Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Stickoxid-Belastung in deutschen Städten Dieselskandal: Verbotsfreie Zone Bremen

Stuttgarts Luft ist so stark belastet von Abgasen, dass es dort 2018 Fahrverbote geben könnte. Doch wie sieht die Situation anderswo aus, etwa in Bremen?
28.07.2017, 19:02 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Dieselskandal: Verbotsfreie Zone Bremen
Von Florian Schwiegershausen

Der Vorsitzende Richter Wolfgang Kern hat es in Stuttgart klipp und klar gesagt: Der Gesundheitsschutz sei höher zu gewichten als die Rechte von Diesel-Fahrern. Um die Luftqualität in Stuttgart zu verbessern, müsse es deshalb weitreichende Fahrverbote geben. Und diese sollen so schnell wie möglich umgesetzt werden.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts in der baden-württembergischen Hauptstadt bedeutet eine schwere Schlappe für die deutschen Autobauer, für die grün-schwarze Landesregierung – und es hat bundesweite Signalwirkung. Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Verkehrsminister Winfried Hermann (beide Grüne) wollten mit dem Versprechen von Nachrüstungen für ältere Fahrzeuge durch die Hersteller Verbote abwenden.

Vorerst keine Auswirkungen für Bremen

Dieses Konzept wird auch von der Branche unterstützt – nebst den Stuttgarter Unternehmen Daimler, Porsche und Bosch. Doch das Gericht machte klar: Die Landesregierung dürfe sich bei der Luftreinhaltung in Stuttgart nicht darauf verlassen, dass die Autoindustrie handle.

Fahrverbote seien das wirksamste Mittel, um die seit Jahren hohe Belastung mit giftigem Stickoxid zu reduzieren. Kern hatte schon in der mündlichen Verhandlung vorige Woche betont, dass die Politik mit ihren Rückruf-Ideen ein „Maximum an Optimismus“ an den Tag lege.

Für das Land Bremen hat dieses Urteil vorerst keine Auswirkungen. Den Handlungsbedarf für die Hansestadt schätzt der Umweltstaatsrat Ronny Meyer (Grüne) gering ein: „Für uns gibt es jetzt keinen Grund, zu handeln. Denn den gibt es ja nur, wenn man Grenzwertüberschreitungen hat, und die hatten wir ja so im Jahr 2016 gar nicht gehabt. Da unterscheiden wir uns auch von anderen Städten erheblich, und zwar nicht nur bei Überschreitungen im Jahresmittelwert sondern auch an einzelnen Tagen.“

"Ball liegt bei der Bundesregierung"

Laut Daten des Umweltbundesamtes lag Bremen am verkehrsnahen Messungspunkt im Jahresmittelwert bei 41 Mikrogramm pro Kubikmeter. Der Grenzwert liegt bei 40 Mikrogramm. In den vergangenen Jahren kam es vor allem rund um Dobben und Bismarckstraße herum zu einer hohen Belastung sowie in der Neuenlander Straße.

In Hamburg lag der höchste Wert 2016 bei 62 Mikrogramm pro Kubikmeter. Stuttgart allerdings kommt auf 82 Mikrogramm, also der doppelten Überschreitung des Grenzwertes. Handlungsbedarf sieht Meyer nun woanders: „Der Ball liegt jetzt bei der Bundesregierung und den Automobilherstellern. Die haben uns als Verbraucher betrogen, und jetzt kommt auch noch raus, dass sie sich möglicherweise untereinander abgesprochen haben.“

Und wenn Berlin nicht reagiere, könne es in den Städten zu Fahrverboten kommen. Auffällig an dem Stuttgarter Urteil sei, wie deutlich der Verwaltungsrichter gesagt habe, dass Software-Updates keine Lösung seien, so der Staatsrat. Noch zu Jahresbeginn schien die Diskussion in Bremen auf mögliche temporäre Fahrverbote hinauszulaufen.

Handwerker gegen Fahrverbote

Das veranlasste im Mai Bremens Handwerker zu einem offenen Brief an Umweltsenator Joachim Lohse (Grüne). Darin forderten sie Planungssicherheit und wandten sich gegen Fahrverbote. Kreishandwerkerschafts-Geschäftsführer Stefan Schiebe sagte: „Wenn wir mit unserem offenen Brief Sensibilität bei diesem Thema geschaffen haben, dann freut uns das. In jedem Falle wollen wir bei dem weiteren Prozess weiter im Gespräch bleiben.“

Im Gegensatz zu Stuttgart wurde Bremen von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) wegen der Grenzwerte bisher nicht verklagt. Allerdings sind nach Düsseldorf und Stuttgart noch Klagen vor den Verwaltungsgerichten von 14 weiteren Städten anhängig, darunter Köln und Frankfurt.

DUH-Anwalt Remo Klinger sagte nach dem Stuttgarter Urteil: „Wir haben auf ganzer Linie gewonnen.“ Bemerkenswert sei, dass das Gericht die Verkehrsbeschränkungen für die gesamte Umweltzone der Kommune zulasse. Bislang ging es immer um Fahrverbote nur für bestimmte hochbelastete Straßen.

Deutliche Verringerung des Stickoxid-Ausstoßes

Erst wenn die schriftliche Urteilsbegründung eingegangen ist, will das Land Baden-Württemberg entscheiden, ob es in Revision geht. Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, verteidigte die Nachrüstung per Bordcomputer: „Wir sind davon überzeugt, dass mit den angestrebten Software-Updates eine deutliche Verringerung des Stickoxid-Ausstoßes erreicht werden kann.“

In mehreren deutschen Großstädte wird über eine Sperrung der Innenstädte für Dieselfahrzeuge diskutiert. Hamburg hat bereits Fahrverbote für ältere Selbstzünder in zwei Straßen beschlossen. Viel hängt nun vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ab: Dort ist ist der Streit um Fahrverbote im Fall Düsseldorf anhängig.

Womöglich wird sich auch der Europäische Gerichtshof mit dem Thema befassen. Bis juristisch Klarheit herrscht, könnten folglich Jahre vergehen. Hintergrund der Verfahren sind die europäischen Regeln zur Luftreinhaltung. Darin sind auch Werte für Stickstockdioxid (NO2) festgelegt, das von Heizungen und Industrieanlagen, aber vor allem von Dieselmotoren in die Luft geblasen wird.

Vorzeitige Todesfälle

Das Stickoxid führt zu Atemwegserkrankungen. Die EU-Umweltbehörde geht davon aus, dass die zu hohen Werte jährlich in Deutschland zu rund 10.000 vorzeitigen Todesfällen führen. Mitte nächster Woche wollen die Bundes- und Landespolitiker auf einem Diesel-Gipfel in Berlin darüber beraten, wie die Luft in den Städten sauberer gemacht werden soll.

Die Autobauer haben bislang lediglich Software-Updates für ihre Dieselfahrzeuge angeboten, um so die Stickoxid-Emissionen zu reduzieren – dies ist zugleich das Eingeständnis, dass bei der Abgasreinigung zumindest getrickst, wenn nicht gar betrogen wurde.

Technisch ist bei älteren Fahrzeugen auch eine Nachrüstung der Abgasanlage möglich – was etwa 1500 Euro kostet. Indes machen Autokäufer einen immer größeren Bogen um Dieselfahrzeuge. Im Juni ging die Zahl der Neuzulassungen von Pkw mit Selbstzünder im Vergleich zum Vorjahresmonat um fast 19 Prozent zurück.

Lesen Sie auch

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)