Der Finnafjord im Nordosten Islands ist ein Ort, an dem sich Polarfuchs und Schneehase gute Nacht sagen würden – wenn es dort wenigstens Hasen gäbe. Einer der ersten Siedler muss vor 1000 Jahren ein Wikinger namens Gunnolf gewesen sein: Nach ihm wurde jedenfalls der 700 Meter hohe Berg benannt, der den Fjord nach Norden begrenzt. Einen "Elfenhügel" gibt es auch, drüben auf der anderen Seite der Bucht, was in Island nicht weiter verwunderlich ist. Wenn am Finnafjord demnächst mit Bremer Hilfe ein großer Industriehafen gebaut wird, könnte das zu einem Problem werden. Denn mit den Elfen ist auf Island nicht zu spaßen.
Das nächste Dorf liegt hinter dem Berg am Nachbarfjord und heißt Thorshöfn: Thors Hafen. Am Mittwoch kam hoher Besuch in den 600-Einwohner-Ort am Polarkreis: Die Häfensenatorin aus Bremen im fernen Thýskaland (Deutschland) war samt Begleittross eingeflogen, um sich ein Bild von dem entlegenen Fjordgebiet zu machen. Schnee und Nebel verhinderten zwar die Fahrt auf Gunnolfs Berg und den weiten Blick von dort über die Küste. Aber zu bereden gab es im einzigen Restaurant des Ortes trotzdem einiges mit den Bürgermeistern und Lokalpolitikern der Region: Wo jetzt noch die Wellen müde über ein paar Kiesel am Ufer schwappen, sollen in wenigen Jahren große Tanker festmachen und mit Wasserstoff beladen werden, dem Treibstoff der Energiewende. Produziert wird dieser mithilfe grüner Energie, die Islands ungebändigte Natur zur Verfügung stellt. Das jedenfalls ist der aktuelle Plan.
Seit 15 Jahren bereits entwickeln die Lokalpolitiker am Finnafjord Pläne, was sich aus der Ödnis am Polarkreis machen lässt. Zurzeit leben die Menschen dort überwiegend vom Fischfang – oder sie ziehen weg. Wie aber holt man Jobs in die am weitesten von der quirligen Hauptstadt Reykjavik entfernte Region Islands? Die erste Idee war: Wenn das Eis der Arktis schmilzt, könnten Containerschiffe auf dem Weg aus China hier Zwischenstation machen. Die Route durchs Nordpolarmeer ist halb so lang wie der Seeweg um Indien und die arabische Halbinsel herum – ein Hafen am Finnafjord könnte dann zum Verteilzentrum der Fracht werden. Auch für die Rohstoffe aus dem unaufhaltsam auftauenden Grönland wäre der Finnafjord ein möglicher Umschlaghafen.
Die Hafengesellschaft Bremenports hielt diese Ideen für so interessant, dass sie 2014 zum Planungsteam dazustieß. Seitdem ist der Finnafjord auch ein Bremer Projekt. 2019 gründeten die Partner eine Entwicklungsgesellschaft, die Finnafjord Port Development Company (FFPD), die die weitere Planung in die Hand nehmen sollte. Doch dann passierte erst einmal nicht viel. Die Verhandlungen mit den mehr als 20 Grundstückseignern zogen sich in die Länge. Mittlerweile ist man bei der FFPD zuversichtlich, die für das Hafenprojekt benötigten 1200 Hektar Fläche zusammenzubekommen.
Senatorin reist nach Island
Für Bremens Häfensenatorin Claudia Schilling (SPD) schien damit der Zeitpunkt gekommen, nach Island zu reisen und die nächsten Schritte zu besprechen. "Das Hafenprojekt im Nordosten der Insel ist während der Covid-Krise etwas aus dem Fokus gerückt", räumt sie ein. Der Besuch sollte das Thema neu auf die Tagesordnung der isländischen Regierung setzen. In Reykjavik verhandelte ihre Delegation in dieser Woche mit Vertretern der Ministerien für Umwelt und Regionalentwicklung, des staatlichen Energieversorgers Landsvirkjun und der Hafenwirtschaft, in Thorshöfn mit Bürgermeistern und Gemeindevertretern. Ergebnis: Während die ursprünglichen Ideen für den Hafen am Finnafjord vorerst in den Hintergrund rücken, könnte die Debatte um neue, klimaneutrale Energien für Europa dem Projekt eine neue Perspektive geben. "Gerade die Gegend im Nordosten Islands bietet herausragende Möglichkeiten für Windenergie und Produktion und Export von grünem Wasserstoff", glaubt Schilling.
Bislang standen die Isländer der Windenergie eher skeptisch gegenüber. Seit Jahrzehnten nutzen sie die Kraft ihrer Gletscherflüsse und die Hitze der Vulkane, um ihren Bedarf an Strom und Heizwärme zu decken. Windräder dagegen gibt es erst zwei auf der Insel, die so groß ist wie die fünf neuen Bundesländer. "Aber Island ist dabei, seine bislang skeptische Haltung zur Windenergie neu zu definieren", berichtet Schilling. Dabei könnten sich für bremische Unternehmen "sehr gute Kooperationsmöglichkeiten" ergeben. Zu ihrer Delegation gehörte auch Klaus Meier, Gründer des Bremer Windparkentwicklers WPD.
Unumstritten sind industrielle Großprojekte in Island nicht. Gegen Staudämme, Aluminiumschmelzen und auch die ersten Windparks regt sich Widerstand. Und wenn die Elfenbeauftragte Einwände gegen ein Bauprojekt erhebt, muss im Zweifelsfall umgeplant werden. Häfensenatorin Schilling ist dennoch zuversichtlich, dass aus dem Hafen am Finnafjord etwas wird: "Wenn das Projekt Fahrt aufnimmt, kann auf Island erzeugter Wasserstoff noch in diesem Jahrzehnt zum Gelingen der Energiewende in Bremen beitragen."