Als Peter Sörgel und Eike Hemmer Anfang der 1970er-Jahre nach Bremen kamen, waren sie voller Ideen. Sie wollten die Revolution von unten, die Arbeiterklasse mobilisieren. Und wo, so dachten sie, könnte das besser gehen als in der Hansestadt? „Wir waren fasziniert von der Bremer Hütte“, erinnert sich Hemmer. Die massiven Auseinandersetzungen in den Stahlwerken hatten sich bis in die Berliner Studentenbewegung herumgesprochen.
„Da passiert etwas, da müssen wir hin“, so dachten Sörgel und Hemmer damals. Sörgel, heute 75 Jahre alt, hat seine Kindheit in Garmisch-Partenkirchen verbracht, ging später zum Studieren nach Berlin. Hemmer, gebürtig aus Bochum, war ebenfalls als Student in die Hauptstadt gekommen. Beide schlossen sich der Studentenbewegung an.
Ein Ziel war, mit der Arbeiterklasse in Kontakt zu kommen. Denn die Enttäuschung über die Entwicklungen in Nachkriegsdeutschland war groß. „Wir hatten das Gefühl, dass wir in einem Staat leben, der den Faschismus nicht überwunden hat“, sagt Hemmer. Mit Hilfe der Arbeiterklasse sollte der große Umschwung kommen. „Zusammen können wir die Welt auseinandernehmen“, so die Hoffnung der Studenten.
Arbeiterklasse nun doch in Bewegung
Als die Bemühungen, zu kooperieren, allerdings flächendeckend gescheitert waren, hätten viele der Bewegung den Rücken gekehrt, erinnert sich Sörgel. Doch dann kamen plötzlich die Nachrichten aus Bremen: Es gab Kundgebungen und Streiks, Betriebsräte sollten entlassen werden – die Arbeiterklasse, dachten die beiden Berliner, sei nun doch in Bewegung.
Also gingen Sörgel und Hemmer 1973 in die Hansestadt, in den Schichtdienst in der Hütte an der Weser. „Wir hatten so viele Illusionen, so viel Enthusiasmus“, erinnert sich Sörgel. Die Idee war, selbst ein Teil der Arbeiterklasse zu werden, um sie zu verstehen. „Wir haben wirklich gedacht, dass ein paar Parolen reichen, um die Kollegen zu mobilisieren.“

Peter Sörgel (v.l.), Eike Hemmer und Karl Lauschke haben gemeinsam an dem Buch über die Historie des Stahlwerks gearbeitet.
Doch die Realität sah anders aus. „Die Kollegen hatten ganz andere Probleme: zum Beispiel mit ihren Vorarbeitern oder ihren Familien – aber nicht mit dem Staat.“ Tatsächlich hatte das Bremer Stahlwerk zu jenem Zeitpunkt schon eine bewegte Geschichte hinter sich. Seit 1908 wurde in der Norddeutschen Hütte Roheisen hergestellt, das dann in anderen Werken weiterverarbeitet wurde.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren dort noch gut 600 Menschen beschäftigt, während der Kriegshandlungen waren es doppelt so viele, auch, weil Zwangsarbeiter im Werk arbeiten mussten. Hemmer hat später dazu geforscht und zusammen mit Kollegen für ein Mahnmal auf dem Werksgelände gekämpft.
Die Bremer blieben standhaft
Im Betriebsrat gab es nach dem Krieg vor allem zwei Strömungen: die Anhänger der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und die der SPD. In vielen anderen Unternehmen seien die Kommunisten nach und nach aus den Betriebsräten herausgedrängt worden, erinnert sich Sörgel. Auch, weil die Konkurrenz innerhalb der linken Kräften massiv war.
In den Stahlwerken sei es trotz mehrfacher Versuche aber nie gelungen, sich von den Kommunisten zu trennen. „Bei uns haben sich linke Kräfte aller Couleur zusammengerauft, um sich gemeinsam für die Belegschaft einzusetzen“, sagt Hemmer, „das ist einmalig gewesen.“
Nach den Boomjahren in den 1960er-Jahren erfasste die Stahlkrise in den 1970er-Jahren auch die Bremer Hütte, die längst mit Hochofen, Stahl-, Warmwalz- und Kaltwalzwerk ausgestattet war. Viele Unternehmen gerade aus dem Ruhrgebiet überlebten diese Zeit nicht. Doch die Bremer blieben standhaft.
"Der Druck auf die Belegschaft war riesig."
Sörgel und Hemmer wurden Mitte der 1980er-Jahre selbst Teil des Betriebsrates, Sörgel später sogar Betriebsratsvorsitzender. Immer wieder gab es Auseinandersetzungen mit der Unternehmensführung, die sparen wollte. Kurzarbeit, Stellenabbau, Rationalisieren, Outsourcen – so sah nach Angaben der beiden früheren Arbeitnehmervertreter die Idee der Firmenleitung aus, um die Kosten immer weiter zu drücken.
Der Betriebsrat habe dagegengehalten, aber, wenn es nicht anders ging, auch eingelenkt. „Ziel war, alle Arbeitsplätze zu erhalten“, sagt Sörgel, daher habe man eine Zeit lang etwa eine Arbeitszeitverkürzung unterstützt. Auch vor Gericht wurde der Streit zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite mehrfach ausgefochten. „Der Druck auf die Belegschaft war riesig.“
Und er wurde auch in den Folgejahren nicht weniger. Wegen der Überkapazitäten auf dem europäischen Markt führte Klöckner als Betreiber der Bremer Hütte immer wieder Fusionsgespräche mit anderen Unternehmen, etwa mit dem früheren niederländischen Stahlkonzern Hoogovens. Ein Zusammenschluss hätte mit großer Wahrscheinlichkeit das Aus für die beiden Bremer Hochöfen und damit für damals noch 3000 Arbeitsplätze gesorgt. 1992 meldet die Klöckner Werke AG Insolvenz an.
Tanz mit dem Teufel
In dieser Zeit passiert etwas, das eher selten vorkommt: Betriebsrat, der Bremen Vorstand, Mitarbeiter, Gewerkschaft und Politik verbünden sich und kämpfen über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr für das Werk. „Wir haben überall nach Bündnissen gesucht und hätten damals mit dem Teufel getanzt, um die Hütte zu retten“, sagt Sörgel.
Ein Kraftakt sei es gewesen, die Spannung über eine so lange Zeit aufrecht zu erhalten. Permanent wurde über die Medien informiert, die Belegschaft und vor allem die Bevölkerung immer wieder neu zu mobilisieren. Am Ende ist der Vergleich bekanntlich geglückt, die Hütte wurde gerettet.
„Die Zeit gehört definitiv zu den aufregendsten meines Lebens“, sagt Hemmer. „Wir haben immer agieren können. Und wenn es mal anstrengend war, dann hat uns die Belegschaft wieder aufgerichtet – weil man gemeinsam kämpft.“ Die Revolution, wie ursprünglich gedacht, habe man zwar nicht anzetteln können, sagt Sörgel, „Aber unterm Strich haben wir doch etwas Vernünftiges geschafft.
Sofort fasziniert von der Historie
Hemmer hat den Betriebsrat im Jahr 2000 verlassen, Sörgel bereits 1995. Vor sieben Jahren haben die beiden das erste Mal darüber gesprochen, die Geschichte der Hütte bis zu ihrer Rettung aufzuarbeiten. „In Nordrhein-Westfalen ist Stahlwerk um Stahlwerk geschlossen worden. Wir haben überlebt“, sagt Sörgel. „Aber wir haben uns immer gefragt: Warum eigentlich?“
Darüber folgten zahllose Diskussionen und die Einsicht, dass sie das Schreiben und die Finanzierung eines Buches allein nicht stemmen können. Mit Unterstützung des Betriebsrates, der IG Metall und der Hans-Böckler-Stiftung wurde das Projekt schließlich umgesetzt und der Wissenschaftler Karl Lauschke hinzugezogen.
Der Dortmunder hat in der Vergangenheit immer wieder über die Mitbestimmung in den Eisen- und Stahlbetrieben geforscht – hauptsächlich aber mit Schwerpunkt Ruhrgebiet. Von der Historie der Bremer Hütte war er daher sofort fasziniert. Gut fünf Jahre hat Lauschke Material gesichtet und aufgearbeitet, Interviews geführt und am Ende aufgeschrieben, wie Widerstand dabei geholfen hat, die Stahlproduktion in Bremen zu retten. Es ist die Geschichte von Sörgel, Hemmer und vielen anderen.
Lesung in der Bürgerschaft
Die Geschichte der Bremer Hütte steht am Montag, 20. November, im Mittelpunkt einer Veranstaltung im Festsaal der Bremischen Bürgerschaft. Ab 18 Uhr stellt der Historiker Karl Lauschke zusammen mit den früheren Betriebsräten Peter Sörgel und Eike Hemmer das Projekt vor. Im Anschluss liest Peter Lüchinger von der Shakespeare Company aus dem Buch „Widerstand lohnt sich“, und Bürgermeister Carsten Sieling (SPD), Bremens Arcelor-Mittal-Chef Reiner Blaschek sowie Volker Stahmann von der IG Metall diskutieren über die Historie des Stahlwerkes.