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Auf der Suche nach kostbarer Seide Bremerin reist für Stoffe um die Welt

Bremen. Im "Seidenhaus" von Ilse Tonne hängen Saris aus Indien neben bestickten Jacken aus Usbekistan und Möbelseide. Seit rund 30 Jahren betreibt sie ihren Laden. Die Begeisterung für den Stoff hat sie vor über 50 Jahren auf einer Reise entdeckt.
05.02.2012, 05:00 Uhr
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Von Carolin Küter

Bremen. Im "Seidenhaus" von Ilse Tonne hängen Saris aus Indien neben bestickten Jacken aus Usbekistan und Möbelseide. Seit rund 30 Jahren betreibt sie ihren Laden. Die Begeisterung für den Stoff hat sie vor über 50 Jahren auf einer Reise nach Thailand entdeckt. Seitdem ist sie auf der Suche nach Seide durch die halbe Welt gereist.

Ilse Tonnes "Seidenhaus" am Rembertiring ist eigentlich eher eine Seidenkammer. Seidenschals, Seidenjacken, Seidenröcke, Seidenkleider: In dem höchstens 15 Quadratmeter großen Ladengeschäft stapelt sich der Stoff fast bis unter die niedrigen Decken. In der Mitte steht ein alter Holztisch, vollgepackt mit Stoffballen und Schmuckkästchen. Eingezwängt zwischen zwei Kleiderstangen in einer Ecke hinten im Raum ist noch Platz für ein Tischchen mit Kasse. Davor steht die Besitzerin, gekleidet in ein Kostüm aus roter Wildseide. "Das ist meine Lieblingsseide", sagt sie. "Die stammt von einem wilden Seidenschmetterling, der umherfliegt und alles frisst."

Ilse Tonne weiß das genau, weil sie selbst seit über 50 Jahren durch die Welt reist und dabei Seide einkauft. Unter anderem in Thailand, Russland und China hat sie sich auf die Suche nach den schimmernden Stoffen gemacht. "Die einzigen asiatischen Länder, in denen ich nicht war, sind Korea und Vietnam", sagt sie. Begonnen hat ihre Faszination für Seide mit ihrer ersten Asienreise 1959. Als 26-Jährige war sie in Thailand unterwegs. Auf den Basaren dort habe die Farbenpracht sie geradezu erschlagen, schwärmt sie. "Die Seide hier in Deutschland ist nichts dagegen. Die Leuchtkraft der Farben und diese Menge an Stoffen. Dazu die Sonne. Das wirkt ganz anders als bei uns."

Das hat ihre Neugier gereizt. Da musst du dich schlau machen, habe sie sich gedacht, hat die Händler angesprochen, sich bei Taxifahrern erkundigt und ist durchs ganze Land gefahren, einfach so, "auf blauen Dunst". Sie besuchte Stofffabriken in der nordthailändischen Stadt Chiang Mai und Bauernfamilien, die in den Bergen an der nordthailändischen Grenze zu Myanmar lebten und von Hand webten. Mit der Verständigung habe es immer irgendwie geklappt, in den Fabriken mit Englisch, bei den Bauersfrauen mit Händen und Füßen. Tonne: "Die haben sich schon gewundert, als ich da auftauchte und Seide kaufen wollte. Aber Probleme gab es nie."

30 Ballen Seide im Gepäck

Von der ersten Reise hat sie 30 Ballen, rund 4000 Meter Stoff, mit nach Hause gebracht. Neben ihrem eigentlichem Beruf als Buchhalterin in einem Handelsunternehmen verkaufte sie den Stoff über eine Daueranzeige in der Zeitung. Nach einem Vierteljahr war die Seide verkauft. Seitdem ist sie jedes Jahr nach Asien gereist. Für sie als kleine Händlerin habe es sich nicht gelohnt, Geschäftsreisen zu planen, so Tonne. "Da muss man dem Finanzamt jeden Schritt nachweisen. Also habe ich private Reisen gemacht." Während sie mit touristischen Gruppen unterwegs war, setzte sie sich zwischendurch ab und suchte per Taxi nach Seidenhändlern, erzählt sie. Viel Schlaf habe sie dabei nicht bekommen.

In Deutschland lief der Verkauf der Seide so gut, dass sie das Nebenbeigeschäft irgendwann überrollte, so Tonne. Das muss man größer aufziehen, habe sie sich gedacht. Anfang der 1980er Jahre kündigte sie ihren Job in dem Handelsunternehmen, wo sie inzwischen Geschäftsführerin war, und eröffnete das "Seidenhaus". Zunächst auf 45 Quadratmetern im Fedelhören. Ihre Kunden waren Schneiderinnen oder Privatpersonen, den großen Handel hat sie nie beliefert.

Bis sie anfing, Seidenstoffe zu verkaufen, habe sie sich nur wenig damit ausgekannt, sagt sie. Auf ihren Reisen hat sie die Bäuerinnen ein paar Mal beim Spinnen der Seide beobachtet, "den Rest habe ich mir im Internet angelesen".

Sie erklärt, wie der Stoff entsteht: Die Eier der Schmetterlinge, in denen die Seidenraupen brüten, werden von den Bäumen gesammelt. Anschließend legt man sie auf erwärmte Holzbretter, die mit Maulbeerblättern ausgelegt sind. Die Raupen fressen sich durch die Blätter und verpuppen sich mit einem Seidenfaden. "Wenn die Maden nach 30 Tagen einen circa einen Zentimeter großen Abstand haben, wirft man sie in heißes Wasser", erzählt Tonne. "Dadurch kann man den Anfang des Fadens besser finden." Dieser wird bis zu 2000 Meter lang. Er wird aufgefädelt und kann anschließend gewebt werden. Die nackten, toten Raupen werden gegessen. "Man muss allerdings aufpassen, dass man die Raupen rechtzeitig tötet, sonst beißen sie sich durch den Kokon", sagt Tonne. Dann ist der lange Faden in viele Einzelteile zerbissen. Die Seide, die daraus entsteht, ist teurer, da es aufwendiger ist, den Faden zu spinnen.

Im "Seidenhaus" verkauft sie beide Seidenarten."Fast alles, was man anziehen kann", hat sie in ihrem Geschäft hängen, mit dem sie 2001 vom Fedelhören in ein kleineres Ladengeschäft am Rembertiring zog. Neben T-Shirts, Pullovern, Röcken, Jacken oder Unterwäsche verkauft sie auch Kleidung aus Kaschmir oder Baumwolle. Auf dem großen Tisch in der Mitte liegen Perlen, Anhänger und Ringe. "Die habe ich aus Mexiko oder von anderen Reisen immer mal wieder mitgebracht", erzählt Ilse Tonne. An den Kleiderstangen der Wände ihres kleinen Ladens hängen unter anderem eine bestickte Jacke aus Usbekistan, Saris aus Indien oder Kimonos aus Japan, dichtgedrängt neben Kostümen in gedeckten Farben. Darüber stapeln sich Stoffballen, unter anderem mit Möbelseide.

"Seide eignet sich für alles und für jeden", sagt Tonne. "Vor allem Unterwäsche verkauft sich gut." Zielsicher kramt sie ein bunt geringeltes Kleid hervor. Das sei vor allem im Sommer sehr gefragt, denn der Stoff sei sehr leicht und trotzdem nicht durchsichtig. Sofort fallen ihr weitere Argumente für ihren Lieblingsstoff ein: Seide hält bei Kälte warm und bei Hitze kühl, ist unbehandelt, unempfindlich und vor allem zeitlos: "Seide ist nicht auf Mode getrimmt, da muss man langfristig denken."

Um die norddeutschen Käufer für die farbenfrohen Stoffe aus Fernost zu begeistern, hat Ilse Tonne einige Jahre gebraucht. "Am Anfang haben die Bremer nur blaue und lodengrüne Seide gekauft. Es hat lange gedauert, bis ich sie umdressiert hatte." Funktioniert habe das nicht bei allen, erzählt sie lachend. Auch heute noch verkaufen sich bunte Stücke schlechter als einfarbige.

Bis zu 200 Euro pro Meter

Der Preis der Seide richtet sich unter anderem nach Raupenart und Herkunftsland. Seide von Wildraupen ist im Durchschnitt günstiger als die von gezüchteten Raupen. Die Preisspanne für einen Meter Stoff reicht je nach Art und Herkunft der Seide von acht bis zu 200 Euro. Am günstigsten ist dünne Seide zum Bemalen, gute Stoffe für Kleidung bekommt man ab 40 Euro pro Meter. Möbelseide ist am teuersten. Für die europäischen Stoffe aus Frankreich und Italien bezahlt Tonne mehr als für die asiatischen, weil die Hersteller den Stoff selbst importieren müssen.

Nach über 50 Jahren im Geschäft kennt die Bremerin den Seidenmarkt genau. So sei das Geschäft mit den chinesischen Händlern im Moment schwierig, denn die hätten den Preis in den letzten drei Jahren um gut ein Viertel angehoben. Außerdem müsse man aufpassen, dass einem nicht gelegentlich minderwertige Stoffe untergeschoben würden.

Jedes Herstellerland hat seine eigenen Vorzüge: Die chinesische Ware ist meist maschinengewebt, mit schönen Stoffen, aber "furchtbaren Mustern", findet Ilse Tonne. In Indien hingegen sind 90 Prozent der Seide handgemacht, die indische Wildseide ist ihrer Meinung nach unvergleichlich gut, die besten Kleider kommen aus Thailand. Scherereien mit den Händlern gibt es immer mal wieder, erzählt Tonne. Details behält sie aber lieber für sich. Schlechte Erfahrungen könne sie jedoch größtenteils vermeiden, indem sie erst einmal kleine Pakete bestelle und die Ware so überprüfe.

Mit der Faszination für Seide hat es angefangen, die Neugier hat Ilse Tonne schließlich um die halbe Welt getrieben. "Reisen ist das Schönste an meinem ganzen Laden", sagt sie. Über ihre Erlebnisse und Begegnungen hat sie ein Buch geschrieben. "Hinter dem Horizont geht es weiter" heißt es, kaufen kann man es unter anderem in ihrem Geschäft.

Fragt man sie nach ihrem Alter ist die Antwort "steinalt". Aber kein Grund aufzuhören, das "Seidenhaus" will sie betreiben, solange es noch geht. "Eigentlich müsste ich aufhören", sagt sie. "Ich will ja noch reisen." Seit rund einem Jahr ist sie nicht mehr weggewesen, nach einem Sturz hat sie sich ein Handgelenk und die Rippen gebrochen. Sobald die Brüche abgeheilt sind, will sie nach Tunesien fliegen und dort eine befreundetete Familie besuchen. Seide könne man dort nicht kaufen, sagt Ilse Tonne. "Diese Reise ist ganz privat."

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