Frau Birkner, gründen Frauen denn eigentlich anders als Männer?
Stephanie Birkner: Ja und nein. Frauen gründen anders, das ist aber nicht immer gewollt. Manche Dinge entstehen tatsächlich aus dem Wunsch heraus, Wirtschaft und Erfolg anders zu denken. Doch häufig sind es die Rahmenbedingungen, die Konstellationen und bestehende Netzwerke, die sie dazu zwingen und nötigen, anders zu gründen. Frauen müssen für die Umsetzung ihrer Geschäftsmodelle häufig dickerer Bretter bohren.
Was bedeutet das?
Die Zustände sind historisch gewachsen. Wer in der Wirtschaft Entscheidungen trifft, das ist ganz lange Zeit von Männern geprägt worden, was bis heute Auswirkungen hat. Eine spannende Studie zeigt gerade, dass Frauen nicht nur seltener und weniger Kapital bekommen, sondern, dass ihnen auch andere Fragen gestellt werden. Wenn ein Mann sein Geschäftsmodell vorstellt, wird er nach den Potenzialen gefragt. Gründerinnen werden gefragt, wo denn das Risiko liegt. Wenn ich diesen Fokus auf Bedenken setze, entsteht eine ganze andere Geschichte.
Gründerinnen haben es also schwerer?
Ja. Es ist allerdings immer die Frage, von welchen Unternehmerinnen wir überhaupt sprechen. Dazu gibt es unterschiedliche Statistiken. Das sehr positive Bild, das die Kreditanstalt für Wiederaufbau verbreitet, sagt: Wir haben 40 Prozent selbstständige Frauen – Trend aufwärts. Das klingt erstmal gut. Allerdings wird darin jede Selbstständige berücksichtigt, jede Freiberuflerin. Wir brauchen jedoch insbesondere Gründungen im Hightech-Bereich, weil wir mitten in der digitalen Transformation stecken. Gründerinnen, die hier wirklich die Idee von Anfang an mittragen, gibt es nur fünf Prozent. Das ist natürlich ein ganz anderes Bild. Diese Frauen können innovative Ideen in der Wirtschaft und Gesellschaft mitgestalten.
Woran liegt dieses Ungleichgewicht?
Es studieren weniger Frauen entsprechende Fächer. Außerdem sind sie durch die Förderprogramme so begehrt, dass sie unglaublich gut bezahlt in der Wirtschaft unterkommen. Dadurch gehen uns Gründerinnen verloren.
Welches Potenzial sehen Sie im weiblichen Unternehmertum?
Gesellschaftlich haben wir einen großen Innovationsbedarf in Themen wie Gesundheit, Versorgung und Bildung, die klassischerweise lange weiblich belegt waren. Wenn wir Frauen nicht für eine Gründungsbiografie begeistern, verlieren wir diesen Zugang und das Erfahrungswissen. Hinzukommt, Frauen treffen 80 Prozent der Kaufentscheidungen. Wenn sie die Geschäftsmodelle nicht mitgestalten, geht das am Markt vorbei.
Haben klassische Rollenbilder bis heute einen Einfluss?
Definitiv. Stereotypen wirken an unterschiedlichen Stellen ganz extrem. Frauen werden sehr viel häufiger als Männer in einer Rollenvielfalt adressiert: So werden sie im Arbeitskontext oft auch in ihrer privaten, sozialen Rolle angesprochen oder ihre Rollen ungewollt vermengt. Wenn eine Frau deutlich macht, nur Chef zu sein, wird dieser Stereotyp überladen. Dasselbe Verhalten von Mann und Frau wir dann unterschiedlich wahrgenommen: Das ist die Diskrepanz zwischen Boss und bossy.
Der aktuelle Start-up-Monitor hat gezeigt, dass der Anteil an Gründerinnen in diesem Bereich derzeit bei 14,6 Prozent liegt – im Schnitt sind die Unternehmer 35 Jahre jung. Hat sich denn in der Generation nichts verändert oder warum der kleinere Anteil?
Hier gibt es zwei Effekte. Frauen gründen später als Männer. Vor allem flüchtet die jüngere Generation aber ganz stark wieder in alte Stereotype zurück, weil aus der Herausforderung, alles zu dürfen und zu können, eine große Unsicherheit entsteht. Eigentlich gibt es den Wunsch nach Gleichberechtigung in der Partnerschaft. Wenn neue soziale Rollen entstehen, zum Beispiel mit der Geburt eines Kindes oder wenn ein Elternteil gepflegt werden muss, gibt es aber oft einen Einschnitt. Die Frauen rutschen in die Verantwortung zurück.
Familie und Beruf zu vereinbaren – ist das für Gründerinnen leichter?
Jein. Als Selbstständige ist die Flexibilität größer. Auch entstehen unter Gründerinnen Eigeninitiativen für die Betreuung der Kinder, beispielsweise im Co-Working-Space eine gemeinsame Kita aufzubauen. Das kostet jedoch Energie, die für ihre Ideen verloren geht. Das Bild der Rabenmutter trifft Unternehmerinnen außerdem häufig noch stärker als angestellte Frauen. Würde die Gesellschaft sich endlich hiervon lösen, wir wären einen ganzen Schritt weiter.
Kitaplätze sind ein Thema. Was sollte die Politik noch tun, um Frauen besser zu unterstützen?
Die Politik sollte die Frauen fragen, welche Förderung sie brauchen. Das wäre schön. Ich beobachte immer wieder, dass tolle und finanziell gut ausgestattete Förderprogramme entstehen, die aber vielfach am Bedarf vorbeigehen. Ich habe ein schönes Beispiel erlebt. Eine Physikerin hat für ihre innovative Gründung einen Preis gewonnen. Doch ihre Bitte war sofort: „Macht das nicht publik. Sonst wirkt das in meinem Umfeld, als könnte ich es alleine nicht schaffen.“ Das ist das Problem: Förderprogramme werden nicht als Auszeichnung von Exzellenz, sondern als notwendiger Unterstützungsbedarf wahrgenommen.
Das soll aber kein Plädoyer gegen die Programme für Frauen sein?
Nein, im Gegenteil. Ich finde es super, was sich gerade bewegt. Das ist beeindruckend! Ich hab die Juniorprofessur nun seit etwas mehr als drei Jahren. Als ich anfing, war es noch das Netteste, wenn ich wegen des Themas belächelt und nicht dafür angegangen wurde. Jetzt ist die Relevanz deutlich geworden. Das ist ein großer Sprung.
Wer hat Sie belächelt?
Angefangen hat das mit meiner eigenen Disziplin. Dort stellte man die Frage: Wie ernst zu nehmend ist das? In der Gründerszene war die Förderung von Frauen zunächst zeitweise ein Imagethema. Was früher „Greenwashing“ war, wurde zum Teil zu imagemotivertem „Genderwashing“. Vermehrt wird nun aber offen festgestellt: „Mist, da haben wir tatsächlich faktisches Potenzial verloren.“ Was ich sehe, ist blinder Aktionismus, weil erkannt wurde, etwas verpasst zu haben. Meine Großmutter hat immer gesagt: „Wenn du es eilig hast, geh langsam.“ Im Moment wird leider teilweise noch gerannt in der Gründerinnenförderung.
Können Vorbilder helfen, dass mehr Frauen den Weg in die Selbstständigkeit wagen?
Vorbilder sind enorm wichtig. Doch was passiert ist, dass Unternehmerinnen heroisiert werden. In den häufig über-idealisierten Bildern findet sich der weibliche Gründungsnachwuchs aber nicht unbedingt wieder – vielleicht sind die Bilder sogar eher abschreckend. Ebenso wichtig ist daher auch, dass Unternehmerinnen offen darüber berichten, welchen Herausforderungen sie gegenüberstehen, welche Fehler sie gemacht und was sie aus ihnen gelernt haben. Unternehmerinnen in der Presse werden außerdem immer noch stark in klassisch-männlichen Attributen dargestellt. Wenn Sie sich allein die Bilder von Unternehmerinnen anschauen: Sie nehmen klassische Erfolgsposen eines stark patriarchischen Unternehmertums ein. Aber die High-Tech-Gründerin in der Küche ist es ja auch nicht. Wir müssen ein neues Bild entwickeln und neue Geschichten erzählen.
Wie schaut das Angebot für Frauen in der Region aus?
Es gibt ganz tolle Beratungsstellen wie Belladonna in Bremen oder die Existenzgründungsagentur EFA in Wildeshausen, die das Thema seit Jahren fachlich und inhaltlich begleiten. Doch es sind immer noch Exoten. Weder in Oldenburg noch in Bremen ist das Thema eines, das selbstverständlich ist. Die Angebote sind oft Inseln, die Anknüpfungspunkte finden müssen.
Die neue Gründerinitiative des Senats sieht vor, vor allem auch die Förderung für Frauen neu aufzustellen. Was ist dabei wichtig?
Ich finde es unglaublich wichtig, dass die, die es betrifft, vorher gefragt werden. Leider kommen sie häufig erst sehr spät ins Boot. Im Moment werden Konzepte geschrieben, aber dabei passiert genau das, was Start-ups gerne vorgeworfen wird: Im stillen Kämmerlein zu arbeiten, statt rauszugehen. Hier gilt: Practice what you preach! Was ihr den Gründern erzählt, müsst ihr selbst leben für euer neues Geschäftsmodell zur Förderung weiblichen Unternehmertums.