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Drogeriemarktriese Schlecker zahlungsunfähig Bremer reagieren verunsichert auf Schlecker-Pleite

Bremen·Ehingen. Der Schock kommt am Freitagmittag: Der Drogerieriese Schlecker ist zahlungsunfähig, eine sogenannte Planinsolvenz soll das Unternehmen retten. Seitdem steht beim Betriebsrat in Bremen das Telefon nicht mehr still. Vieles ist unklar.
20.01.2012, 19:00 Uhr
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Von Arno Schupp

Die Drogeriemarktkette Schlecker ist pleite. Das Unternehmen will spätestens am Montag einen Antrag auf Planinsolvenz stellen, um damit unter Gläubigerschutz den laufenden Unternehmensumbau fortzusetzen, teilte Schlecker mit. Der Geschäftsbetrieb soll unverändert weiterlaufen, die Zahlung der Gehälter für die Angestellten sei über das Insolvenzausfall-Geld gesichert, hieß es gestern. Zu dem Schritt sah sich das Unternehmen gezwungen, weil eine geplante Zwischenfinanzierung geplatzt sei, hieß es am Freitag.

Diese Meldung lief über die Nachrichtenagenturen. "Seitdem steht das Telefon kaum noch still", sagte Antje Treptow, Betriebsrätin bei Schlecker in Bremen. Immer wieder sprach sie mit Kollegen, erklärte ihnen, dass sie auch nicht genau sagen könne, was dieser Schritt mittelfristig bedeute. Dass es in den Medien hieß, der Geschäftsbetrieb laufe weiter, die Beschäftigten also am nächsten Tag wieder ganz normal zur Arbeit gehen sollten. Wobei Normalität etwas ist, dass man bei Schlecker schon lange sucht.

Noch am Vortag wurde bundesweit über Filial-Schließungen diskutiert, am Freitag nun ging es um den Gesamtkonzern, um ein Tausende Läden umfassendes Filialnetz und etwa 30000 Jobs, rund 200 davon in Bremen und im Bremer Umland. Seit Jahren bereits steckt der einstige Pionier des deutschen Einzelhandels in Schwierigkeiten, hatte Junior-Chef Lars Schlecker im Mai vorigen Jahres eingeräumt. Der Drogerieriese fuhr Verluste ein, beim Umsatz könne die Kette bald von dem kleineren Konkurrenten DM überholt werden, gestand Schlecker junior damals. Im Geschäftsjahr 2010 sei der europaweite Umsatz um rund 650 Millionen Euro auf 6,55 Milliarden Euro gesunken, und auch für 2011 rechnete der schwäbische Familienkonzern erneut mit sinkenden Erlösen.

Umbau geplant

Schlecker reagierte, Ende vorigen Jahres kündigten die Geschäftsführung den Umbau des Unternehmens an. Aus eigener Kraft sollte der "Turnaround" 2012 geschafft werden, hieß es. Ein Baustein dabei sollte sein, mit der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di einen Sanierungs-Tarifvertrag abzuschließen. Die Gewerkschaft hat daraufhin einen Gutachter in das Unternehmen geschickt, "der im Moment die Zahlen prüft", sagt Heiner Schilling, Landesfachbereichsleiter Einzelhandel im Ver.di-Landesbezirk Niedersachsen-Bremen. Ein weiterer Baustein war die Schließung von Filialen. Jetzt hat eine geplatzte Zwischenfinanzierung all diese Pläne durchkreuzt, jetzt geht es ums Ganze, wenn am Montag der Insolvenzantrag gestellt wird.

Die ausgefallene Zwischenfinanzierung kam dem Vernehmen nach auch für die Geschäftsführung in Ehingen sehr überraschend. Um welchen Betrag es geht, wollte ein Schlecker-Sprecher gestern nicht sagen. Jedenfalls könnten die weiteren Maßnahmen der laufenden Restrukturierung nicht so umgesetzt werden wie geplant. Dazu gehörte unter anderem auch die dringend erforderliche Umgestaltung und Modernisierung weiterer Filialen sowie die Neuorganisation der Logistik.

"Wir glauben an die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens", erklärte der Schlecker-Sprecher am Freitag. Wie diese Zukunft aussehen kann, will der Drogerieriese den Gläubigern in dem Insolvenzantrag erklären. Eine Art Sanierungskonzept soll vorgelegt werden, voll mit Vorschlägen, wie es weitergehen kann. Das dürfte vor allem auch die Mitarbeiter beschäftigen, die gestern erst am Nachmittag über die Situation informiert wurden - per Fax, Stunden nachdem die Meldungen über die Schlecker-Pleite bereits über die Nachrichtenticker liefen.

Eine Neuausrichtung der Schlecker-Märkte sei richtig, sie komme jedoch "viel zu spät", kritisierte der Bremer Ver.di-Gewerkschaftssekretär Richard Schmid. "Schlecker ist über Jahrzehnte hinweg wirtschaftlich erfolgreich gewesen, darauf hat sich die Unternehmensleitung ausgeruht und die Zeichen der Zeit verschlafen." Schlecker habe zu lange an dem Konzept der kleinen Läden um die Ecke festgehalten, während sich die Mitbewerber mit immer größeren Flächen neu aufstellten. "Inzwischen haben viele Lebensmittel-Einzelhändler eine größere Drogerie-Fläche als die kleinen Schlecker-Märkte", sagt Schmid. Und noch einen Faktor gibt es, der die Drogeriekette Kunden gekostet haben dürfte, so der Gewerkschaftssekretär: "Das schlechte Image, das Schlecker wegen des Umgangs mit den Beschäftigten anhaftet."

Kritik kommt auch von anderer Stelle: "Anton Schleckers Konzept funktionierte nur da ganz ordentlich, wo er konkurrenzlos war", erklärte gestern der Discountexperte Matthias Queck vom Handelsinformationsdienst Planet Retail. "Schleckers System basierte im Wesentlichen darauf, immer neue Filialen zu eröffnen und sich das von den Lieferanten mitfinanzieren zu lassen", erläuterte Queck. Dieses System müsse aber irgendwann zusammenbrechen, weil nicht ohne Ende in Deutschland neue Filialen eröffnet werden könnten.

Zuletzt hatte Schlecker noch rund 7000 Läden in Deutschland und etwa 3000 weitere in Österreich, Spanien, Frankreich, Italien, Tschechien, Polen und Portugal. Im Wettbewerb hatten die Konkurrenten DM (Karlsruhe) und Rossmann zuletzt aufgeholt. Dessen Gründer Dirk Roßmann erklärte gestern, die Insolvenz sei "eine Katastrophe für die Mitarbeiter und die Inhaberfamilie, die ich seit über 35 Jahren persönlich kenne". Die rückläufigen Erlöse und der geringe Durchschnittsumsatz der einzelnen Filialen hätten die Entwicklung in der Branche absehbar gemacht.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di forderte in einer ersten Reaktion vollen Einsatz der Unternehmensspitze für die Jobs: "Anton Schlecker trägt als Eigentümer persönlich die Verantwortung für seine Beschäftigten. Besonders in einem solchen Falle gilt: Eigentum verpflichtet", erklärte Stefanie Nutzenberger, Ver.di-Vorstandsmitglied für den Handel. Die Beschäftigten hätten sich selbst mit viel Einsatz für das Unternehmen eingesetzt - nun müsse Schlecker sich ebenfalls für einen Erhalt von möglichst vielen Jobs einsetzen. Bislang hatte es keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben.

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