Es war eine schöne Vision: Windräder am Horizont, Elektroautos auf der Straße – gebaut mit grünem Stahl aus Bremen. Die Stahlkocher werden zum Technologietreiber weit übers eigene Geschäft hinaus. Seit knapp zwei Wochen muss es nämlich heißen: Das wäre schön gewesen. Denn der Stahlkonzern will sich zwar weiterhin verändern, die klimafreundliche Produktion kommt aber vorerst nicht.
"Es wird immer deutlicher, dass die Energiewende in allen Bereichen langsamer als erwartet vorankommt", schreibt Arcelor-Mittal in seiner Hiobsbotschaft vorige Woche. Grüner Wasserstoff sei "noch keine tragfähige Energiequelle" und die Produktion auf Erdgasbasis als Übergangslösung nicht wettbewerbsfähig. In Bremen hat es deshalb einen Schockmoment gegeben. Seit Jahren gibt es große Pläne für das Stahlwerk: Die Produktion sollte mithilfe von Wasserstoff klimafreundlicher werden. Jetzt hat sich Arcelor – anders als Wettbewerber hierzulande – gegen die Investition entschieden.
Was denkt die Konzernspitze in fünf Jahren wohl mit Blick auf die Absage? War das der richtige Schritt? Haben wir eine Chance vertan, für die uns eine Milliardenförderung zugesagt wurde? Und was bedeutet all das für den Standort an der Weser?
Die Folgen der Entscheidung in einer Glaskugel vor Augen geführt zu bekommen, wäre nicht nur aus Perspektive des Konzerns wichtig. An der Umrüstung der Hütte hingen viele Hoffnungen. Das Stahlwerk sorgt in Bremen für immense Emissionen. Wie will die Hansestadt ihre Klimaziele erreichen, wenn die Pläne von Arcelor nicht wie angedacht umgesetzt werden? Es gibt eigentlich keine Alternative dazu. Die Politik macht aus ihrem Groll kein Geheimnis – durchaus ungewöhnlich: Der Senat ist "tief enttäuscht" und "verärgert". Plötzlich wanken, nachdem sich alle mit der Förderungszusage am Ziel wähnten, die Bremer Klimaziele und die Perspektive für den Standort.
Die Bedeutung des Vorhabens ist auch darüber hinaus nicht zu unterschätzen. Denn das Stahlwerk ist beim Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur nicht nur ein Puzzleteil von vielen gewesen. Es war mit Blick auf die Region das Projekt schlechthin. Energieversorger und Pipelinebetreiber haben darauf gesetzt. Die EWE hat ihre Pläne für einen Elektrolyseur vorerst jedenfalls beerdigt. Immerhin geht es bei einer geplanten Wasserstoffanlage in Bremen voran. Die ist schon vor Ort – Glück gehabt.
Der Konzern wird sich die Entscheidung nicht leicht gemacht haben. Wer mit den Verantwortlichen bei der Hütte in den vergangenen Jahren sprach, hörte zwar grundsätzlich Überzeugung für die Notwendigkeit der eigenen Pläne – aber nie grenzenlose Euphorie. Was kostet der grüne Stahl? Das war immer die zentrale Frage. Und die zweite: Wer kauft ihn uns ab?
Die Kunden der Stahlhersteller haben sich allesamt selbst Klimazielen verpflichtet. Insofern dürfte es über kurz oder lang einen Markt für grünen Stahl geben. Im Moment scheint der Druck aber noch nicht groß genug. Würde der Standort Bremen dann überhaupt profitieren? Arcelor wird all das in seine Kalkulation aufgenommen haben.
Aktuell scheinen sich einige damit abgefunden zu haben, dass es mit der Energiewende nicht so schnell geht wie beabsichtigt und notwendig. Mit Blick auf den Klimawandel ist längst Entschlossenheit nötig. Für die Hütten ist der Import von Billigstahl aus China seit Ewigkeiten ein Problem für das Geschäft. Die EU will die hiesigen Hersteller schützen. Die bisherigen Instrumente reichen aus Sicht der Konzerne aber weiterhin nicht aus.
Was Arcelor ermutigen könnte, die Umrüstung doch noch zeitnah umzusetzen, wäre ein günstiger Industriestrompreis. Dafür scheint der Weg seitens der EU frei. Die Frage ist: Wie schnell ließe sich das Bremer Dekarbonisierungsvorhaben wieder auftauen, das jetzt nach einem jahrelangen Vorlauf auf Eis gelegt wurde? Was ist mit der Förderung? Das steht in den Sternen, deshalb muss man sich derzeit von der schönen Vision verabschieden.