Vier Monate vor der Bremer Bürgerschaftswahl steht das Prestigeprojekt des rot-grünen Senats auf dem Prüfstand: Erstmals ist am Donnerstag vor Gericht öffentlich und in der Hauptsache über den geplanten Offshore-Terminal in Bremerhaven (OTB) verhandelt worden. Zu einem Urteil kam es vorerst nicht. Die 5. Kammer des Bremer Verwaltungsgerichts ließ durch kritische Nachfragen aber erkennen, dass sie von einem Bedarf für den OTB zum Zeitpunkt seiner Planung vor vier Jahren nicht überzeugt ist. Nur damit aber ließe sich der Eingriff in die geschützte Natur am Weserufer rechtfertigen. Einen Vergleich schlossen die Prozessparteien aus. Kläger sind die Umweltschützer des BUND. Beklagte ist das Land Bremen.
Es ist selten, dass vor den Toren des Verwaltungsgerichts Menschen anstehen, die sich für eines der meist nicht publikumswirksamen Verfahren interessieren. Das war dieses Mal anders. Bei klirrender Kälte warteten die Besucher am Morgen auf Einlass. Es ging nur stockend voran, weil eine Sicherheitsschleuse aufgebaut war, an der niemand vorbei kam, ohne durchsucht worden zu sein.
Im Saal 4 hatten sich die Vertreter der beteiligten Behörden eine Stuhlreihe gesichert. Jörg Schulz war da, der ehemalige Oberbürgermeister von Bremerhaven, aktuell Staatsrat im Justizressort. Nils Schnorrenberger, Chef der Wirtschaftsförderung in der Seestadt und ein unermüdlicher Werber für den OTB. Außerdem die Sprecher des Wirtschaftsressorts und der Hafengesellschaft Bremenports, die den Schwerlasthafen bauen soll.
Ans Eingemachte
Ihnen allen wurde schnell klar, dass mit einem Urteil an diesem Tag nicht zu rechnen ist. Das Gericht hatte eine Entscheidung vorher nicht ausgeschlossen, doch als es nach allerlei Formalitäten ans Eingemachte ging, genau mit dem Punkt, der für den Ausgang des jahrelangen Streits maßgeblich ist, verflog die Hoffnung. Kardinalfrage war, welches Potenzial es 2015 für den Schwerlasthafen gab. In dem Jahr war der Planfeststellungsbeschluss erlassen worden.
Antworten gaben damals die Gutachter von Prognos und Planco: Sie waren überzeugt davon, dass der OTB erfolgreich sein wird und stützten diese Einschätzung auf Prognosen zur Entwicklung der Offshore-Industrie. Dass Bremerhaven seit dieser Zeit durch Firmenpleiten und den Abbau bei anderen Unternehmen im Windkraftbereich etwa die Hälfte der rund 1500 Arbeitsplätze verloren hat, dass also die Erwartungen alles andere als erfüllt wurden, spielt für die Entscheidung des Gerichts zunächst keine Rolle. Erstens berät es auf der Grundlage von 2015. Und zweitens, so das Argument der Gutachter, die am Donnerstag angehört wurden, wäre es mit der Offshore-Branche in Bremerhaven möglicherweise ganz anders gekommen, wenn sie früh den OTB zur Verfügung gehabt hätte.
Zahlen frei gegriffen
"Hätten Sie in Ihren Untersuchungen Szenarien, dass Firmen verschwinden, nicht auch aufnehmen müssen?", fragte der Vorsitzende Richter Peter Sperlich die Gutachter. An anderer Stelle sprach er von Zahlen, die "frei gegriffen" worden seien, von wenig handhabbaren "weichen Faktoren" und Prognosen, die den Firmen ein geradezu explosionsartiges Wachstum voraussagten.
Was war damals Fakt, was sichere Erwartung und was nur vage Hoffnung? Sperlich wollte das genau unterscheiden, hatte mit den Gutachtern aber seine liebe Müh. Sie konnten ihr Prüfergebnis mindestens nicht eingängig erklären. "Warum können Sie das nicht nachvollziehen?", wurde es dem Richter an einer Stelle zu bunt, "das ergibt sich aus Ihren eigenen Zahlen."
Zehn Jahre ist es her, dass der Bremer Senat den Beschluss für einen Hafen gefasst hat, in dem Offshore-Windkraftanlagen montiert und verschifft werden sollten. Geplant war ein Konzessionsmodell mit einem privaten Betreiber, doch weil sich keiner finden ließ, musste man es selbst angehen – mit der Bremen Logistics Group (BLG), die mehrheitlich in Bremer Besitz ist und entsprechend gesteuert werden kann. In die Quere kamen kurz vor Baubeginn die Umweltschützer. Sie erreichten 2016 einen Baustopp, da stand noch kein Bagger am Deich. Trotzdem waren durch vorbereitende Arbeiten für das 180-Millionen-Projekt bereits erhebliche Kosten entstanden, insgesamt 25 Millionen Euro.
Der Baustopp entsprang einem Eilverfahren, in dem die Richter bereits skeptisch waren, ob der OTB gebraucht wird. Richtig zur Sache geht es aber erst jetzt. An diesem Freitag, 10 Uhr, wird die Verhandlung fortgeführt. Dann will das Gericht mehr auf die Gegenwart eingehen. Die Gutachter hatten die Chancen für den geplanten Hafen berechnet, als in Bremerhaven mit Adwen und Senvion noch zwei vielversprechende Offshore-Unternehmen ansässig waren. Heute produziert nur noch Senvion, mit ungewisser Perspektive. Es gab die Pleiten von Weserwind und Power Blades und die Entscheidung von Siemens, ihre Windturbinenfabrik in Cuxhaven zu bauen.