Herr Lambrette, wenn Künstler und Unternehmen zusammenarbeiten, ist das oft nicht immer ganz einfach. Wie kommt’s?
Roland Lambrette: Nicht immer einfach, aber dafür sehr produktiv: Die künstlerische Herangehensweise ist geprägt von maximaler Freiheit. Firmen dagegen orientieren sich an Märkten, Wettbewerb, Effizienz und vielen weiteren Faktoren. Künstler distanzieren sich bewusst von diesen Einschränkungen. Interessant ist aber, dass sich immer mehr Unternehmen für die Potenziale unserer künstlerischen und gestalterischen Prozesse interessieren und deswegen den Austausch mit unserer Hochschule suchen.
Was kann die Wirtschaft denn von den Kreativen lernen?
Unsere Studierenden können in einem Freiraum wie hier an der HfK ihre eigenständigen Positionen entwickeln und gewohnte Sichtweisen hinterfragen. Für Design-Studierende hat das besondere Relevanz: Sie kommen zu konsequenteren, ganzheitlicheren, unerwarteten Ergebnissen als in den hierarchischen Strukturen und optimierten Prozessen, die in den meisten Unternehmen herrschen. Derzeit sind viele Bereiche der Wirtschaft disruptiven Umbrüchen ausgesetzt. Das heißt: Bestehende, traditionelle Geschäftsmodelle oder auch Produkte und Dienstleistungen werden von radikal neuen Ideen abgelöst. Diese freie, ergebnisoffene Art zu denken, ist an der HfK Bremen Alltag. Deswegen werden wir als Partner in solchen Prozessen immer häufiger gefragt.
Wie sehen solche Kooperationen aus?
Die unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit eint, dass man voneinander lernen und sich gemeinsamen Fragestellungen widmen kann. Die Bandbreite reicht von künstlerischen Installationen, die Räume vor Ort in einem Unternehmen oder einer Institution verändern und so Denkanstöße für die Mitarbeitenden liefern, bis hin zu Materialforschung. Studierende im Integrierten Design haben zum Beispiel nachhaltige Baustoffe aus Seegras oder Popcorn entwickelt. Andere beschäftigen sich mit der Individualisierung von Alltagsgegenständen und entwickeln Produkte, die im 3D-Druck passgenau für den individuellen Nutzer hergestellt werden. Solche Ideen, die oft in der Lehre entstehen, machen Unternehmen auf uns aufmerksam.
Sind es eher die Konzerne, die für Ihre Ideen offen sind, oder erreichen Sie auch den traditionellen Mittelständler?
Ob Konzern, Mittelstand oder ein kleines Unternehmen – es geht immer um Aufgeschlossenheit, Neugier, Experimentierfreude und Agilität. Es kommt auf die handelnden Personen an. Ob sie ein Gefühl dafür haben, dass unsere Herangehensweise ihnen eine neue Perspektive bieten kann.
Es wird ja immer wieder kritisiert, dass der Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft nicht richtig funktioniert.
Bremen bietet hier sehr viel ungenutztes Potenzial. Zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung. Wenn es hier gelänge, sich durch einen intensiveren Austausch gegenseitig zu inspirieren, gemeinsame Projekte anzugehen, könnten wir enorme Synergien erzeugen. Die Hochschule für Künste hat den Vorschlag für eine digitale Transfer-Plattform als Schnittstelle zu Kultur und Wissenschaft, zu Wirtschaft und Industrie bereits vorgelegt. Sie bringt die Ideen, Konzepte und die Kooperationspartner zusammen. Ich wünsche mir dadurch auch mehr Strahlkraft nach außen. Denn der Mix von Hochschullandschaft, Innovationsclustern und Zukunftsthemen wie Energiewende, Künstliche Intelligenz oder Mobilität ist in Bremen einzigartig – aber er wird meines Erachtens noch nicht deutlich genug nicht in die Welt hinaus transportiert.
Wo liegt denn das Problem?
Mein Eindruck ist, dass die Stadt auf der Suche nach einer neuen Identität ist. Der Ehrbare Kaufmann, der über viele Generationen hinweg sinnbildlich für Bremen stand, ist eher hanseatisch zurückhaltend, weil er sonst an Glaubwürdigkeit verlieren würde. Deswegen gehört es hier nach wie vor nicht zum guten Ton, lautstark auf sich aufmerksam zu machen. Diese Zurückhaltung kann aber auch zum Nachteil werden, wenn der Wettbewerb die Trommel rührt.
Eine Tradition wie der Ehrbare Kaufmann hat sich über Jahrhunderte etabliert. Wie soll eine Stadt es schaffen, sich von heute auf morgen von ihr zu verabschieden?
Von seinen wertvollen Traditionen darf Bremen sich auf keinen Fall verabschieden. Aber Bremen weiß auch, wie schnell sich alles ändern kann. Die HfK sitzt mit einem ihrer Standorte hier in der Überseestadt im Speicher XI an einem Ort, der zeigt, wie etwas, das sich über einen langen Zeitraum entwickelt hat, plötzlich keine Rolle mehr spielt: Der Container wird erfunden, die Schiffe werden größer und passen nicht mehr in den Hafen; also wird der Hafen leider zugeschüttet und es werden neue Nutzungen etabliert.
Nicht nur: Es gibt sie ja noch, die klassischen Hafenbetriebe. Und sogar direkt in Ihrer Nachbarschaft.
Und wir verstehen uns gut mit unseren Nachbarn. Der Hafen, so wie er jetzt betrieben wird, ist absolut zukunftsfähig, denn er vermeidet Transporte auf Schiene und Straße. Und es hat sich gezeigt, dass die Verknüpfung von Arbeits-, Produktions- und Wohnbereichen sinnvoll ist. Aber man muss auch weiterdenken: Wo gibt es hier Platz für Künstler, für Ateliers, Proberäume oder Start-ups? Diese Durchmischung braucht eine Stadt, um lebendig, interessant und lebenswert zu sein.
Was meinen Sie damit?
Bremen muss sich selbst, seine Qualitäten besser verstehen. Bremen ist ein außergewöhnlicher Standort. Gerade für ein junges Publikum, für Absolventen, Gründer, Start-ups – und zwar aus jeder Branche – ist die Verzahnung von einer aktiven Kunst- und Kulturszene, von wissenschaftlichen Institutionen, einer herausragenden Hochschullandschaft und vielfältigen Wirtschaftsunternehmen höchst attraktiv. Wenn wir diese Qualitäten für die Stadt und darüber hinaus deutlich sichtbar machen, kann Bremen so attraktiv wie Leipzig werden, das eine starke Alternative zu Berlin geworden ist.
In der Überseestadt fürchten die Firmen, dass Wohnen zu nah an sie heranrückt und dadurch Rechtsstreitigkeiten auf sie zukommen könnten. Sind das irrationale Ängste?
Die Unternehmen arbeiten mit Worst-Case-Szenarios, um ihre Zukunft abzusichern. Das ist verständlich. In Wirklichkeit könnte in diesem Stadtteil die Durchmischung von Produktion, Wohnen und urbanem Leben mit Musik und Kunst funktionieren. Für diese Koexistenz – die ja die meisten Menschen viel schöner empfinden als Wohnblock-Monokulturen – müssen entsprechende Vereinbarungen getroffen werden.
Zuletzt hat Bremen einige Plätze im Ranking der größten Industriestandorte verloren. Sie haben im Sommer bei einer Veranstaltung mit Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) gesagt: „Wir haben die Industrie im Blut.“ Wie kommen Sie zu dieser Aussage?
Austausch, Handel, Transport und Logistik sind wichtige Teile der Bremer Identität. Der Überseehafen war das schlagende Herz der Stadt – und das ist er in den Köpfen immer noch. Deswegen ist die Überseestadt heute prädestiniert, um an den Themen der Zukunft zu arbeiten und sie hier der Öffentlichkeit zu präsentieren.