Das Gebiet, um das es geht, ist größtenteils Wüste und um ein Vielfaches größer als Bremen. Dennoch könnte "Neom", die Riesenstadt am Roten Meer, am Ende einen Hauch Bremen abbekommen. Denn der Entwickler, der hinter all dem steht, ist Klaus Kleinfeld. Ein gebürtiger Bremer, Sohn einer Arbeiterfamilie, ehemals Chef von Siemens sowie der US-Aluminiumhersteller Alcoa und Arconic. Er hat mit dem Bauprojekt eine neue Herausforderung angenommen. Als Vorstandsvorsitzender von "Neom" soll er eine Region entwickeln, die mit 26.500 Quadratkilometern so groß ist wie Mecklenburg-Vorpommern. Sie soll sich am Roten Meer über Teile Saudi-Arabiens, Jordaniens und Ägyptens erstrecken. Um die Teile miteinander zu verbinden, so der Plan, entsteht eine große Brücke über das Rote Meer.
425 Milliarden Euro für die Riesenstadt
Allein Saudi-Arabien wird in den kommenden Jahren 500 Milliarden US-Dollar in das Projekt stecken. Das entspricht 425 Milliarden Euro. Kronprinz Mohammed bin Salman hat die Pläne zu diesem Projekt am Dienstag öffentlich gemacht. Es soll die Wirtschaft des Landes breiter aufstellen – unter anderem in den Bereichen Energie, Wasser, Mobilität, Biotech, Ernährung, Digitalisierung – und außerdem die mediale Entwicklung vorantreiben. Der Kronprinz, der auch Premierminister Saudi-Arabiens ist, sagte: "Der Fokus auf diese Gebiete wird das ökonomische Wachstum und die Diversifizierung im Königreich voranbringen. Es soll die Innovation und Produktion zugunsten der lokalen Industrie fördern, um Jobs zu schaffen und die Wirtschaft zu verbessern." Finanziert werden soll "Neom" auch durch private Investitionen.
Als "Neom"-Vorstandsvorsitzenden hat sich der Kronprinz für Klaus Kleinfeld entschieden. Sie kennen sich bereits einige Zeit, wie Kleinfelds Sprecher Norbert Essing dem WESER-KURIER sagte: "Im Jahr 2015 eröffnete Alcoa in Saudi-Arabien eine Fabrik." Dadurch hatten Kleinfeld und der Kronprinz schon miteinander zu tun. Der Aluminiumhersteller hat außerdem seit 2009 ein Joint Venture mit der saudi-arabischen Minengesellschaft.
Die geplante Region soll nicht nur Freihandelszone werden, sondern auch Symbol für ein offenes liberales Saudi-Arabien sein im Gegensatz zur derzeitigen Situation. Denn konservative Kräfte, so der Plan, werden auf diese Region keinen Zugriff erhalten. Essing ergänzte: "Frauen sollen dort ohne Schleier herumlaufen können. Die Universitäten sollen so erfolgreich wie Havard in den USA sein." Dem Kronprinz schwebt vor, dass sich in "Neom" das Beste aus dem arabischen Teil, aus Asien, Afrika, Europa und Amerika verbindet.
Globales Drehkreuz für Asien, Europa und Afrika
Die Lage am Golf von Akaba nördlich auf der gegenüberliegenden Küstenseite des beliebten ägyptischen Urlaubsortes Scharm El-Scheich ist absichtlich gewählt und soll zum globalen Drehkreuz für Asien, Europa und Afrika werden – 70 Prozent der Weltbevölkerung könnten den Ort in weniger als acht Stunden erreichen. Natürlich werden dann auch entsprechende Flughäfen gebaut. "Das Land will sich so unabhängiger vom Öl machen", sagte Essing. "Neom" ist Teil von Saudi-Arabiens Wirtschaftsprogramm Vision 2030. Es gehe auch darum, dass sich das Land fit mache für die Zeit, wenn die Ölquellen, aus denen Saudi-Arabien seinen Reichtum bezieht, versiegen.
Die Region, die es bislang nur auf dem Papier gibt, soll ihren Strom nur aus alternativen Energien wie Sonne und Wind gewinnen. Bin Salman fügte an, wie er seine Vision für "Neom" sieht: "Wir schaffen Transportlösungen vom autonomen Fahren bis zu Passagierdrohnen, neue Wege bei der Entwicklung und Produktion von Lebensmitteln, Gesundheitsversorgung rund um den Patienten, drahtloses Highspeed-Internet gratis, kostenfreies Online-Lernen auf Weltniveau, E-Governance mithilfe des Fingerabdrucks, eine Stadtentwicklung, die Wege zu Fuß und mit dem Fahrrad ermöglicht – und all das betrieben aus erneuerbaren Energien." Die gesamte Technik soll zu 100 Prozent automatisiert sein, alles im Alltag papierlos funktionieren.
Doch allein finanzieren will Saudi-Arabien "Neom" am Ende dann nicht. Deshalb wird dort seit Dienstag eine Investorenkonferenz mit 2500 Teilnehmern aus 60 Ländern veranstaltet. So könnte insgesamt eine Summe von mehr als einer Billion Euro zusammenkommen. Der Kronprinz sagte bei der Konferenz: "Wir sind dabei, zu dem zurückzukehren, was wir früher waren: ein Land des moderaten Islams, das der ganzen Welt und allen Religionen offen steht."
Kleinfelds Vision des Projekts
Vor diesem neuen Engagement hatte Kleinfeld zuletzt den US-Metallkonzern Arconic geführt und war dort über einen Streit mit Investoren gestürzt. Davor arbeitete er 20 Jahre für Siemens. Auf der Podiumsdiskussion am Dienstag sagte Kleinfeld, er denke bei dem Projekt weniger an eine Stadt, sondern an viele Dörfer und Gemeinschaften, die zusammen "einen Haufen Geld verdienen" könnten. Nach dieser Äußerung lächelte der Kronprinz. Kleinfelds Sprecher Essing sagte, der Lebensmittelpunkt des Bremers blieben weiter die USA.
Für Ärger mit dem Nachbarland Ägypten könnten die auf einem Satellitenbild eingezeichneten Grenzen der neuen Stadt führen. Diese beinhalten auch die zwischen den beiden Ländern umstrittenen Inseln Tiran und Sanafir. Die ägyptische Regierung hatte im April 2016 ein Abkommen mit Saudi-Arabien unterzeichnet, das die beiden unbewohnten Inseln im Golf von Akaba unter Kontrolle der Golfmonarchie stellen sollte. Das löste Protest in der Bevölkerung aus.
Bis "Neom" fertiggebaut ist, werden noch einige Jahre vergehen. Aber spätestens dann wird sich zeigen, ob am Ende nicht vielleicht doch ein kleines bisschen Bremen in der neu geschaffenen Region steckt.