Das Dorf, das nach der Dunkelheit benannt ist, erstrahlt an diesem Tag in farbenprächtigem Glanz. Gbinti, vor 150 Jahren von einem Krieger vom Stamm der Loko im heutigen zentralen Sierra Leone gegründet, liegt auf einem Hügel umgeben von Sümpfen. Der Name geht auf die Dunkelheit zurück, die laut Legende den Ort umhüllte, wann immer Fremde mit feindseligen Absichten kamen.
Auch an diesem Tag kommen Fremde nach Gbinti. Mit guten Absichten natürlich, mit Hoffnung im Gepäck, einer in vielen afrikanischen Ländern noch immer hoch im Kurs stehenden Währung, die ein besseres Leben verspricht. Die Bremer Hilfsorganisation Ketaaketi hat ihr Engagement mit Mikrofinanzierungen für Frauen und Schulmaterialien für Kinder nach zehn Jahren in Nepal auf Sierra Leone ausgeweitet, eines der zehn ärmsten Länder der Welt.
An der Hauptstraße von der Provinzhauptstadt Port Loko nach Nordosten Richtung Gbinti liegen karge Siedlungen mit unverputzten, einstöckigen Steinhäusern mit Wellblechdächern. An schmalen Flussläufen stehen immer wieder Gruppen von jungen Männern und Frauen, die ihre Wäsche in dem trüben Wasser waschen. Weiße kommen selten in diese Gegend.
Am Ortsrand von Gbinti hat sich das halbe Dorf versammelt, um die Hoffnungsboten in Empfang zu nehmen. Vorneweg marschieren die Kinder in blauen Schuluniformen, nach Vorbild der alten britischen Kolonialmacht. Sie singen und halten an Stöcken befestigte Pappschilder nach oben: „Ketaaketi, I want to go to school“, „Empower a child, empower a nation“ – wer ein Kind stärkt, stärkt die Nation.
Patriotische Gefühle und ein fast trotziger Stolz entgegen allen Widrigkeiten sind allgegenwärtig in Sierra Leone, einem von elf Jahren Bürgerkrieg, zwei Jahren Ebola und scheinbar ewiger Armut gebeutelten Land. Im einzigen Klassenraum der Grundschule blättert der Putz von den Wänden, über der alten Schiefertafel steht ein weiteres Bekenntnis des etwas verordnet wirkenden Gemeinschaftsgeistes: „I am because we are“ – „Ich bin, weil wir sind“.
Mit rhytmischem Trommeln und den beschwörenden Gesängen der Frauen schiebt sich der Troß aus einigen hundert Menschen in Richtung Dorfmitte. Für Ketaaketi-Gründerin Anneli-Sofia Räcker hätte auch weniger Aufwand zur Begrüßung genügt. Aber die Bremerin schwingt voll mit in dieser Form überbordender Ehrung, Frauen und Kinder jubeln begeistert über diese Form der Anerkennung. Bei Ketaaketi geht es auch um kulturelle Adaption und in wieweit das Modell der Autonomie der Armen auch auf vollkommen verschiedene Kulturkreise übertragbar ist.
"Wer ein Geschäft aufbaut, bekommt Geld für den Start, nicht für immer"
Linker Hand im Dorf stehen unter Palmen die zugewachsenen Überreste der Frontpartie eines alten Kolonialgebäudes. Heute hängt zwischen den Säulen und Steinträgern die Wäsche zum Trocknen. „Einige der Häuser hier wurden im Bürgerkrieg zerstört und sind gerade erst wieder aufgebaut worden“, berichtet Usman Conteh, ein großer Mann mit tiefer, kräftiger Stimme und Gründer der „Society for the Empowerment of the Needy (SEN), mit der Ketaaketi in Sierra Leone zusammenarbeitet.
Der Krieg zwischen der Rebellenarmee Revolutionary United Front (RUF) und Regierungstruppen, in dem fast 7000 Kindersoldaten auf beiden Seiten kämpften, endete 2002. Viele Schulen wurden damals zerstört, über 50 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind Analphabeten.

SEN-Gründer Usman Conteh
Versammlung in einer vorne und an den Seiten offenen Gemeinschaftshalle mit flachem, bröckelndem Dach. Zeit für das große Palaver, eine Mischung aus Vorstellungsrunde, Lobpreisung der Menschen auf dem Podium und interreligiösem Gottesdienst. Gebetet wird gemeinsam, Suren aus dem Koran und das Vaterunser, in Sierra Leone leben etwa 70 Prozent Muslime und um die 27 Prozent Christen friedlich zusammen.
Gebetet wird auch, wenn die Menschenmasse mit den dutzenden Kindern und Jugendlichen in der stickig-heißen Säulenhalle zu unruhig wird. Idrissa Kamara, Generalsekretär von SEN, erklärt gestenreich das zinsfreie und deswegen so attraktive Mikrofinanzmodell von Ketaaketi. „Wer ein Geschäft aufbaut, bekommt Geld für den Start, nicht für immer“, betont er mahnend auf Englisch. Grundschuldirektor Victor Fofoneh übersetzt mit Furor in der Stimme über ein plärrendes Megafon ins Temne, eine der offiziellen Landessprachen in Sierra Leone.
Von den zwölf Lehrern an den zwei Grundschulen im Ort werden nur neun von der Regierung bezahlt, die anderen bekommen allenfalls sporadische Unterstützung der Eltern. „Grade hier auf dem Land ist es so natürlich schwer, Lehrer zu finden“, klagt Fofoneh. „Bildung macht den Unterschied, sonst leben wir in einem blinden Land." Auch Yembeh Mansaray, der im Norden Sierra Leones bei Kabala mit Ketaaketi weitere Projekte angeschoben hat, berichtet, dass „nach den wirtschaftlichen Problemen durch Ebola auch an den Schulen strengere Kostenkontrollen eingeführt wurden“.
Auf Tassoh Island, einer Insel zwölf Seemeilen von Sierra Leones Hauptstadt Freetown entfernt, ist die Lage noch dramatischer. Man erreicht die Insel mit 5500 Einwohnern über den Sierra Leone River nur mit schmalen Motorbooten, die Fahrt führt am Eisenerzhafen Pepel vorbei. „Seit der Verbreiterung der Fahrrinnen für die Containerschiffe ist die Fischerei stark eingeschränkt und gefährlich wegen der Strömung“, erklärt Usman Conteh.
Umso wichtiger sind alternative Geschäftsmöglichkeiten und Bildung für die zu großen Teilen analphabetische Bevölkerung. Seit dem Sommer haben die ersten 15 Frauen auf Tassoh Island Mikrofinanzierungen über Ketaaketi und lokale Partner bekommen, um auf dem Festland Palmöl zu kaufen und damit die Inselbewohner zu versorgen. 100 Euro bekommt jede der Frauen und damit die Hoffnung auf ein besseres Leben.