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Demonstration für Brückenstrom Symbolisches Geschenk aus Bremen für den Kanzler

Sie wollen den Brückenstrompreis, um den Weg zum grünen Stahl zu packen. Deshalb haben die Stahlwerk-Azubis dem Bremer Bürgermeister ein Geschenk mit auf den Weg gegeben, das für den Kanzler bestimmt ist.
29.09.2023, 05:00 Uhr
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Symbolisches Geschenk aus Bremen für den Kanzler
Von Florian Schwiegershausen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird in seinem Politikerleben so einige Geschenke überreicht bekommen haben. Wenn alles gut gelaufen ist, kam am Donnerstagabend eine kleine Brücke aus Stahl hinzu – überreicht von Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD). Denn Bovenschulte wollte in Berlin am Abend vor der Bundesratssitzung bei einem Treffen mit anderen Ministerpräsidenten und Vertretern der Bundesregierung auch das Thema Brückenstrompreis ansprechen. Deshalb haben die Azubis des Bremer Stahlwerkes innerhalb weniger Tag besagte kleine Brücke gebaut und sie Donnerstagmittag auf der Kundgebung vor der Verwaltung von Arcelor-Mittal an den Bremer Bürgermeister übergeben.

Im Hinblick auf ihre Zukunft wollen nicht nur die Azubis mit ihrem stählernen Souvenir den Kanzler an den für die Hütte notwendigen Brückenstrompreis erinnern. Denn der momentane Strompreis in Deutschland gehört mit zu den höchsten innerhalb Europas und macht hiesigen Stahl immer weniger wettbewerbsfähig.

Dafür gehen außer den Azubis noch 1000 weitere Beschäftigte auf die Straße und ziehen bei Arcelor-Mittal von Tor 2 vor das Verwaltungsgebäude an der Carl-Benz-Straße. Das Motto lautet: "Bremen hat ein Herz aus Stahl". Als sich der Zug in Bewegung setzt, dröhnt aus den Lautsprecherboxen das Lied "Thunderstruck" der Rockband AC/DC. Ob Wechsel- oder Gleichstrom, das ist ihnen egal, Hauptsache, es gibt einen günstigeren Strompreis, bis die Hütte die Wende zur grünen Stahlproduktion vollzogen hat – so lautet die Devise an diesem Nachmittag. In roter Arcelor-Mittal-Jacke und mit Helm ziehen sie den kurzen Weg entlang: ein Meer aus roten Fahnen mit IG-Metall-Logo, für lautstarke Unterstützung sorgen rote Trillerpfeifen.

Kurzarbeit bei der Nordenhamer Zinkhütte

Und Philipp Kobelt läuft mit. Der junge Industriemechaniker arbeitet gar nicht bei Arcelor-Mittal. Er ist von Glencore – den meisten in der Region als Nordenhamer Zinkhütte bekannt. "Seit einem Jahr sind wir in Kurzarbeit. Die läuft im November aus, aber arbeiten werden wir dann wohl trotzdem nicht." Angesichts der hohen Strompreise in Deutschland mache die Produktion derzeit keinen Sinn, sagt Kobelt. Die Zinkhütte, gegründet im Jahre 1906, bedeutet für ihn nicht einfach nur Arbeit: "In unserer Familie bin ich die vierte Generation, die in der Zinkhütte arbeitet. Ich bin dort seit 2019 und habe dort meine Ausbildung gemacht." Und er will nicht die letzte Generation sein, die die Tradition von Familie Kobert fortsetzt. Mit ihm sind es insgesamt 80 von 800 Kollegen, die sich am Morgen von Nordenham weseraufwärts auf den Weg gemacht haben.

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Gegen 7.30 Uhr setzte sich auch in Bottrop eine Gruppe in Bewegeung: von der Kokerei Prosper. Von dort bezieht die Bremer Hütte ihren Koks für die Produktion. Erich Otto weiß, dass für ihn und seine Kollegen das Ende kommen wird. Das werde aber noch dauern: "Bei der Transformation zu grünem Stahl wird Arcelor-Mittal ja eine Zeit lang die alte und die neue Technologie nebeneinander laufen lassen." Transformation kennen seine Kollegen und er. Denn bis 2011 gehörte Prosper noch zur Ruhrkohle AG. Dann verkaufe die RAG die Kokerei an Arcelor-Mittal. "Uns gibt es noch, die RAG nicht mehr", stellt Otto nüchtern fest.

Strompreise verzehnfacht

Während er mit seinen Kollegen ganz vorn in der Kundgebung das Transparent hält, spricht auf der Bühne Michael Hehemann, der Arbeitsdirektor von Arcelor-Mittal. Die bevorstehenden Tarifverhandlungen in der nordwestdeutschen Stahlindustrie sind an so einem Tag vergessen. Hütte und IG Metall ziehen an einem Strang. Hehemann macht deutlich: "Vor eineinhalb Jahren haben sich die Strompreise verzehnfacht, bei Erdgas zum Teil verfünfzehnfacht. Geblieben ist eine Verdreifachung des Strompreises, verglichen mit vor der Krise." Der reduzierte Strompreis soll nun die Brücke zum größten Umbau bilden, den die Bremer Hütte jemals gesehen hat und helfen, wettbewerbsfähig zu bleiben.

Der Bremer Bürgermeister unterstützt die Forderungen: "Wer meint, wir brauchen in Zukunft keinen Stahl, der weiß nicht, wovon er spricht", sagt Andreas Bovenschulte. Der gesamte Senat stehe hinter dem Unternehmen. So sind auch Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) und Arbeitssenatorin Claudia Schilling (SPD) anwesend. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende des Bremer Stahlwerks, Mike Böhlken, hört das gern und scherzt: "Andreas Bovenschulte sollte von uns langsam mal eine Personalnummer bekommen, der ist ja fast jede Woche hier."

Und er soll die Brücke zum Kanzler bauen. Sollte das mit der Übergabe nicht klappen, würden die Stahlwerker notfalls selbst nach Berlin kommen. Für sie und die IG Metall war diese Veranstaltung nur der Auftakt. Für den Brückenstrompreis zeigen sie sich kampfbereit.

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Energieminister für Industriestrompreis

Während die Beschäftigten von Arcelor-Mittal Bremen vor ihrer Hütte für einen Brückenstrompreis demonstrierten, tagten knapp 240 Kilometer weiter südöstlich in Wernigerode die Energieminister der Bundesländer. Bei der Konferenz haben sie sich einstimmig für einen günstigen Industriestrompreis ausgesprochen. Bremens Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf (Grüne), auch zuständig für das Thema Energie, sagte: „Der Brückenstrompreis darf nicht dazu führen, dass wir unser eigentliches Ziel aus den Augen verlieren: Energieintensive Unternehmen müssen ihre Energieversorgung schon in naher Zukunft ohne fossile Energien wie Kohle und Gas sicherstellen." Das sei eine der wichtigsten Aufgaben, um der Klimakrise zu begegnen. "Ich habe mich daher sehr dafür eingesetzt, dass ein Brückenstrompreis daran geknüpft ist, die Dekarbonisierung weiterhin mit konkreten Maßnahmen voranzutreiben. Dass die Energieministerinnen und Energieminister sich darauf geeinigt haben, ist ein wichtiges Signal", so Moosdorf.

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