Olav Brandt holt tief Luft und setzt das Mundstück an die Lippen. Laut und durchdringend dröhnt es aus dem Schallbecher der Trompete, ein tiefer, blecherner Klang, irgendwo zwischen feierlich und bedrohlich. Anflüge einer vertrauten Melodie, ein Spaziergang auf der Tonleiter, rauf und wieder runter und wieder rauf, dann fanfarenartige Stöße wie schrille Warnsignale.
Olav Brandt testet, ob alles stimmt. Ob die Trompete klingt, wie sie klingen soll. Ob sie kann, was sie können muss. „Ein Musiker hört den Ton schon, bevor er ihn spielt“, hat er wenige Minuten zuvor erklärt. Jetzt hört er genau hin: Decken sich Vorstellung und Wirklichkeit? Und eine zweite Frage stellt er sich jedes Mal: Haben wir alles richtig gemacht, sitzt jedes der feinen, goldglänzenden Messingteile am richtigen Platz?
Olav Brandt hat sich diese Fragen schon oft gestellt. Seit 21 Jahren baut er Blechblasinstrumente, seit zweieinhalb Jahren ist er zudem einer der Geschäftsführer des Bremer Betriebs Thein Brass. Etwa 250 Trompeten, Posaunen, Hörner und Tuben werden pro Jahr in der Werkstatt gefertigt. An einem Instrument sitzen Brandt und seine Kollegen drei bis vier Wochen. Nur wenige der mehr als 30 Bauteile werden eingekauft, das meiste entsteht in Handarbeit. Die hat ihren Preis: Mindestens 3500 Euro kostet eine Perinettttrompete aus dem Hause Thein Brass.
"Ein Musiker hört den Ton schon, bevor er ihn spielt"
Während Olav Brandt die Trompete testet, blickt er über die Dächer des Bremer Stadtteils Walle. Um ihn herum stehen große Vitrinen, hinter den Glasscheiben ruhen die fertigen Instrumente wie wohlbehütete Schätze: auf Hochglanz polierte Piccolo- oder Konzerttrompeten und Flügelhörner. Schwer vorstellbar ist hier oben, wie laut und wie dreckig die Arbeit hinter der Perfektion ist. In der Werkstatt im Erdgeschoss surrt und brummt und hämmert es. Mitarbeiter in dicken Arbeitshosen stehen an Werkbänken, darüber hängen rätselhafte Werkzeuge und komplizierte Baupläne.
Lucia Zabinski beugt sich tief über einen Schraubstock, in den sie einen kleinen Messingstab gespannt hat. Mit schnellen sicheren Bewegungen sägt die Auszubildende einen Schlitz in das Metall. Später wird sie ihn vorsichtig zu einer Art Zwille biegen. Sie fertigt einen sogenannten Stützenlappen, der den Stimmzug einer Trompete fixiert. Die 21-Jährige liebt ihre Arbeit. Nach dem Abitur wollte sie nicht wie viele ihrer Freunde studieren, sondern „etwas mit den Händen machen“, wie sie sagt. Instrumentenbauerin für Metallbläser zu werden lag da nicht ganz fern: Zabinski spielt selbst seit vielen Jahren Trompete. Während ihrer dreijährigen Ausbildung erfährt sie alles über die verschiedenen Werkstoffe, baut verschiedene Einzelteile und schließlich ein ganzes Instrument.
Wenn sie fertig ist, wird sie beherrschen, was nicht mehr viele können. Ein Großteil der Blechblasinstrumente wird heute nicht mehr per Hand, sondern industriell hergestellt, die meisten Modelle kommen aus China. Als Konkurrenz betrachtet Max Thein die Trompeten vom Fließband aber nicht. Er ist der Mitgründer und zweiter Geschäftsführer des Unternehmens. „Die Handarbeit hat einen entscheidenden Vorteil“, sagt Thein. „Wir können jedem das Instrument bauen, das perfekt zu ihm passt.“ Vor allem Profimusiker setzten deshalb auf handgemachte Instrumente.
"Ein Instrument muss sich beim Spielen ganz natürlich anfühlen"
Während Olav Brandt nebenan die Trompete testet, lehnt Thein im Türrahmen des Proberaums. Er beobachtet einen Berufsmusiker, der extra aus New York angereist ist, um sich in Bremen die perfekte Posaune auszusuchen. Drei Tage bleibt er in der Stadt und probiert sich durch die verschiedenen Modelle.
„Ein Instrument muss sich beim Spielen ganz natürlich anfühlen“, sagt Thein. Es sei dann wie eine Fortsetzung des eigenen Körpers, wie ein eigenes Körperteil, nicht bloß wie eine Prothese. Hat der Musiker Extrawünsche, wird in der Werkstatt nachjustiert. Das sei ja das Gute an der Handarbeit, sagt Thein. Einzelteile wie etwa das Mundstück können problemlos ausgetauscht oder angepasst werden.
Olav Brandt lässt die Trompete sinken und bettet sie vorsichtig in ihren Kasten. Hat sie den Test bestanden? „Alles bestens“, sagt Olav Brandt. Überrascht ist er nicht. „Wir haben einen exakten Bauplan und arbeiten sehr sorgfältig und genau. Da passiert es selten, dass wir etwas korrigieren müssen.“ Trotzdem ist Brandt seltsam ergriffen. Die ersten Töne auf einem neuen Instrument, sagt er, seien immer wieder etwas ganz Besonderes. Der perfekte Klang rührt ihn noch immer.