Da haben sich die Richtigen gefunden. Ein Familienvater, der zu Hause aufgeräumt hat und nun ein paar Fahrräder loswerden will. Und eine Mutter, die für sich und ihre beiden Kinder auf der Suche nach drei gebrauchten Rädern ist. Sie kommen ins Geschäft. Perfekt. Alles passt. Einer der glücklichen Momente auf der Fietsenbörse, die von März bis November alle paar Wochen am Sonnabend auf der Bürgerweide stattfindet. Fietsen – das sind die Fahrräder in den Niederlanden.
Das Rad ist winzig, aber eines mit allen Schikanen. Allein die vielen Gänge. Die Farbe Orange – das knallt, fällt ins Auge, aber ob's ihr gefällt, wenn das Rad im Mai zum Geburtstag ausgepackt wird? "Meine Tochter möchte eigentlich ein grünes", sagt Rama Bah. Doch deswegen so ein Schnäppchen ausschlagen? Nein. Bah, eine 34-jährige Master-Studentin an der Bremer Uni, kauft das Rad. Es sieht wie neu aus, das Schloss ist inklusive und der Preis unschlagbar: 95 Euro. Die Mutter lässt sich am Marktausgang den Kaufvertrag abstempeln, bekommt das Schloss separat in die Hand gedrückt und zieht von dannen. Die beiden anderen Räder hatte sie vorher schon abgeholt.
Verkauf seit zehn Jahren
Die Fietsenbörse gibt es in Bremen seit zehn Jahren. Weitere Standorte sind Osnabrück, Hamburg, Berlin, Münster und Hannover. Zum allergrößten Teil sind es Händler, die teilweise von weither anreisen, um ihre Räder loszuschlagen. Für jedes davon müssen sie dem Veranstalter, einem Unternehmen aus Osnabrück, eine Bearbeitungsgebühr zahlen. Obendrauf kommt die Verkaufsprovision, die sich nach der Größe der Räder staffelt. Beim Kinderrad, das Rama Bah erworben hat, sind es zehn Euro.
Gegen Mittag ist bei stabilem Wetter richtig viel los auf dem Markt. Ein munteres Feilschen und Fachsimpeln. Was zum Beispiel ist mit den Akkus der E-Räder, sind sie gut gepflegt worden und halten entsprechend lange? Abfällige Bemerkungen über Mountainbikes, die an einem der Stände akkurat in Reihe aufgestellt worden sind und alle gleich aussehen. Neuware für 250 Euro das Stück: "Übelste Chinaproduktion", schimpft ein Mann, der sich offenbar auskennt. Anders bei diesem Rad, da kommt er ins Schwärmen: ein Elektro-Mountainbike der Marke KTM mit integriertem Akku und dicken Reifen. "Das hat Downhill-Qualität, geeignet für schwierigstes Terrain." Kaufen tut er's vorerst trotzdem nicht. Bei einem Preis von 1750 Euro will das schließlich gut überlegt sein.
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Andreas Luft sitzt auf der Ladefläche seines Transporters und erledigt Papierkram. Er ist der Marktleiter. "Bevor wir heute Morgen um zehn für den Verkauf geöffnet haben, stand die Schlange bis zur Straße", erzählt der 37-Jährige. Mit dem Frühjahr beginnt die Fahrradsaison – her mit den Drahteseln, am besten günstig und trotzdem gut. Die professionellen Händler geben ein Jahr Garantie. "Sollte mal was sein, kann man sich direkt an die Verkäufer wenden oder an uns und wir vermitteln. Da findet sich immer eine Lösung", sagt Luft.
Ein Euro Eintritt
Das Ehepaar aus Hannover ist zufällig vorbeigekommen. Schon mal die Lage sondieren, denn am Abend steigt im Schlachthof an der Bürgerweide ein Konzert, das sie besuchen wollen: Fiddler's Green, Folk-Rock aus Franken. "Unsere Tochter will sich ein Rennrad anschaffen", erzählen Astrid und Uwe Gelszinnus. Und warum deshalb nicht mal schauen, ob auf der Fietsenbörse etwas dabei ist. "Das ist den einen Euro Eintritt wert."
Sie entdecken ein Rad, sind fast entschlossen. Marke in Ordnung, Farbe auch, zehn Jahre alt und für 350 Euro. Doch dann wird am Telefon zunächst mit der Tochter in Hannover beratschlagt: "Sollen wir, sollen wir nicht?" Schnell noch ein Foto vom Rad geschickt – und zack, schon ist es weg, reserviert von einem anderen Käufer. Pech gehabt, vielleicht aber auch nicht. "Taugt nichts", raunt jemand, der das Gespräch bemerkt. Und nie, wirklich nie, mahnt er, sollte man ein Rennrad kaufen, ohne dass derjenige, der es benutzen will, vorher Probe gefahren ist.
Hundert Jahre altes Lastenrad
Es gibt einen Händler, der verkauft an diesem Vormittag nichts, kein einziges Rad. "Ich glaube, ich bin hier falsch", sagt Olaf Keller, "die Leute suchen nichts Besonderes, die wollen nur ein Rad, ganz einfach." Bei ihm stehen dagegen Unikate, seltene Marken, interessante Nachbauten. Eine Art Lastenrad zum Beispiel, mit großer Holzkiste vor dem Lenker. Gebaut in den 1920er-Jahren von Bauer, einem Unternehmen im hessischen Hanau, das es längst nicht mehr gibt. Keller, ein Bremer, der im Beruf Brand- und Wasserschäden saniert, hat mehr als 20 solcher Fahrräder zu Hause stehen: "Das fing vor zehn Jahren an und hat sich zu einer Macke ausgewachsen. Ich hab' einen Sockenschuss, ehrlich." Die Fietsenbörse ist Neuland für ihn, ein wohl einmaliger Besuch.
Vis-à-vis hockt Andreas Schütte auf einem Schemel und beobachtet das Treiben. Kommen die beiden wohl wieder, wird er sich fragen. Zwei jungen Frauen, die Interesse an einem seiner Fahrräder gezeigt haben; es wäre an diesem Tag bereits der zehnte Verkauf. Gute Quote, oder nicht? "Ich bin mehr gewöhnt", sagt der 64-Jährige, "vergangenes Jahr im August habe ich von 33 Rädern 28 verkauft." Schütte kommt aus Riga in Lettland, Bremens Partnerstadt. Dort schraubt er mit drei anderen Rentnern Fahrräder zusammen – "aus drei mach' eins" – und geht mit seiner Ware regelmäßig auf Tour. "Ich stocke damit meine Rente auf." Übernachtung nicht im Hotel, sondern im Transporter. Man spart, wo man kann.
Die beiden jungen Frauen sind nicht wiedergekommen. Offenbar haben sie woanders auf der Fietsenbörse ein Rad gefunden, es gibt ja so viele davon. Schütte wird's verkraften. Er verkauft 1200 bis 1600 Fahrräder im Jahr und dieses eine wird er sicher auch irgendwann los.