Wer sich in Oldenburg ein Teeservice kaufen möchte, setzt sich eine FFP-2-Maske auf und betritt einen Porzellanladen. In Bremen dagegen, kaum 40 Kilometer weiter östlich, muss Stefan Storch, Inhaber des Porzellan- und Kristallwarengeschäfts Rabe am Wall, seine Kunden erst einmal um den Impfnachweis oder ein Testergebnis bitten, bevor der Einkauf beginnen kann. "Meine Kunden verstehen das nicht", sagt er. "Und ich kann es ihnen nicht erklären." Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) stellt den Einzelhändlern vorsichtig eine Verbesserung der Lage in Aussicht.
Die 2G-Regel im Einzelhandel sorgt für Verdruss bei Händlern und Kunden. In den meisten Bundesländern darf zurzeit nur einkaufen, wer geimpft ist oder ein aktuelles Testergebnis vorlegen kann. In einigen Ländern jedoch haben Gerichte die 2G-Regel im Einzelhandel gekippt, darunter in Bayern, Baden-Württemberg und auch in Niedersachsen. Bremens großer Nachbar verzichtete nach einem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg bereits beim Weihnachtsshopping auf jegliche 2- oder 3G-Nachweise und belässt es seitdem bei einer Maskenpflicht.
In Bremen dagegen hielt das Oberverwaltungsgericht Anfang Januar an der 2G-Regel fest. Und so müssen Ladenbesitzer wie Stefan Storch nun bei allen Kunden den Impfnachweis oder das Testergebnis kontrollieren, bevor sie ihre Waren anbieten können. "Wir versuchen, das so kundenfreundlich wie möglich zu machen, und im Großen und Ganzen gelingt uns das auch", versichert Storch. "Aber wir sind hier nun mal von Niedersachsen umzingelt, wo diese Regel nicht gilt – und das versteht keiner."
Die Bremer Einzelhändler fühlen sich dadurch benachteiligt. "Der Kontrollaufwand mag im Einzelnen überschaubar sein", sagt Stefan Brockmann, Inhaber der Bremer Niederlassung des Möbelhauses Boconcept. "Aber für viele Kunden entfällt das unbeschwerte Schlendern, das Stöbern. Und das merkt man dann natürlich bei der Kundenfrequenz." Genaue Messungen gebe es nicht, aber um zehn bis 20 Prozent habe sich die Zahl der Shoppingbummler gegenüber vergleichbaren Städten vermindert, schätzt er. "Und entsprechend hängen wir dann auch beim Umsatz hinterher", so Brockmann.
Beim Handelsverband Nordwest, der Bremer und niedersächsische Einzelhändler vertritt, beziffert man den Rückgang der City-Shopper durch die 2G-Regel sogar auf 30 bis 40 Prozent. "Die Corona-Inzidenz in Niedersachsen ist ja nun nicht höher als in Bremen, im Gegenteil" – und das trotz des Verzichts auf Zugangsbeschränkungen beim Einkaufen, sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Jan König. "Der Staat muss die Einschränkungen begründen – und das hat der Staat nicht." Seine Forderung: "2G im Einzelhandel aufheben – es bringt nichts. Eine Maskenpflicht reicht."
Auch die Handelskammer Bremen und die IHK Nord, der Zusammenschluss der norddeutschen Industrie- und Handelskammern, hat diese Forderung bereits in der vergangenen Woche erhoben. Unterstützung kam am Montag von einer Branche, die stets von allen Zugangsbeschränkungen ausgenommen war: den großen Supermarktketten und Lebensmittel-Discountern. In einem Brief ans Bundeskanzleramt, mehrere Bundesminister und den Bundesrat forderten die Chefs von Edeka, Rewe, Aldi und Lidl, die 2G-Regel im gesamten Einzelhandel aufzuheben.
Tatsächlich scheint Bewegung in die Sache zu kommen: Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) hält eine Abschaffung der 2G-Regel im Einzelhandel für denkbar. "In Bremen ist die Belegung der Intensivstationen derzeit stabil, und auf den Normalstationen liegen viele Patientinnen und Patienten nicht wegen, sondern mit einer Corona-Infektion", so Bovenschulte. Angesichts dessen könne man sich einer "Perspektivdebatte" über mögliche Öffnungsschritte nicht verschließen, "beispielsweise über das Ende der 2G-Regelung im Einzelhandel bei konsequenter Maskenpflicht“. Dass eine eigentlich bundesweit verabredete Maßnahme mittlerweile in mehreren Bundesländern nicht mehr gelte, sei ein Problem, räumt Bovenschulte ein – "zumal wenn mit Niedersachsen auch unser einziges Nachbar-Bundesland betroffen ist. Ein solcher Flickenteppich ist nicht das, was wir angestrebt haben.“
Der Epidemiologe Professor Hajo Zeeb von Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie kann "wenig Gegenargumente" gegen die Abschaffung von 2G im Einzelhandel erkennen. Die Inzidenz – also die Ansteckungsrate – und die Belastung der Krankenhäuser seien "deutlich auseinandergerückt". Sprich: Auch wenn sich mehr Menschen mit der grassierenden Omikron-Variante infizieren, sind die Krankenhäuser nicht überfüllt. Und die Impfquote bei älteren Bremen sei hoch, so Zeeb. Allerdings rät der Epidemiologe, die Lage vor einer Entscheidung noch einige Tage zu beobachten, um sicherzugehen, dass sich "keine substanziellen Änderungen insbesondere bei der Belegung der Intensivstationen ergeben".