermarsch. Inzwischen sind zwei Stellen besetzt, weil Oldenburg gesperrt ist. Ich habe kürzlich mit einem gesprochen und er ist zufrieden. In diesem Fall hat also die Steuerung durch die Bedarfsplanung positiv für die Versorgung gewirkt.

Das Interview führte Georg Jauken.

Zur Person

Helmut Scherbeitz (59) kennt alle Zahlen zur ambulanten ärztlichen Versorgung in der Wesermarsch. Als Geschäftsführer der Bezirksstelle Wilhelmshaven der Kassenärztlichen Vereinigung weiß er außerdem, wo Versorgungslücken drohen.
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