Deutschland in Richtung Süden entfliehen – nicht für zwei Wochen, sondern idealerweise für immer. Das ist der Traum vieler Auswanderer, von denen es traditionell etliche auf die Kanarischen Inseln zieht. Der Traum vom Auswandern ist auch ein Geschäft, auf das sich zwei Bremer Schulfreunde spezialisiert haben. Sie sind nah dran an allen Höhen und Tiefen, die Auswanderer erleben. Auf deutscher Seite ist da Heino Juschas, seit 47 Jahren im Logistikgeschäft tätig. Er ist Export-Direktor der Bremer Firma Pangaea Cargo, die weltweit Container verschifft. Ein Schwerpunkt sind dabei Umzüge, vor allem Autos, aber auch alles andere, was bei einer Auswanderung mit soll. Auf Gran Canaria lebt und arbeitet seit 33 Jahren Frank Neitzel. Er organisiert Umzüge von und nach Deutschland – auf Wunsch von Haus zu Haus.
Für beide ist seit Beginn der Corona-Pandemie vieles anders. Neitzel sagt, er mache sich Sorgen. Sorgen um die Kanaren, um die Auswanderer, die große deutsche Gemeinde, auch um seine Zukunft. Mit der Corona-Krise sei der Traum vieler Auswanderer geplatzt. „Viele schnappen sich gerade ihre Familie, steigen ins Auto und flüchten mit der Fähre von der Insel“, sagt Neitzel.
Die Pandemie habe Existenzen zerstört. „Ich bin kein Leichenfledderer, aber aktuell gibt es für mich mehr Arbeit als sonst“, sagt er. 20 Rückführungen nach Deutschland habe er im vergangenen Monat organisiert – so nenne man das, wenn ein Traum geplatzt ist. „Eine Kundin hatte für Dezember einen Container gebucht. Den musste sie jetzt stornieren, weil das Geld nicht mehr reicht“, erzählt der Spediteur. Wer ein Auto oder Möbel zurücklasse, weil der Transport nach Deutschland zu teuer sei, müsse vor Ort zu Spottpreisen verkaufen. „Keiner hat mehr Geld.“
Ganz so dramatisch klingt das bei Juschas nicht, aber auch er berichtet von vielen Rückkehrern. Vor vier Wochen sei er zuletzt auf den Kanaren gewesen, habe dort ähnliche Eindrücke wie sein Schulfreund Frank Neitzel gesammelt. Zwei Rentner seien zuletzt mit der Pangaea Cargo zurückgekehrt. „In Deutschland fühlen sie sich besser aufgehoben, falls was passiert“, sagt Juschas. Auch zwei Masseure hätten den Kanaren den Rücken gekehrt, weil es in den meisten Hotels keine Arbeit mehr für sie gebe. Einen Kunden habe er erst vor einem Jahr auf die Kanaren gebracht – und jetzt dessen Rückkehr organisiert. „Der hat in einem Jahr mehr als 100.000 Euro verloren“, sagt Juschas. Er kenne viele ähnliche Geschichten, reden wolle jedoch kaum jemand darüber: „Die meisten Rückkehrer sehen sich als persönlich gescheitert, obwohl eigentlich die Pandemie dafür verantwortlich ist.“
Ausgleich durch viel Einsatz im Sommer
Eine Bekannte von Juschas allerdings will ihre Geschichte erzählen. Auf sechs Seiten hat Ilka van Lin alles aufgeschrieben: wie sie im Herbst 2003 nach Gran Canaria kam, sich lange mit befristeten Jobs in der Gastronomie durchgeschlagen hat, dann im vergangenen Jahr ihre Chance auf etwas Eigenes gekommen sah. Ein Jahr hat ihre kleine Bar überlebt. Die wochenlange Schließung im Frühjahr habe sie noch durch viel Einsatz im Sommer ausgleichen können. „80 Stunden in der Woche für weniger Geld als eine Angestellte zu arbeiten, hat mir nichts ausgemacht“, erzählt van Lin. Mit einer Mieterhöhung im Juli sei es dann allerdings vorbei gewesen; Ende August hat van Lin ihre Bar aufgegeben. Auf der Insel ist sie geblieben.
Trotz dieser Schicksale: Selbst in der Corona-Krise lebt der Traum von einigen Auswanderern ungebremst weiter. Auch jetzt noch bringe seine Firma Menschen auf die Kanaren, erzählt Juschas. Einer wolle die aktuell niedrigen Preise nutzen, um ein Restaurant zu eröffnen. Diese Aufträge seien für seine Firma natürlich gut, aber grundsätzlich bekomme auch er die Auswirkungen der Pandemie zu spüren.
Juschas ist viel unterwegs, 54 Länder habe er schon bereist, sagt der Spediteur. Vor allem nach China habe er gute Kontakte, 500 bis 600 Autos verschiffe er dorthin pro Jahr. „Dieses Geschäft ist seit November völlig eingebrochen“, sagt Juschas. Viel zu lange sei er schon nicht mehr da gewesen. „Dabei ist das gerade in China sehr wichtig. Persönliche Kontakte spielen da eine große Rolle.“
Für Spediteure auf den Kanaren sei es, abgesehen vom Geschäft mit Auswanderungen, eine harte Zeit, sagt Neitzel. In den Häfen kämen aktuell nur Container mit Lebensmitteln an, alles andere sei auf Eis gelegt. „Keine Investitionsgüter, kein Baumaterial. Niemand will hier aktuell bauen oder investieren“, sagt Neitzel. Sollte die touristische Hauptsaison im Winter wegbrechen, wie Neitzel es befürchtet, sehe er schwarz. „Dann gibt es im Frühjahr den Supergau. Weder Deutsche noch Einheimische werden Arbeit haben.“ Er selbst habe aktuell zwar noch genug zu tun, aber ihn besorgen die langfristigen Auswirkungen für Gran Canaria und sein Unternehmen. Neitzel sagt: „Der Letzte macht dann das Licht aus.“