Herr Ossmann, seit diesem Jahr bietet die Arbeitsagentur Berufsberatung für Menschen an, die bereits arbeiten. Warum ist die so wichtig?
Joachim Ossmann: Die Berufsberatung im Erwerbsleben ist eine Antwort auf die Veränderungen der Wirtschaft. Die Berufswelt ist stark im Umbruch, etwa durch neue Technologien und die Digitalisierung. Dadurch ändern sich auch die Anforderungen, die Arbeitnehmer erfüllen müssen. Manche Menschen müssen sich weiterbilden, vor allem Geringqualifizierte. Andere überlegen, ob das, was sie machen, überhaupt noch das Richtige für sie ist. Dass der Bedarf groß ist, hat schon unser Pilotprojekt gezeigt, das seit 2015 lief.
An wen richtet sich das Angebot konkret?
Wir wollen einerseits Berufstätige erreichen, die sich weiterbilden wollen oder den Neuanfang suchen. Anderseits geht es auch um Menschen, die nach einer Familienpause wieder einsteigen möchten. Und wir wollen Leute erreichen, die am Ende ihrer Ausbildung stehen – vor allem Studierende – und die nun überlegen, welche beruflichen Möglichkeiten sie haben.
Wer nimmt Ihr Angebot am häufigsten in Anspruch?
Wir erkennen keine Schwerpunkte. Zu uns kommen Geringqualifizierte und Akademiker, Wiedereinsteiger und Selbstständige. Vor allem Frauen lassen sich beraten. Was auffällt: Zwei Drittel derer, die zu uns kommen, waren uns nicht bekannt – also noch nie arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldet.
Haben sich während der Pandemie mehr Menschen Gedanken über ihren Beruf gemacht?
Der Beratungsbedarf ist deutlich gestiegen. Man darf sich das aber nicht so vorstellen, dass es mit einem halbstündigen Telefonat getan ist. Unsere Berater führen oft mehrere Gespräche, in denen auch das Für und Wider eines Berufswechsels erörtert wird. Nicht selten kommen Ratsuchende dann zu dem Ergebnis, dass sie weiter in ihrem Beruf bleiben, anstatt das Risiko eines Neuanfangs einzugehen.