Die Sonne strahlt, der Wind ist ruhig, die Schneedecke dicht. „Bestes Skiwetter“, sagt Birgit Steckelberg, als sie die Kamera Richtung Fenster dreht. Rund 14 000 Kilometer von Bremen entfernt könnte sie sich einen schönen Wintertag bei minus 29 Grad machen, doch die Wissenschaftlerin hat keine Zeit. Seit neun Monaten lebt sie in einer Forschungsstation in der Antarktis. In dieser Eiswüste arbeitet, schläft und isst sie. Besonders Letzteres ist viel abwechslungsreicher als bei etlichen Bewohnern zuvor. Denn seit mehr als einem Jahr wachsen im ewigen Eis der Antarktis Gurken, Kräuter und Salat. „Und heute haben wir die ersten Tomaten geerntet.“
Zu verdanken hat sie das unter anderem Paul Zabel, der am Freitag im Bremer Kontrollzentrum steht, das Kontakt mit Forschern in der Antarktis hält und ein Projekt überwacht, das Zabel aufgebaut hat. Eden-ISS heißt es und ist im Grunde ein Gewächshaus – nur dass es eben in der unwirtlichen Landschaft der Antarktis steht.
Zabel ist Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeitet für den Bremer Ableger des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt (DLR). Er hat mitgeholfen, die Gemüsezucht in der Antarktis einzurichten. Nicht nur, um den Speiseplan der Forscher zu verbessern, sondern auch aus wissenschaftlichen Zwecken. Seine Leitfragen: Kann auch an extremen Orten frisches Gemüse angebaut werden? Und wenn ja: Wie?
Tomaten und Salat auf dem Mond
Beides hat er nun am Freitag beantwortet. Ja, es geht. Und das Gewächshaus, das sich Zabel und seine DLR-Kollegen erdacht haben, ist bestens dafür geeignet. In neuneinhalb Monaten hat Zabel bei seinem Antarktis-Einsatz 268 Kilogramm Lebensmittel gezüchtet. Tomaten, Gurken, Salat, Radieschen und Kohlrabi. Nur die Erdbeeren wollten nicht so wie gewünscht.
Ansonsten sei aber alles weitestgehend ohne Probleme verlaufen. Tests hätten gezeigt, dass das Gemüse genauso viele Nährstoffe hatte wie das aus dem Supermarkt. Lediglich der Nitratwert sei höher, aber noch im Rahmen gewesen. Auch der Geschmackstest habe überzeugt: Zusammen mit seinen Kollegen der Neumayer-Station III des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (Awi) hat Zabel regelmäßig das Essen verfeinert. Sowohl der frische Geschmack als auch der Geruch hätten einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Eden-ISS ist aber kein normales Gewächshaus: Anstatt in Erde wachsen die Pflanzen hier in einer Nährstofflösung. Das Sonnenlicht wird mit LED-Leuchten simuliert. Drei bis vier Stunden hat sich Zabel täglich der Pflanzenzucht gewidmet. „Da müssen wir effizienter werden“, gibt er zu. Und auch beim Energieverbrauch sei noch Luft nach oben: Der sei mit 0,8 Kilowatt pro Quadratmeter relativ hoch – aber immerhin viel niedriger als zuvor angenommen.
Ungefähr fünf Millionen Euro habe Eden-ISS bislang gekostet, sagt Projektleiter Daniel Schubert vom DLR. Eine Investition in die Zukunft. Denn irgendwann sollen nicht nur Antarktis-Forscher in den Genuss dieses Gemüses kommen, sondern auch Astronauten. Das Projekt soll die Grundlage für weitere Forschung sein, bei der es darum geht, ein Gewächshaus samt Gemüsezucht fürs All zu entwerfen. „Wann immer wir mit Menschen in den Weltraum fliegen, ist die Frage: Wie versorgen wir die Astronauten dort?“, sagt DLR-Vorstand Hansjörg Dittus. Besonders wenn es um menschliche Außenposten auf Mond oder Mars geht, stellten sich solche Fragen.
Mit den Ergebnissen von Eden-ISS haben die Wissenschaftler schon ein Konzept entwickelt, wie so ein Gewächshaus auf einem anderen Himmelskörper aussehen könnte. Die nächste Generation sei mit 30 Quadratmetern fast dreimal so groß wie ihr irdisches Vorbild, könne sich aber trotzdem als Ganzes mit einer Rakete ins All bringen lassen. Der Clou: Ein Teil des Gewächshauses wird erst am Zielort entfaltet. Das spart Platz. Projektleiter Schubert geht davon aus, dass man auf diesem Wege etwa 90 Kilogramm frisches Gemüse und Kräuter pro Monat züchten könne. Bei sechs Astronauten, die auf einer Mond- oder Mars-Basis lebten, bekäme jeder ein halbes Kilogramm frisches Essen pro Tag.
Das System der Station soll dabei in sich geschlossen sein, ein Austausch mit der Umwelt soll es nicht geben. Andere Himmelskörper sollen so von menschlichen Keimen verschont werden, sagt DLR-Vorstand Dittus. Auch deswegen gibt es Überlegungen, wie aus dem Urin der Astronauten Düngemittel für die Pflanzenzucht hergestellt werden kann. Dittus sagt aber auch, dass es wohl noch dauern werde, bis Astronauten gärtnern können. „Es ist ein großer Unterschied, ob sie Tomaten auf der Erde ziehen, auf dem Mond oder im Weltall.“
Awi-Direktorin Antje Boetius sieht noch einen weiteren Verwendungszweck in dem Gewächshaus. „Auch auf der Erde kann es in Extremsituationen eingesetzt werden.“ Eine wachsende Weltbevölkerung und der Klimawandel könnten es nötig machen, Gemüse auch in eigentlich ungünstigen Regionen anzubauen. Und auch für Forschungsmissionen des Awi-Forschungsschiffs „Polarstern“ kann sich Boetius vorstellen, dass so ein Gewächshaus zum Einsatz kommt. Dass das Gemüse schmeckt, davon hat sich Boetius schon selbst überzeugt.
Weltraumgemüse in der Botanika
Wer sich für die Gemüsezucht im All interessiert, für den könnte sich ein Besuch in der Botanika lohnen. Seit Juni ist die Dauerausstellung um den Teil „Pflanzen im Weltraum“ erweitert, der sich mit dem Eden-ISS-Projekt des DLR beschäftigt. Die Schau zeigt unter anderem ein voll funktionstüchtiges Modell einer Anzuchtstation für Weltraumgemüse. Genau wie in der Antarktis werden hier regelmäßig Salate oder Tomaten gepflanzt, herangezogen und geerntet.
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