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Teicherts feine Papiere Das Verschwinden der kleinen Läden

Marlene Teichert will ihr Geschäft "Teicherts feine Papiere" in absehbarer Zeit aufgeben. Sucht sie vergebens, könnte ein weiterer inhabergeführter Laden in der Innenstadt Bremens verloren gehen.
17.08.2017, 00:00 Uhr
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Das Verschwinden der kleinen Läden
Von Silke Hellwig

Marlene Teichert will ihr Geschäft sobald wie möglich aufgeben. Seit 1985 existiert "Teicherts feine Papiere", erst im Viertel, seit fast 20 Jahren am Domshof. Die Passage sei eine sehr gute Adresse, entsprechend falle die Miete aus. „Reich wird man hier nicht“, sagt Marlene Teichert, „aber meine Arbeit hat mir immer großen Spaß gemacht. Ich war immer gerne im Einzelhandel selbstständig.“ Doch im Alter von 70 Jahren sei es an der Zeit, langsam Abschied zu nehmen.

Marlene Teichert hat bislang keinen Nachfolger; es gibt noch niemanden, der in absehbarer Zeit ihren Laden samt Sortiment übernehmen würde, und Teichert weiß nicht, was daraus wird, wenn ihr Mietvertrag in gut zwei Jahren endet. Ein weiteres inhabergeführtes Geschäft könnte verloren gehen. Der Anteil dieser Läden in der zentralen Innenstadt ist nach Einschätzung der City-Initiative Bremen niedrig; in der Söge- und Obernstraße liege er unter zehn Prozent, am Wall und in der Knochenhauerstraße höher. Präzise Statistiken gibt es nicht, zumal es Mischformen wie Franchiseunternehmen gebe, sagt Jan-Peter Halves, Geschäftsführer der City-Initiative.

Die Veränderung innerstädtischer Einkaufszonen durch den Schwund unabhängiger, kleinerer Geschäfte ist kein bremisches Problem. Hohe Mieten machen es auch andernorts Inhabern schwer. Manche Kunden beklagen eine wenig einladende Konformität in den Fußgängerzonen und bleiben weg, andere kaufen lieber online ein. Die „Welt“ titelte: „Kleine Läden, große Sorgen“. Ihr Befund: „Kleine, individuelle Läden werden in Deutschland immer seltener. Der Druck von Ketten, Einkaufszentren und Internetanbietern wächst.“

In einer Umfrage des Instituts für Handelsforschung gab 2016 fast jeder fünfte Befragte an, durch die Möglichkeit, in Hausschuhen am PC einkaufen zu gehen, weniger Geld in der Innenstadt auszugeben. In diesem Jahr rechnet der Handelsverband Deutschland mit einem Onlinehandel-Anteil von gut zehn Prozent, bis 2020 soll er auf etwa 20 Prozent wachsen. Dass der klein- und mittelständische Handel wegbreche, sei nicht zu leugnen, sagt Monika Dürrer, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Niedersachsen-Bremen. Es sei indes schwierig, ein einheitliches Bild zu zeichnen. Je nach Branche, je nach Lage gebe es gewaltige Unterschiede. Wer im eigenen Gebäude sitze, wer „tolles Personal“ habe, wer sich frühzeitig im Netz umgetan habe, tue sich leichter als andere.

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Anders als im Zentrum sieht es in den Stadtteilen aus. Ob in Findorff oder im Viertel, an der Wachmann- oder der Pappelstraße, in der Nahversorgung gibt es nach wie vor Platz für kleinere Geschäfte mit individuellem Sortiment. Barbara Hüchting, Inhaberin des Findorffer Bücherfensters gehört der bundesweiten Initiative Buy Local an. Leider habe sie sich in Bremen bislang noch nicht weit verbreitet. Der Verein wendet sich an Verbraucher, klärt auf, appelliert: „Nur noch kurz die Welt retten? Fang' vor Ort damit an. Mit Deinem Einkauf in den Geschäften Deiner Stadt.“ Außerdem bemüht er sich, stationäre Einzelhändler zu einer „neuen, kundenorientierten Service-und Qualitätshaltung zu motivieren“.

Es gebe auch andere Bemühungen, auch auf Findorffer Ebene, den Einzelhandel zu stärken. Auch wenn jede Initiative für sich lobenswert sei, könnte es von Vorteil sein, die Energien zu bündeln, sagt Hüchting. Das unterstützt Monika Dürrer: „Einzelhandel muss zusammen handeln.“ Mehr noch: Alle Akteure, die von der Attraktivität eines Stadtteils profitierten, gehörten an einen Tisch – Gastronomen, Ärzte, Anwälte. Standortgemeinschaften in Form von sogenannten Business Improvement Districts – wie es sie in Bremen derzeit für den Ansgarikirchhof und die Sögestraße gibt – seien empfehlenswert.

Ist der inhabergeführte Einzelhandel wichtig für die Attraktivität der Einkaufsmeilen im Stadtkern? Nein, sagt Jan-Peter Halves. Die Mieten in 1-a-Lagen seien für kleinere Händler selten erschwinglich, sie seien in der Regel ohnehin eher an den Randbereichen des Stadtkerns angesiedelt. Laut der Umfrage des Instituts für Handelsforschung mit dem Titel „Vitale Innenstädte 2016“ spielen „Ambiente und Flair“ für die Attraktivität einer Einkaufsstadt die größte Rolle, dann folgt das Einzelhandelsangebot. Shopping sei mehr und mehr zu einer Freizeitbeschäftigung geworden, sagt Karsten Nowak, Leiter des Geschäftsbereichs Einzelhandel bei der Handelskammer Bremen. Dafür müssten die Rahmenbedingungen geschaffen werden: eine gute Erreichbarkeit mit Verkehrsmitteln aller Art, eine hohe Aufenthaltsqualität, gastronomische Angebote, Sicherheit und Sauberkeit. Auch die Aufwertung von sogenannten B-Lagen komme der Innenstadtentwicklung zugute.

Es kommt auf den Verbraucher an

Es sind indes nicht immer wirtschaftliche Gründe, die alteingesessene Händler aus den Städten vertreiben: „Die Selbstverständlichkeit, dass Sohn oder Tochter das Unternehmen weiterführen, existiert nicht mehr“, so Nowak. Obendrein stelle die Digitalisierung den Handel vor neue Herausforderungen. In diesem Bereich gebe es weiterhin Nachholbedarf, ob es die Präsenz im Internet sei oder eine geeignete Plattform, um selbst am Internethandel teilzunehmen.

Nicht zuletzt komme es auf die Verbraucher an: Wer sich danach sehne, in der Stadt auf ein individuelles, vielfältiges Angebot zu stoßen, müsse auch etwas dafür tun – dort einkaufen. Das unterstreicht auch Barbara Hüchting aus Findorff: Wer den lokalen Einzelhandel unterstütze, leiste nicht nur einen Beitrag für die Lebensqualität in der eigenen Stadt, sondern sichere zudem Arbeitsplätze und Steuereinnahmen, „die hierbleiben und mit denen zum Beispiel Schulen saniert werden“.

Karsten Nowak und Jan-Peter Halves blicken optimistisch in die Zukunft des innerstädtischen Handels. Momentan gebe es mehr Bewegung als in den vergangenen Jahren zusammen, sagt Halves. Dazu zählten die Plänen für die Stadtwaage und das Kontorhaus, die Entwicklung beim Lloydhof, der Verkauf des Bremer Carrées oder die Überlegungen rund um das Parkhaus Mitte. Dass sich vor allem inhabergeführter Einzelhandel ansiedele, sei eher unwahrscheinlich, aber Bremen als Einkaufsstadt profitiere insgesamt.

Marlene Teichert sieht ebenfalls Fortschritte – die Ansiedlung von Manufactum, die Eröffnung der Markthalle Acht, die Pläne für die Aufwertung des Domshofs. Dennoch: Als Inhaberin eines Ladens wie ihrem schlage die sogenannte Work-Life-Balance überdeutlich in Richtung Arbeit aus. Das habe sie jahrelang gerne in Kauf genommen, für sie sei ihr Laden mehr als ein Broterwerb gewesen. Als sie 70 Jahre alt geworden sei, sei sie ins Grübeln gekommen, ob dieses Lebensmodell noch angemessen sei. Sie möchte zu ihrer Tochter ziehen, nach Süddeutschland.

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