Manchmal lebt Kai Engelhardt in zwei Welten. In der einen ist der Kanalinspekteur mit einem Transporter von Hansewasser unterwegs, überprüft Kanalabdeckungen oder springt für Kollegen bei der Kontrolle von Abwasserrohren ein. In der anderen Welt sitzt er an einem Schreibtisch, plant die Einsätze von Mitarbeitern, schreibt E-Mails, telefoniert. Dabei stellt er immer wieder Unterschiede fest: „Das Handwerkerdeutsch ist schon anders als das im Büro.“
Doch genau in diese Bürowelt wird Engelhardt perspektivisch ziehen. Dabei bekommt er Hilfe. Engelhardt ist Ende 40. Im Alter von 16 Jahren hat er eine Lehre als Maurer gemacht, seitdem arbeitet er vor allem körperlich. Das ist belastend, doch an Rente ist in seinem Alter noch gar nicht zu denken. Deswegen muss sich etwas ändern.
Das sieht auch Jens Wendel so. Der Ingenieur ist Engelhardts Vorgesetzter bei Hansewasser. Er weiß: Engelhardt wird seinen aktuellen Job nicht ewig weitermachen können. Er weiß auch: Wir können den Arbeitsplatz nicht so gestalten, dass er sich nicht verändert.
Auch Kommunikation ist ein großes Thema
Deswegen plant Wendel, seinen Mitarbeiter über kurz oder lang dauerhaft im Büro einzusetzen. Damit Engelhardt darauf vorbereitet ist, nimmt das Unternehmen am Projekt Alphagrund teil, das in Bremen vom Bildungszentrum der Wirtschaft im Unterwesergebiet (BWU) ausgeführt wird. Hier geht es darum, Mitarbeiter wie Engelhardt zu qualifizieren. Das fängt zum Teil bei Grundlegendem an.
„Wir fördern Deutsch, Mathematik und soziale Kompetenzen“, sagt Marion Woelk-Heder vom BWU. Ein großes Thema sei auch Kommunikation. „Es gibt Menschen, die machen einen tollen Job. Die können anderen aber nicht erklären, was sie machen. Es fällt ihnen schwer, Sachverhalte zu schildern.“ Das werde jedoch immer wichtiger, da in vielen Berufen mittlerweile etliche Arbeitsschritte dokumentiert werden müssten.
Vor ähnlichen Herausforderungen stand auch Kai Engelhardt. Die Fahrzeuge von Hansewasser sind mittlerweile fast alle mit einem Laptop ausgestattet, um Berichte direkt vor Ort schreiben zu können. Für ihn war das Neuland. „Als ich zur Schule gegangen bin, gab es dort keine Computer.“ Privat hat er sich erst einen Rechner zugelegt, als er eine Urlaubsvertretung im Büro machen musste.
Kurse bei dem Unternehmen
„Ich habe nie gelernt, eine E-Mail zu schreiben“, sagt Engelhardt. Plötzlich sollte er aber Berichte verfassen und mit anderen Behörden und der Polizei kommunizieren. „Einmal habe ich drei Tage darüber nachgedacht, wie ich auf eine E-Mail antworte, weil ich nicht wusste, wie ich sie richtig formuliere.“ Da Engelhardt nicht der Einzige bei Hansewasser ist, dem es so geht, hat das BWU Kurse bei dem Unternehmen organisiert.
Unter dem Titel „Optimierung des Berichtwesens“ haben Engelhardt und sieben Kollegen Sachen gelernt, die für viele eigentlich selbstverständlich sind – aber eben nicht für alle. In zehn Terminen über fünf Monate verteilt haben sie gelernt, wie man Briefe und E-Mails formuliert, Berichte schreibt und mit den wichtigsten Computerprogrammen umgeht.
„Ich mache mir jetzt Gedanken ums Formulieren und frage mich, ob der Empfänger das auch versteht, obwohl er nicht dabei war“, sagt Engelhardt. Wichtige Texte lese er seit dem Kurs mehrfach, um sicherzugehen, dass sie keine Fehler mehr enthalten und dass sie auch wirklich verständlich sind. Auch privat sei das von Nutzen: „Als ich einen Vertrag per Brief gekündigt habe, ist mir die Formulierung wesentlich leichter gefallen.“
Steigende Dokumentierungspflichten
Woelk-Heder kennt solche Erfolgserlebnisse. Mittlerweile hätten einige Firmen verstanden, dass sie alle Angestellten fördern müssen. „Lange Zeit waren Fortbildungen nur etwas für das Management“, sagt sie. Alphagrund richtet sich aber an alle Mitarbeiter.
Das fange schon bei Auszubildenden an, gehe aber auch bis zum altgedienten Mitarbeiter; die Kurse sind für die, die vielleicht vor ein paar Jahren erst nach Deutschland gekommen sind und die Sprache noch nicht gut beherrschen und für die, die vor 40 Jahren in der Schule vielleicht nicht richtig aufgepasst haben.
Bei manchen gehe es nur darum, Sachen aufzufrischen, andere hätten größere Probleme, sagt Woelk-Heder. Sogenannte funktionale Analphabeten könnten zwar ihren Namen, Adresse und wichtige Wörter schreiben, hätten aber Schwierigkeiten, Texte zu verstehen. Mit den steigenden Dokumentierungspflichten könnten die nun aber mehr Probleme im Job bekommen. „Auch dafür wollen wir Unternehmen sensibilisieren“, sagt die Projektleiterin.
Weiterbildung statt Nachhilfe
Obwohl das BWU die Alphagrund-Kurse direkt bei den Firmen anbietet und die Inhalte genau auf den Beruf der Mitarbeiter abstimmt, sind die Kurse für die Unternehmen kostenlos. Finanziert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Damit die Mitarbeiter wirklich etwas lernen, muss das Unternehmen, das zusammen mit dem BWU den Kurs anbietet, auch Fingerspitzengefühl beweisen. „Es kommt darauf an, wie ich den Kurs kommuniziere“, sagt Woelk-Heder. „Nenne ich es Weiterbildung oder verkaufe ich es als Nachhilfe?“ Das mache einen großen Unterschied. Denn gerade Menschen, die schon seit längerer Zeit nicht mehr gelernt hätten, seien misstrauisch.
Auch bei Hansewasser habe es Sprüche von Kollegen gegeben. ‚Na, musst du nachsitzen‘, habe es geheißen, sagt Engelhardt. Auch einige andere Kursmitglieder seien skeptisch gewesen. „Man muss sich aber darauf einlassen“, sagt Engelhardt. Im Endeffekt sei es eine positive Erfahrung gewesen; Engelhardt würde auf jeden Fall noch weitere Kurse belegen wollen. Die Bürowelt kann kommen.