Arne Söffge: Viele denken, dass bei uns Zustände herrschen, wie man sie aus der Fleischindustrie kennt. Dass bei uns weniger als der allgemeine gesetzliche Mindestlohn von 9,35 Euro gezahlt wird, gehört zu den gängigen Vorurteilen, und dass diejenigen, die bei uns arbeiten, den unteren Rand der Gesellschaft abbilden.
Wie sieht die Wirklichkeit aus?Wir gehörten 2007 zu den ersten Branchen, die überhaupt einen gesetzlichen Mindestlohn hatten. Der Branchenmindestlohn liegt derzeit bei 10,80 Euro, also mehr als 15 Prozent über dem gesetzlichen Mindestlohn. In der Gebäudereinigung kann man eine Ausbildung und Karriere machen. Wir bemühen uns sehr um ein familiäres Klima und intensives Miteinander. Aus einer Reinigungskraft kann ein Teamleiter oder eine Teamleiterin werden, aus einem Teamleiter eine Objektleiter.
Es hat sich schon ins Positive verändert. Die Gebäudereiniger-Innung bemüht sich seit Jahren um Aufklärung. Die Corona-Krise hat unserer Branche einen positiven Schub gegeben. Vielen Menschen ist ins Bewusstsein gerückt, wie wichtig Reinigungskräfte sind und was passiert, wenn sie nicht mehr arbeiten. Dann geht nämlich gar nichts mehr, schon gar nicht unter verschärften Hygienebedingungen. Die Wertschätzung ist deutlich gestiegen. Das hat eine Forsa-Umfrage im April gezeigt, und das merken wir auch persönlich. Ich hoffe sehr, dass diese Wertschätzung erhalten bleibt. Reinigungsleistungen sind systemrelevant.

Arne Söffge leitet mit seinem Bruder als Inhaber die Geschäfte der Söffge Büro-, Gebäude- und Treppenhausreinigung GmbH & Co KG.
Wir stehen natürlich in einer Wettbewerbssituation. Ich halte es aber für falsch und unseriös, wenn man Zeiten kalkuliert, die keiner schaffen kann. Unsere Innungsbetriebe legen großen Wert darauf, dass unsere Mitarbeiter ihre Arbeit gut erledigen können. Aber es gibt in unserer wie in jeder anderen Branche schwarze Schafe, die falsche Versprechungen machen und wo ständig unbezahlte Überstunden gemacht werden. Dort werden die Mindestlöhne unterschritten, das ist illegal und muss verfolgt werden.
Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder machte keinen Hehl daraus, dass er aus sogenannten kleinen Verhältnissen stammt. Seine Mutter sorgte als Putzfrau und Dienstmädchen für den Unterhalt der Familie. Ist das noch typisch für die Mitarbeiter Ihrer Branche?Viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möchten sich etwas dazuverdienen. Entweder, weil der Verdienst ihrer Haupttätigkeit nicht auskömmlich ist, oder weil sie früh morgens oder am Abend auf 450-Euro-Basis zum Familieneinkommen beitragen möchten. Bei uns arbeiten viele Frauen, die Beruf und Familie unter einen Hut bekommen müssen. Der Frauenanteil liegt aber nicht bei 90 Prozent, wie viele glauben, sondern bei etwa 60 bis 70 Prozent. Es gibt auch mehr und mehr Senioren, die bei uns arbeiten, weil sie sich dafür fit genug fühlen und ihre Rente aufbessern müssen oder möchten.
Sind die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 450-Euro-Kräfte?Was die Kopfzahl betrifft, ist das so. Aber die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten steigt und ist deutlich der größte Teil der monatlichen Lohnsumme. Wir sind bestrebt die Fluktuation so gering wie möglich zu halten. Ein ständiger Wechsel ist nicht gut für den Kunden, nicht für die Teams und damit auch nicht für uns.
Wer den Mindestlohn erhält, wird sich damit schwertun, das gebe ich ehrlich zu. Allerdings wäre das auch eine ungewöhnliche Konstellation. Wer sich ernsthaft für die Gebäudereinigung als Beruf interessiert, macht eine Ausbildung. Und wer sie absolviert hat, verdient auch gut. Da liegt der Mindestlohn bei fast 15 Euro pro Stunde.
Aber Ungelernte können bei Ihnen Arbeit finden?Ja, wir lernen unsere Mitarbeiter an. Die Qualifikationen, die wir brauchen, sind Teamfähigkeit und Zuverlässigkeit. Die Arbeit ist nicht zu unterschätzen, sie ist körperlich fordernd und man muss sich organisieren können. Der größte Teil unserer 2600 Mitarbeiter wird angelernt und arbeitet in der Unterhaltsreinigung – in Büros, Pflegeheimen, Schulen und Banken. Bei uns arbeiten außerdem etwa 25 ausgebildete Gebäudereiniger und etwa 60 Objektleiter und -leiterinnen. Sie disponieren, bilden aus und schulen.
Haben Sie Probleme, Mitarbeiter zu finden?Das kann ich nicht verneinen, und das liegt maßgeblich an den Arbeitszeiten. Es wird immer schwieriger, Personal für den frühen Morgen und den Abend zu finden. Meiner Meinung nach liegt die Zukunft im sogenannten Daytime-Cleaning, also in der Tagesreinigung, während des Geschäftsbetriebs. Solche Aufträge haben wir schon jetzt, und sie werden sich meiner Einschätzung nach weiter erhöhen. Uns wäre sehr geholfen, wenn Menschen, die von Hartz IV leben müssen, mehr dazuverdienen dürften als 160 Euro, ohne dass ihnen Leistungen gekürzt werden. Auch die Verdienstgrenze für Minijobber in Höhe von 450 Euro halte ich für nicht mehr angemessen.
Warum?Wenn der Lohn steigt und die 450-Euro-Grenze überschreitet, wollen viele Mitarbeiter selbst lieber weniger Stunden arbeiten, als in die Gleitzone zu geraten und durch die dann fälligen Steuerabzüge am Ende weniger als 450 Euro netto in der Tasche zu haben. In manchen Wohngebäuden, in denen wir die Treppenhäuser reinigen, leben viele Menschen von Transferleistungen. Diese könnten die Reinigung eigentlich auch selbst erledigen. Aber es lohnt sich für sie nicht. Da stimmt etwas in unserem System nicht. Die Verdienst-Grenze von geringfügiger Beschäftigung muss angehoben oder ein neues Modell muss gefunden werden, damit sich die Arbeit für die Beschäftigten wirklich lohnt.
Unbedingt. Wir tun, was wir können, weil uns das sehr wichtig ist. Wenn Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter zu Schulungen ins Haus kommen, setzen mein Bruder und ich uns dazu, tauschen uns aus und betonen die Wichtigkeit der Arbeit, die bei uns geleistet wird. Ich habe großen Respekt vor den Leistungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Inwiefern ist Ihr Unternehmen von der Corona-Krise betroffen?Wir bekommen die Krise natürlich sehr zu spüren. Die einen Kunden hatten ihre Geschäfte über mehrere Wochen geschlossen und brauchten keine Reinigung mehr. Andere brauchten deutlich mehr Leistungen, wie beispielsweise Pflegeheime, zum Selbstschutz und weil die Stadt besondere Auflagen gemacht hat. Die Reinigungsintervalle haben sich auch dort geändert, wo viele Mitarbeiter im Homeoffice sind.
Hat sich nicht auch die Arbeit an sich verändert, weil mehr desinfiziert werden muss?Wir beraten unsere Kunden auch, was solche Maßnahmen betrifft – ganz offen und ehrlich. Wir desinfizieren Türklinken auf Wunsch, aber so etwas bringt nichts, wenn man es nicht nach jeder Berührung wiederholt. Wir haben nicht versucht, möglichst viel Desinfektionsspender und -mittel zu verkaufen, um Geld zu verdienen. Wir wollen die Corona-Krise nicht für kurzfristige Gewinne ausnutzen. Das ist überhaupt nicht unser Ansinnen. Wir suchen Kunden, die sich lange an uns binden, weil wir sie von unseren Leistungen überzeugen können.
Das Gespräch führte Silke Hellwig.Arne Söffge ist der ältere der Brüder, die als Inhaber die Geschäfte der Söffge Büro-, Gebäude- und Treppenhausreinigung GmbH & Co KG leiten. Der gelernte Bankkaufmann ist 1987 in den Familienbetrieb eingestiegen. Er ist Mitglied im Vorstand der Landesinnung Bremen und Nord-West-Niedersachsen des Gebäudereiniger-Handwerks.
Ein relevantes Handwerk
Die Branche Gebäudereinigung beschäftigt nach eigenen Angaben in Bremen rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bundesweit rund 700 000 in mehr als 24 500 Unternehmen. Der Umsatz wird mit 19,6 Milliarden Euro beziffert (Stand: 2019). Die Arbeit der Beschäftigten wird gewürdigt: 96 Prozent der Bundesbürger halten das Gebäudereiniger-Handwerk in der Corona-Krise für relevant – für sehr wichtig (67 Prozent) oder wichtig (29). Das ist das Ergebnis einer Forsa-Befragung, die im Frühjahr vom Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks veranlasst worden ist.
Die Ergebnisse wurden Anfang April veröffentlicht. Laut Befragung hält gut jeder Vierte die Gebäudereinigung für wichtiger als vor der Krise. Besonders hoch ist die Zustimmung unter den 18- bis 29-Jährigen. „Die Gebäudereinigung ist in normalen Zeiten im Hintergrund tätig, die Menschen schätzen uns, bekommen im Alltag aber wenig von uns mit. Die Corona-Krise sorgt für eine deutlich höhere Wertschätzung“, so kommentierte der Bundesinnungsmeister Thomas Dietrich die Umfrageergebnisse.
Weitere Informationen
Die Söffge Büro-, Gebäude- und Treppenhausreinigung GmbH & Co.KG beschäftigt rund 2600 Mitarbeiter und reinigt für ungefähr 1700 Kunden. Das Unternehmer betreibt Filialen in Bremerhaven, Oldenburg und Leipzig. An der Spitze der Firma stehen die Brüder Arne und Boris Söffge, Enkel des Firmengründers. Heinz Söffge gründete die Firma 1955.