Bremen. Sie kennen die revierspezifischen Strömungen und Wirkungen der Tide, sich ändernde Tiefenverhältnisse oder andere Besonderheiten des Reviers. Lotsen sind die Berater des Kapitäns, sie geleiten Schiffe an Untiefen vorbei und sorgen durch ihre Erfahrung für eine sichere Fahrt in den Hafen. In vielen Gewässern der Welt geht es nicht ohne Lotsen an Bord, es besteht eine Lotsenannahmepflicht. Wird diese anspruchsvolle Arbeit künftig von intelligenten digitalisierten Maschinen übernommen? Das würde auch das Problem lösen, dass es künftig voraussichtlich immer weniger Bewerber für den Lotsenberuf gibt.
Das sei durchaus denkbar, sagte kürzlich Torsten Westphal, der geschäftsführende Gesellschafter der Arkon-Reederei aus Haren, auf einer Hafenlogistik-Konferenz in Hannover. Denn die Digitalisierung bereite neue Wege. Viele Aufgaben könnten dank moderner Technologien völlig neu geregelt werden – das reiche von der Bordversorgung bis zum Lotsen, der heute nicht mehr physisch an Bord sein müsse.
„Ich denke, durch Digitalisierung wird sich in den nächsten Jahren viel verändern“, sagt Peter Marcus, Ältermann der Lotsenbrüderschaft Weser I (Bremen). Doch Sorgen um seinen Beruf macht er sich nicht. „Wahrscheinlich ist es technisch möglich beziehungsweise denkbar, die Arbeit von Lotsen an Bord durch Sensorik und andere technische Notwendigkeiten übernehmen zu lassen.“ Doch um Schiffe entsprechend aus- oder umzurüsten, „kommt eine Summe mit sehr vielen Nullen heraus, die die Schifffahrt bislang noch nicht gesehen hat.“
Derzeit koste ein neues Großcontainerschiff mit einem Ladevolumen von 20000 Standardcontainern etwa 70 bis 100 Millionen Euro. Würde es mit entsprechender „Lotsen“-Technik ausgerüstet, wäre der Preis um ein vielfaches höher. Die Lotsenannahmepflicht verursache den Reedern zwar auch Kosten, "aber ob solche Summen künftig in Schiffe investiert werden, da habe ich meine Zweifel." Auch würde eine sogenannte „Shore-based-Pilotage“ nicht kostenlos der Schifffahrt zur Verfügung stehen.
Was den Lotsen-Nachwuchs angeht, habe die Lotsenbrüderschaft Weser I aktuell noch keine Probleme. „Wir haben als Brüderschaft 36 Lotsen, im Durchschnitt müssen wir jährlich zwei neue Anwärter einstellen, um diese Anzahl zu halten – und dafür gab es bislang genügend Bewerber“, so Marcus. Es sei aber absehbar, dass es allen Lotsenbrüderschaften künftig schwerer fallen werde, Kollegen, die altersbedingt ausscheiden, zu ersetzen.
Das habe einen einfachen Grund: "Es gibt immer weniger junge Leute, die den nautischen Beruf erlernen." Das liege sicherlich auch daran, dass immer weniger Schiffe unter deutscher Flagge fahren. Die Folge sei, dass es für die Nautik-Hochschulabsolventen schwieriger werde, einen notwendigen Praktikumsplatz an Bord eines Schiffes zu bekommen und anschließend eine Stelle als nautischer Offizier, um das Kapitänspatent auszufahren. „Insofern hoffe ich, dass die Bemühungen der Bundesregierung, Ausbildung und Beschäftigung in der Seeschifffahrt zu fördern und die deutsche Flagge für Reeder wieder attraktiver zu machen, bald noch stärkere Wirkung zeigt“, sagt Ältermann Marcus.
Momentan gebe es insgesamt genügend Bewerber, so Kapitän Hans-Hermann Lückert, Vorsitzender der Bundeslotsenkammer, die unter anderem alle sieben Lotsenbrüderschaften gegenüber Behörden und Organisationen vertritt. Das liege aber allein daran, dass durch Insolvenzen und Fusionen von Reedereien derzeit ein paar mehr Kapitäne zur Verfügung stünden und sich für den Beruf des Lotsen interessierten. Das Ende dieser Entwicklung sei aber absehbar.
"Spätestens in sechs Jahren haben wir das Problem", so Lückert. Es gebe pro Jahr an allen deutschen Fach- und Hochschulen im Fachbereich Nautik etwa 200 Studierende. Erfahrungsgemäß stünden davon am Ende 20 Prozent zur Verfügung, die auch ein ausgefahrenes Kapitänspatent erhalten, was bislang eine Grundvoraussetzung für das Erlernen des Lotsenberufs ist. "Unser Bedarf an See- und Hafenlotsenanwärtern liegt pro Jahr bei 40 bis 50. Würden alle Absolventen mit Kapitänspatent zu uns kommen, hätten wir kein Problem, aber dem ist nicht so." Man stehe in direkter Konkurrenz zu anderen interessanten Berufen im Sekundärbereich der maritimen Wirtschaft wie den Polizeien des Bundes und der Länder, der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sowie Bundes- und Landesbehörden.
"Um den Bedarf zu decken, müssen wir neue Ausbildungszugänge schaffen und da gibt es auch schon konkrete Vorschläge", so Lückert. "Im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums haben wir als Bundeslotsenkammer zusammen mit Vertretern der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt ein modernes und zeitgemäßes Ausbildungskonzept für die Ausbildung von Seelotsen vorgelegt." Hier gehe es darum, Bewerber quasi direkt von der Hochschule zum Lotsen auszubilden, ohne wie bislang das ausgefahrene Kaptänspatent und eine Netto-Fahrtzeit von zwei Jahren als Kapitän haben zu müssen.
So soll der Inhaber des Befähigungszeugnisses NWO (Nautischer Wachoffizier) zunächst eine revierübergreifende, sechsmonatige Basisausbildung absolvieren, die mit einer praktischen Prüfung vorzugsweise auf einem bemannten Schiffsmodell oder alternativ am Ship Handling Simulator abschließt. Danach erfolgt eine revier- und lotsenspezifische, praxisorientierte Grundausbildung über ein halbes Jahr. Dieser Ausbildungsabschnitt wird mit einer praktischen Prüfung an Bord eines Seeschiffes abgeschlossen und ist der Nachweis der erforderlichen Ausbildungsreife als Seelotsenanwärter. Der dritte Teil umfasst die revierspezifische Ausbildung zum Seelotsen als Aspirant über zwölf Monate der Lotsenbrüderschaft und wird wie bisher mit einer theoretischen Prüfung abgeschlossen.
Lückert hat die Hoffnung, dass dieser neue Ausbildungszugang im Herbst in einem Gesetzesverfahren auf den Weg gebracht wird. "Wenn es allerdings für die herkömmliche Lotsenausbildung in den nächsten Jahren wieder mehr Bewerber geben sollte, würden wir diese Form der Ausbildung den Vorrang geben." Insgesamt gibt es 916 Lotsen in Deutschland, davon 820 Seelotsen und 96 Hafenlotsen. Letztere sind überwiegend in Bremerhaven und Hamburg tätig.