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Arbeitgeber Kirche Anordnung von oben

Wer bei einer christlichen Einrichtung in Bremen arbeiten will, muss in der Regel in die Kirche eintreten. Das sorgt jetzt für Kritik.
19.07.2017, 21:04 Uhr
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Anordnung von oben
Von Kristin Hermann

Darf man als Konfessionsloser von seinem christlichen Arbeitgeber entlassen werden, wenn man sich weigert, in die Kirche einzutreten? Darüber erzürnt sich derzeit ein 66-jähriger Altenpfleger aus Bremen-Nord, der von der diakonischen Stiftung Friedehorst Ende Juni entlassen wurde, weil er nicht gegen seine Überzeugung handeln wollte (wir berichteten).

Die Stiftung beruft sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, das im Grundgesetz festgelegt ist. Die arbeitsrechtlichen Regelungen für Mitarbeiter der Kirchen und kirchennaher Organisationen unterscheiden sich in Deutschland von den Bestimmungen für Arbeitnehmer regulärer Betriebe. Demnach dürfen die christlichen Kirchen ihre Arbeitsverhältnisse selbst regeln, dies betrifft ebenso die Wohlfahrtsverbände. Arbeitnehmer müssen nicht nur ihren Job zufriedenstellend erledigen, sondern auch hohen Loyalitätsanforderungen gerecht werden.

Diese Auslegung des Grundgesetzes ist in den vergangenen Jahren jedoch immer wieder angezweifelt und kritisiert worden. Aktuell wird ein Fall vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verhandelt, der sich mit der Praxis kirchlicher Arbeitgeber beschäftigt, Stellen nur für christliche Bewerber auszuschreiben.

Konkret geht es um den Fall einer konfessionslosen Frau, die sich erfolglos beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung in Berlin beworben hatte. In der Stellenausschreibung hieß es, dass die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) angehörenden Kirche vorausgesetzt werde. Nun verlangt die Frau Schadensersatz.

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Ob die Mitgliedschaft in der Kirche wirklich zwingend für eine Anstellung ist, hängt von der jeweiligen Kirche oder der Trägereinrichtung ab – und der Situation auf dem Arbeitsmarkt. Im Fall Friedehorst müssen Pflegekräfte oder Erzieher beispielsweise in der Kirche sein, bei Oberärzten reicht es, wenn sie sich mit den Werten der Kirche identifizieren. Eine Konsequenz des Fachkräftemangels, wie die Stiftung einräumt.

Kirchen legen Wert auf Mitgliedschaft

Der Fall der Berliner Bewerberin wird aller Voraussicht nach einige grundsätzliche Fragen klären, sagt der Bremer Arbeitsrechtler Simon Wionski. Dabei werde zu klären sein, wie das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem gesetzlichen Diskriminierungsverbot in Einklang zu bringen sei. Umstritten sei auch immer wieder, für welche Art von Jobs die Kirche ihr Selbstbestimmungsrecht geltend machen dürfe. „Dabei geht es um sogenannte verkündigungsnahe Tätigkeiten“, sagt Wionski. „Darunter fallen beispielsweise Religionslehrer, aber keine Reinigungskräfte. Um den Bereich dazwischen lässt sich streiten.“

Was erwarten andere christliche Gemeinden und Träger in Bremen von ihren Bewerbern? Wer zu den Angestellten der katholischen Kirche gehören möchte, muss Mitglied sein oder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen angehören – das gilt auch für Angestellte in der Probezeit oder Azubis.

„Erwachsene, die sich für den christlichen Glauben interessieren und in die katholische Kirche aufgenommen werden möchten, müssen vorher Gespräche mit einem katholischen Seelsorger führen beziehungsweise einen entsprechenden Glaubenskurs besuchen“, sagt Sonja Glasmeyer, Leiterin im katholischen Kirchenamt.

Pastorale und katechetische sowie in der Regel erzieherische und leitende Aufgaben sollen einer Person übertragen werden, die der katholischen Kirche angehört.

Bis vor einigen Jahren sorgten immer wieder Kündigungsfälle für Aufsehen, bei denen Mitarbeiter wegen einer Scheidung oder des offenen Auslebens ihrer Homosexualität entlassen wurden. 2015 rückte die Deutsche Bischofskonferenz von dieser Vorgehensweise jedoch ab.

So sollen diese Gründe nur noch in seltenen Fällen als Kündigungsgrund Bestand haben. Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche in Bremen versichern, dass die persönliche Lebensführung der Mitarbeiter, wie Scheidung oder die sexuelle Orientierung, keine Rolle bei dem beruflichen Werdegang spiele.

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Kirchen spüren Fachkräftemangel

Auch die evangelische Kirche in Bremen verlangt nach eigenen Aussagen von all ihren Mitarbeitern eine Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen. Etwas anders handhabt diese Regel das Krankenhaus Diako im Bremer Westen. So ist es für das Führungspersonal Pflicht, sich zum christlichen Glauben zu bekennen – Chefärzte, Geschäftsführer oder Abteilungsleiter müssen Mitglied in einer Kirche sein.

Von allen anderen Mitarbeitern wird erwartet, dass sie sich mit den Grundwerten der Einrichtung identifizieren können. Nach Angaben des Diako sind dort auch muslimische Mitarbeiter beschäftigt. Das Krankenhaus liege in einem multikulturellen Stadtteil. Davor könne man nicht die Augen verschließen, sagt ein Sprecher der Einrichtung.

Auch die katholische Kirche spüre zunehmend den Fachkräftemangel, sagt Sonja Glasmeyer. Zwar sei aktuell nur eine von den insgesamt 150 Stellen in den Kindertagesstätten des katholischen Gemeindeverbandes unbesetzt, doch: „Die deutliche Erhöhung der Ausbildungskapazitäten der pädagogischen Fachkräfte sowie eine Attraktivitätssteigerung des Berufsfeldes sind dringend notwendig.“ Von der Kirchenpflicht wolle der Gemeindeverband trotz des Fachkräftemangels auch in Zukunft nicht abrücken.

Eine weitere Besonderheit im kirchlichen Arbeitsrecht: Es gibt keine Betriebsräte. Stattdessen können sich Arbeitnehmer in Mitarbeitervertretungen organisieren. Diese hätten jedoch geringeren Einfluss, beanstanden Kritiker. Der sogenannte „Dritte Weg“ der Kirchen ist auch immer mal wieder Thema in Bremen.

So forderten im September 2016 Mitarbeitervertreter der Bremer Diakonie einen Ausstieg aus dem kirchlichen Arbeitsrecht. Auch Teile der SPD-Bürgerschaftsfraktion machten sich dafür stark, dass Mitarbeiter bei kirchlichen Trägern, zum Beispiel in Kitas oder Flüchtlingsheimen, das Recht auf Betriebsräte erhalten sowie die Möglichkeit zum Streik.

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