Einzelhändler können auf Mietminderungen hoffen, wenn ihre Geschäftsräume wegen Corona im Lockdown geschlossen bleiben mussten. Allerdings gibt es keine pauschale Regelung wie eine Aufteilung der Kosten je zur Hälfte auf Mieter und Vermieter. Es müssten immer sämtliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden, entschied der Bundesgerichtshof am Mittwoch in Karlsruhe (Az. XII ZR 8/21). Mieter können also nicht immer eine Anpassung der Miete verlangen. Durch die Pandemie habe sich ein Lebensrisiko verwirklicht, das von Mietverträgen ohne eine entsprechende Regelung nicht erfasst werde, befanden die Richter des siebten Zivilsenats. Das könne keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.
Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Nordwest, Jan König, begrüßte das Urteil. Damit gebe es von höchster Stelle aus einen Anspruch, Vertragsanpassungen zu verhandeln. "Das ist ganz wichtig", so König. In der Vergangenheit habe es auch viele Vermieter gegeben, die bereits Gespräche zu einer Anpassung ablehnten. "Das ist ungünstig auch für das weitere Miteinander", so sieht es der Verbandschef. Teils hätten Ladenbesitzer – gerade Immobilienfonds – gar nicht auf Anfragen reagiert.
In Streitfällen müssen Gerichte künftig also für jeden Fall einzeln prüfen, wie hoch die Umsatzeinbußen waren. Dabei gehe es um die konkrete Filiale, nicht um den Konzern, betonte der Vorsitzende Richter Hans-Joachim Dose. Berücksichtigt werden müssen auch etwaige Versicherungsleistungen und inwiefern sich der Gewerbetreibende um Absicherung bemüht hat. Auch Hilfszahlungen des Staats gilt es zu bewerten, wobei Darlehen ausgenommen sind. Die entstandenen Nachteile sollten nicht überkompensiert werden.
Grundlage war ein Musterfall aus Sachsen zu einer Filiale des Textil-Discounters Kik im Raum Chemnitz, die vom 19. März bis zum 19. April 2020 schließen musste. Der Vermieter will die volle Miete von rund 7850 Euro. Das Oberlandesgericht Dresden hatte entschieden, dass Kik nur etwa die Hälfte zahlen müsse. Der BGH hob dieses Urteil nun auf. Das Gericht in Dresden habe die konkreten Umstände nicht berücksichtigt. Es muss neu verhandelt werden. Kik-Chef Patrick Zahn sagte: „Der Bundesgerichtshof hat mit seiner heutigen Stellungnahme Kik in seiner Praxis bestätigt, mit allen Vermietern in Einzelgesprächen über Kompensationen zu verhandeln.“
Welche Streitigkeiten haben Makler in Bremen beobachtet? "Auseinandersetzungen haben wir nicht erlebt", berichtet Expertin Susanne Maaß-Ebner vom Immobilienunternehmen Robert C. Spies. "Das, was jetzt vom Bundesgerichtshof entschieden wurde, haben wir in den vergangenen eineinhalb Jahren bereits in ähnlicher Weise auf dem Markt gespürt und in Teilen auch erlebt: Viele Vermieter waren bereit, ihren Mietern bei der Miete entgegenzukommen und individuelle Lösungen zu finden", äußerte sich die Leiterin für den Bereich Handelsvermietung zum Urteil. Lösungen seien etwa Anpassungen, Stundungen oder auch umsatzabhängige Mieten gewesen.
Ende 2020 hatte der Gesetzgeber klargestellt, dass gewerbliche Mieter eine Anpassung ihres Mietvertrags verlangen können, wenn sie wegen Corona-Maßnahmen schließen müssen oder ihr Geschäft nur stark eingeschränkt öffnen dürfen. Der Handelsverband Deutschland berichtete allerdings mit Verweis auf eine Umfrage, dass trotz der Klarstellung die Bereitschaft der Vermieter oft fehlte, eine Lösung zu finden. Anfang des vergangenen Jahres hätten demnach noch 60 Prozent der von den Schließungen betroffenen Einzelhändler vergeblich auf ein Entgegenkommen des Eigentümers gewartet.