Herr Nowak, ein typischer Treffpunkt im Stadtteil ist der Lottoladen. Doch wenn die Menschen in Zukunft nur noch im Internet lesen und Lotto spielen, muss der Ladeninhaber sehen, wo er bleibt.
Karsten Nowak: Die Welt ist nicht so eindimensional. Wir werden durch die Digitalisierung zum Teil erhebliche Marktveränderungen haben. Der Markt wird für inhabergeführte Einzelhandelsgeschäfte schon schwieriger. Aber es ist auch die Frage, wie sich ein Stadtquartier und das Einkaufsumfeld insgesamt verändert. Da ist die Digitalisierung des Handels nur ein Aspekt. Es verändern sich aber auch die Ansprüche, die die Menschen an ihre Stadtquartiere haben. Die sind heute anders als vor vielen Jahren.
Welche anderen Ansprüche sind das?
Wenn ich den Lottoladen zur Nahversorgung rechne, dann ist der am wenigsten durch die Digitalisierung bedroht. In diesen Geschäften decken sich die Kunden mit ihrem täglichen Bedarf ein. Wir haben derzeit einen hohen Wertewandel mit einer hohen Individualisierung und einer digitalen Revolution. Diese digitale Revolution ist für den Handel wohl das einschneidendsten Ereignis seit der Einführung der SB-Märkte. Im Stadtteil wäre heute die Frage, wo dort denn die Gastronomie ist, bei der ich im Sommer auch schön sitzen kann. Wie ist die Aufenthaltsqualität, wo ist das nächste Kulturangebot, und wie schön verdichtet ist das alles? Wenn die Mischung dann stimmt, das gilt für das Viertel oder auch für die Pappelstraße in der Neustadt, dann gefällt es den Menschen auch dort, und sie kaufen dort entsprechend auch viel ein.
So einfach ist das?
Das alles ist ein filigranes Gebilde. Wenn zum Beispiel Parkplätze verloren gehen oder ein Großsupermarkt aufmacht, kann schnell vieles vom Bunten und Attraktiven verloren gehen. Das hat nichts mit Digitalem zu tun.
Da sprechen Sie aber auch den Erlebnisfaktor an, den der stationäre Handel in Zukunft wohl immer mehr bieten muss.
Zum Handel, der im Gewerbegebiet stattfindet, fährt man nur hin, um sich zu versorgen. Es muss noch nicht mal schön sein dort. Der Handel in der Innenstadt darf dann aber ruhig Erlebnis sein. Bis vor zehn Jahren hat der aber mehr zu einer Monostruktur geführt: Außer Handel war dort dann auch nicht viel. Wenn die Läden abends schließen, war dort auch von der Menschenmenge her gefühlt Schluss. Heute möchten die Menschen auch wieder gern in Zentren wohnen. Dort möchten sie neben Handel auch Kultur und Dienstleistungen haben. Und das Leben dort sollte am besten bunt und quirlig sein. Aber Handel allein schafft diese Frequenz nicht mehr. Zu einem Teil kann der Handel das Erlebnis selbst bieten. Wenn da beispielsweise ein Sportartikelanbieter ist, der einen Pool hat, indem die Kunden gleich das Surfboard testen können oder Kältekammern, um die arktistaugliche Jacke auszuprobieren. Dazwischen gibt es auch noch eine Gastronomie und auch eine Tischtennisplatte, an der der Vater mit den Kindern spielt, während die Mutter etwas anprobiert.
Welche Aspekte sehen Sie noch?
Es geht auch darum, Plätze in Szene zu setzen. Wenn wir uns da den Domshof anschauen, können wir da nicht von Erlebnis sprechen. Es gibt gute Ansätze, aber mit neuen Strukturen könnte der eine ganz andere Qualität erhalten – so dass die Leute dann draußen sitzen und auch mehr lebendige Gastronomie entsteht. Mehr Sitzbänke und Inszenierung der Gebäude mit Licht könnten ebenso zu einer Belebung beitragen. Das wären beispielsweise Aspekte, die dazu führen, dass sich die Menschen dort gern treffen möchten, wie es gerade an der Schlachte der Fall ist. Das ist aber natürlich ein langer mühsamer Prozess.
Aber das ist nicht nur die eine Idee?
Die Innenstadt könnte man auch beleben, indem ein wichtiger Bereich der Uni in der Innenstadt stattfinden würde. Dadurch wären hier auch mehr jüngere Menschen unterwegs. Vielleicht würden die sich dort auch in Zweitlagen ein Café einrichten, oder auch etwas zum Wohnen zu suchen. In Leipzig hat das positiv funktioniert. Diese lebendige Innenstadt wollen wir stärker forcieren. Dafür braucht man aber ein langes Zeitfenster. Oder nehmen Sie die Wallanlagen: Die sind zwar schön, aber sie haben dort keine Gastronomie. Wie wäre es, dort auf einem Ponton einen Kaffee zu trinken? Und auch ein Ruderbootverleiher wäre bereit, dort mit Booten hinzugehen. Ein Künstlermarkt wäre auch eine Möglichkeit. Das sind nur einige Beispiele. Aber wir sollten doch jede Möglichkeit nutzen, dass auch die jüngere internetaffine Zielgruppe gern in die Innenstadt geht, um sich dort zu treffen.
Wie viel Wohnraum müsste man in Zukunft für die Innenstadt einplanen?
Wohnraum ist ein Argument. Aber mit einigen tausend Menschen mehr in der Innenstadt wird man sie dort plötzlich nicht anders erleben. Zumindest sollten Sie heute bei der Planung bis hin zum Kindergarten denken. Es muss auch in Zukunft kluge Übergänge zur Elektromobilität geben. Aus Parkhäusern sollten Mobilitätszentralen werden.
Aber das allein ersetzt doch nicht die Kunden, die den Geschäften in der City derzeit durch den Onlinehandel verloren gehen?
Die halbe Welt orakelt über dieses Thema. Vieles wissen wir noch nicht. Was aber klar ist: Ein Geschäft wird nicht mehr die jetzige Quadratmeterzahl benötigen. Neue Konzepte gehen davon aus, dass man am sogenannten „Point of sale“ mehr zeigen kann. Man kann sich ein Kleidungsstück als Muster anschauen und dann direkt dort bestellen. Das wird dann nach Hause geliefert. Es wird also mehr ein Ausstellungsraum als ein Verkaufsraum. Dadurch wird ein Lagerraum direkt beim Laden überflüssig. Wenn in Zukunft das Einzelhandelsangebot gut durchmischt ist mit gastronomischen Angeboten, kann das neu inszeniert werden.
Das allein reicht doch auch nicht, oder?
Bremen ist im Umland ländlich geprägt. Wir haben ja eine wunderschöne historische Altstadt. Das allein reicht aber nicht für ein Stadterlebnis. Auch architektonisch könnten wir neue Akzente schaffen, also mal richtig etwas wagen, so wie beispielsweise in Hamburg die Elbphilharmonie ein neuer Anziehungspunkt für Touristen ist. Wenn eine Stadt ganz viele schillernde Angebote machen kann, nehmen Sie die Diskussion in Bremen über die Seilbahn, dann trägt das dazu bei, dass die Menschen auch wiederkommen wollen, weil sie das mit lebendiger Großstadt verbinden. Bremen hat den Charme, keine Großstadt mit solchen Aspekten zu sein, aber dauerhaft kann man von diesem Charme nicht leben. Bremen als Stadt ist bei allem irgendwo immer dazwischen. Dazwischen sein als Metropole reicht nicht. Da muss Bremen zu einem anderen Profil kommen, sonst sind wir irgendwann nur noch in so einer Beliebigkeitsskala. Dann kommen noch Leute mit dem Reisebus hierher wegen der Stadtmusikanten und des Marktplatzes und gucken vielleicht auch bei Karstadt rein. Aber dann fahren sie auch wieder nach Hause. Das ist zu wenig. Klar ist dabei natürlich, dass die Innenstadt mit dem Auto weiterhin erreichbar sein muss.
Was kann es noch an Impulsen geben?
Die Grundlagen sind eigentlich gar nicht so schlecht. Aber sehr schnell kommt die Frage, was man sich hier denn noch anschauen kann, was es denn noch Besonderes gibt. Wie wäre es beispielsweise oben auf dem Karstadt-Dach mit einer Cocktail-Bar? Das hätte beispielsweise ein großstädtisches Ambiente, das jüngere Menschen auch erwarten würden von einer Stadt. Das gibt es nicht, und andere Dinge dann auch eben nicht. Was das Einkaufen angeht, müsste man die Innenstadt mit dem Viertel besser vernetzen. Gleichzeitig sind die Wallanlagen und die Weser natürliche Trennungslinien, die die Menschen davon abhalten, weiterzulaufen. Es geht also darum, solche Linien in Zukunft besser inszeniert zu bekommen – damit man am Ende sagt: Da muss ich hin. Und der Papierladen im Stadtteil muss schauen, wie er in Zukunft mit der rasanten Geschwindigkeit des Internethandels mithalten kann. Der könnte von der Gruppe von Menschen profitieren, die bewusst bestimmte Dinge in ihrem Stadtteil kaufen, um dort die Läden zu unterstützen. Diese Kundengruppe gibt es.
Die Fragen stellte Florian Schwiegershausen.
Karsten Nowak
ist bei der Handelskammer der Geschäftsführer Einzelhandel. Er sagt, was Bremen durch die Online-Konkurrenz anpacken muss. Darüber spricht am Abend auch Präses Janina Marahrens-Hashagen.