Im Büro von Aisencia in Bremen treffen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft direkt aufeinander. Vor einem Holzkasten steht ein Mikroskop aus der Vorzeit in Gold und Schwarz – ein hübsches Stück Geschichte. Und die Technik, der Blick durchs Okular beweist, es funktioniert immer noch. Gleich daneben befindet sich ein modernes Mikroskop. In Laboren kommt es heute bei der Untersuchung von Hautproben fast immer zum Einsatz. Dabei sei der Blick durchs Mikroskop wie der durch ein Schlüsselloch. Die Zukunft sehen die Gründer von Aisencia anderswo.
Auf dem Bildschirm vor Daniel Otero Baguer ist auch eine Hautprobe zu sehen – nur in ganzen anderen Dimensionen. Aus der Ferne könnte man die Vergrößerung der Haut fast für ein Kunstwerk halten. Die Struktur in Pink und Rot und Blau hat eine ganz eigene Ästhetik. Die Farben verheißen aber nichts Gutes: Diese Haut könnte krank sein.
Warum ist die Hilfe wichtig?
Ein Scanner hat die Probe im Objektträger digitalisiert – und macht die Analyse der Bilder am Computer möglich. Die Darstellung ist aber nur eine Sache. Vor allem kann die Technologie von Aisencia bei der Diagnose helfen. "Das ist ein schwieriger Fall", sagt Otero Baguer etwa zu dieser Aufnahme. Die Künstliche Intelligenz (KI) hat eine womöglich kranke Stelle rot markiert. Es könnte sich um ein Melanom handeln.
Die Technologie von Aisencia kann viele verschiedene Hautkrankheiten erkennen. "Krebs ist natürlich ein großes Thema, weil es sehr wichtig ist, dass er nicht übersehen wird", sagt Gründer Otero Baguer. Die KI sei quasi wie eine Extrahilfe für Ärzte in Laboren – die schon an vielen Proben trainiert worden ist. Am Ende komme es natürlich auf die Expertise der Mediziner an: Die KI stelle nicht allein die Diagnose.
Unterstützung wird allerdings gebraucht. Jedes Jahr werden etwa eine halbe Million Krebserkrankungen in Deutschland entdeckt. "Circa die Hälfte davon macht Hautkrebs aus", sagt der Mitgründer von Aisencia Maximilian Schmidt. Gerade wenn Krebs streue, sei eine schnelle Behandlung wichtig. Oft müssten Patienten aber lange auf einen Termin beim Facharzt warten. Dann komme die Untersuchung selbst und die Auswertung im Labor dazu. Viel Zeit vergeht. "Das versuchen wir mit unserer Lösung anzugehen", sagt Schmidt. So sieht es auch Otero Baguer: "Das Hauptziel ist, die Effizienz in den Laboren zu steigern." Dort stapelten sich oft die Fälle. Eigentlich könne ein Ergebnis in wenigen Tagen vorliegen. In manchen Fällen vergingen stattdessen Wochen bis zum Befund. Die Labore seien überlastet.
Die Entwicklung der Bremer nutzen schon heute verschiedene Labore. So können die Fälle, bei denen Haut besonders krank ist, vorgezogen werden. Die KI hilft bei der Priorisierung. Für die Erlaubnis zur Diagnoseunterstützung ist jedoch noch eine Zertifizierung nötig. "In diesem Prozess befinden wir uns gerade", sagt Schmidt. Die Abnahme dauere lange und koste auch viel Geld. Zunächst geht es dabei um das Zertifikat für die EU. Im nächsten Schritt wollen die Gründer sich die Märkte in den USA und Australien anschauen.
Wie kommt die Forschung in die Labore?
An der Universität Bremen ging alles Ende 2019 los. Die Gründer sind keineswegs Mediziner: Das Unternehmen ist aus einem Forschungsprojekt am Zentrum für Technomathematik hervorgegangen. Daniel Otero Baguer, Jean Le’Clerc Arrastia und Maximilian Schmidt gehörten zur Arbeitsgruppe. Ein Hautpathologe sei auf sie zugekommen, der sich für KI in der Medizin interessierte. "Für die Haut gab es nichts", erinnert sich Otero Baguer. Das Projekt ging also los. Schon die ersten Ergebnisse überzeugten dann. Und schnell kam die Frage auf: Wann können wir das nutzen? "Da haben wir gedacht: Wir müssen das irgendwie in den Markt bringen."
Damit ihre Forschung tatsächlich im Labor landet, bewarben sich die Technomathematiker um die Förderung Exist. Das Gründungsstipendium sah dabei auch vor, dass ein Betriebswirt den Weg begleitet. Dietrich Schreiber übernahm die Aufgabe und verließ dafür seinen Arbeitsplatz bei Würth. Bisher sei er immer "Konzernkind" gewesen. Das Start-up-Abenteuer reizte ihn. Schreiber kümmert sich neben den Finanzen auch um den Austausch mit den Kunden. Die Aussichten sind positiv: Investoren aus Australien könnten bald ebenfalls mit an Bord sein.
Aisencia ist dabei in der Nähe der Universität geblieben. Das Unternehmen sitzt im Bremer Technologiepark ganz in der Nähe des Satellitenherstellers OHB. Encoway ist im Gebäude namens Neos ansässig und viele weitere Projekte. Start-up-Stimmung liegt hier in der Luft. Im Moment teilen sich alle im Team von Aisencia ein Büro. Von hier aus wird groß gedacht: Die Gründer wollen in ihrem Feld globaler Marktführer werden.
Der Name Aisencia spielt auch mit den Worten für Wissenschaft und Essenz im Spanischen. Die Kreation haben sich Daniel Otero Baguer und Jean Le’Clerc Arrastia als Reminiszenz an ihre Heimat Kuba ausgedacht. Die Wissenschaft brachte die beiden nach Bremen. Für ihr Start-up sehen die Jungunternehmer hier den richtigen Platz – auch in Zukunft.