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Auch Bremer Unternehmer warnt Bürgergeld und Mindestlohn: Lohnt sich die Arbeit noch?

Zum Jahresbeginn wird das Bürgergeld um rund zwölf Prozent erhöht. Niedriglohnbranchen wie die Gebäudereiniger befürchten, dass ihnen dadurch das Personal abhanden kommt. Was ist dran an den Berechnungen?
09.11.2023, 05:00 Uhr
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Bürgergeld und Mindestlohn: Lohnt sich die Arbeit noch?
Von Christoph Barth

Arbeiten für zwölf oder 13 Euro in der Stunde – oder Bürgergeld ­erhalten? Gebäudereinigungsunternehmen und Firmen anderer Niedriglohnbranchen fürchten, dass ihnen das Personal abhandenkommt, wenn das Bürgergeld zum 1. Januar um zwölf Prozent erhöht wird. Wissenschaftler rechnen zwar vor, dass Arbeit zum Mindestlohn immer noch mehr einbringt als das Bürgergeld. Trotzdem gibt es offenbar Fälle, in denen Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz zugunsten des Bürgergeldes aufgeben – Unternehmen und Verbände schlagen Alarm.

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Was sagt die Gebäudereinigerbranche?

In der Herbst-Konjunkturumfrage des Bundesinnungs­verbandes der Gebäudedienstleister hatten 28,4 Prozent der Unternehmen angegeben, dass bereits mehrere Beschäftigte mit Verweis auf das Bürgergeld gekündigt hätten. Weitere 40 Prozent sprächen von „Einzelfällen“, bestätigten aber den Trend, heißt es in der Untersuchung. „Dass das neue Bürgergeld bei sieben von zehn Unternehmen in Deutschlands beschäftigungsstärkstem Handwerk die Personalnot verschärft, sollte die Politik dringend alarmieren“, kommentierte Bundesinnungsmeister Thomas Dietrich die Zahlen. Es drohe eine „gefährliche Entwicklung“ auf dem Arbeitsmarkt.

Wie sieht es beim Bremer Marktführer aus?

Beim Bremer Marktführer Söffge hat man noch keine Abwanderungstendenzen unter den rund 2500 Beschäftigten festgestellt. „Aber von anderen Betrieben aus unserer Landesinnung – etwa in Osnabrück, Holdorf oder Oldenburg – höre ich das durchaus“, berichtet Unternehmenschef Arne Söffge, der auch im Vorstand des Innungsverbandes sitzt. Mit der beschlossenen Erhöhung des Bürgergeldes könnten die Gehaltssteige­rungen in der eigenen Branche nicht mithalten. „Die Entwicklung darf so nicht weitergehen, der finanzielle Anreiz zu arbeiten muss deutlich gewahrt bleiben", fordert Söffge.

Um welche Beträge geht es?

Die Löhne für Gebäudereiniger liegen etwas über dem gesetzlichen Mindestlohn. Zum Jahresbeginn steigt der Mindestlohn in der Branche von 13 Euro auf 13,50 Euro in der Stunde; höher qualifizierte Fachkräfte in der Lohngruppe 6 erhalten dann mindestens 16,70 Euro. Die Erhöhung des Bürgergeldes zum 1. Januar sorgt dafür, dass allein­stehende Erwachsene dann 563 Euro im Monat erhalten – das sind 61 Euro mehr als bisher. Bereits zum 1. Januar 2023 hatte die Berliner Ampelkoalition die alten Hartz-IV-Sätze mit Einführung des Bürgergeldes um 53 Euro erhöht. Binnen eines Jahres erhalten Bürgergeldempfänger dort also 25 Prozent mehr.

Was sagt die Gewerkschaft?

Die Gewerkschaft IG Bau hält die Umfrage des Bundesinnungsverbandes für „höchst unseriös“. Sie basiere auf Annahmen statt auf Fakten. „Wieder einmal sollen Menschen mit niedrigem Einkommen gegeneinander ausgespielt werden“, kritisiert Ulrike Laux, Vorstandsmitglied der IG Bau. Die Erhöhung des Bürgergelds sei nicht der Grund für die Kündigungen. Wenn Beschäftigte gingen, dann vor allem deshalb, weil sie in anderen Branchen mehr verdienten oder keine Vollzeitstelle bekommen hätten.

Lohnt sich eine Vollzeitstelle mit Mindestlohn finanziell gegenüber dem Bürgergeld?

Nach Berechnungen des gewerkschafts­nahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) lohnt es sich weiterhin, zu arbeiten, statt sich mit dem Bürgergeld „auf die faule Haut zu legen“. Alleinstehende, die in Vollzeit zum gesetzlichen Mindestlohn arbeiten, verdienen demnach netto 532 Euro pro Monat mehr als die Bezieher von Bürgergeld.

Zur Sache

Mehr arbeiten, weniger verdienen

Unter bestimmten Umständen kann es vorkommen, dass mehr Arbeit und ein höheres Einkommen nicht für mehr Geld in der Haushaltskasse sorgen. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hat solche Fälle in einem Gutachten berechnet, über das die „Zeit“ berichtet.

Ein Beispiel: eine Münchner Familie mit zwei Schulkindern; ein Elternteil arbeitet und verdient 4000 Euro brutto. Mit allen Sozialleistungen, zum Beispiel Wohngeld, Kindergeld und Kinderzuschlag, kommen 4125 Euro in die Haushaltskasse. Mehr Arbeit oder eine Gehaltserhöhung um 1000 Euro brutto würden das Haushaltseinkommen allerdings nicht steigern, sondern sogar um 22 Euro verringern, weil Steuern sowie Sozialabgaben steigen, während sich der Anspruch auf Sozialleistungen verringern würde.

Weniger Arbeit und der Verzicht auf 1000 Eu­ro Bruttogehalt wiederum würden das gesamte Haushaltseinkommen um nicht einmal 100 Euro vermindern. Das heißt: Ob der berufstätige Elternteil 3000, 4000 oder 5000 Euro verdient, macht für die Haushaltskasse einen relativ geringen Unterschied.

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