Vor fünf Jahren ist Joana Pinto Reis Fernandes noch in Portugal gewesen, und mit dem Deutsch war das so eine Sache. In ihrer Heimat sah sie keine Möglichkeit, ihre Ziele zu erreichen. In Bremen beim Fotostudio von Dietrich Penz in der Überseestadt konnte sie eine Ausbildung beginnen. Und so war es auch ihr Chef, der sie mit der Nachricht überraschte, dass sie, die frisch ausgelernte Fotografengesellin, als Beste ihres Gewerks abgeschnitten hat. „Ich konnte das gar nicht glauben“, sagte die 24-jährige Portugiesin. Die Ausbildung hatte sie sogar um einige Monate verkürzt. Am Freitagabend hat Reis nun die Auszeichnung von der Bremer Handwerkskammer erhalten – zusammen mit 31 Gesellen, 13 Betriebswirten im Handwerk und 20 Meistern, die die Besten in ihrem Gewerk sind.
Der Präses der Handwerkskammer, Thomas Kurzke, sagte anlässlich der Ehrung: „Der Nachwuchs fehlt an vielen Stellen im Handwerk. Daher sind solche Veranstaltungen willkommen, um das Handwerk als Alternative zum Studium zu präsentieren.“ Seit 1951 treten junge Handwerker jedes Jahr im ganzen Bundesgebiet an, um den besten Gesellen in rund 130 handwerklichen Berufen zu ermitteln und gleichzeitig die Öffentlichkeit für die Bedeutung des Handwerks zu sensibilisieren. Der Wettbewerb erfolgt in vier Stufen, beginnt in den größeren Berufen auf der Innungsebene und wird dann auf Handwerkskammer-, Landes- und Bundesebene fortgesetzt. Teilnahmevoraussetzungen sind die Note „Gut“ und ein Höchstalter von 27 Jahre.
Joana Pinto Reis Fernandes konnte sich gleich zweimal behaupten. Denn in ihrem Gewerk ist sie Kammer- und Landessiegerin geworden. Das Fotografieren ist ihre Leidenschaft, das war ihr schon früh klar. Gute berufliche Perspektiven sah sie in ihrem Heimatland aber nicht. Deshalb entschied sie sich, eine neue Herausforderung in Bremen zu suchen. Reis absolvierte mehrere Sprachkurse und ging ein Jahr später bei Dietrich Penz in die Ausbildung. Dort arbeitet sie noch immer, allerdings nur in Teilzeit. „Im Dezember habe ich mich als Fotografin mit einem Kleingewerbe selbstständig gemacht. Außerdem studiere ich Kommunikation und Medienmanagement an einer Fernuni“, berichtete sie.
Zu den Besten seines Handwerks zählt auch Bavar Dagli. Innerhalb von fünf Jahren hat der Kammer- und Landessieger im Bereich Kraftfahrzeugmechatronik ein Bauingenieurs-Studium, eine Lehre und die Meisterprüfung abgeschlossen. Ein untypischer Werdegang, den nur wenige verfolgen. Als Meister arbeitet der 24-Jährige nun im familieneigenen Betrieb in Walle: „Aktuell bilde ich vier Azubis aus und bin auch Mitglied im Prüfungsausschuss der praktischen Gesellenprüfung.“
Anlagenmechaniker in vierter Generation
Für Jason Engelage war das Abitur von vornherein uninteressant, denn bereits als Kind wusste der jetzt 20-jährige Bremer, dass er ins Handwerk möchte. Als Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik war Engelage nicht nur Jahrgangsbester, sondern ebenfalls Kammer- und Landessieger. Er ist zwar nun in vierter Generation Anlagenmechaniker, doch gelernt hat er nicht im Familienbetrieb: „Ich wollte meine Ausbildung lieber woanders machen. In meinem Ausbildungsbetrieb wurde ich auch übernommen, das freut mich sehr.“ Zukunftspläne hat der junge Geselle auch schon: die Meisterfortbildung. „Damit kann ich mich vielleicht irgendwann selbstständig machen oder sie nutzen, um mich zu spezialisieren.“
Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann, der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, Andreas Meyer, sowie Präses Kurzke waren beeindruckt von dem Engagement, das die jungen Menschen im Rahmen ihrer Aus- und Weiterbildung gezeigt haben. „Sie alle sind tolle Persönlichkeiten, und es freut mich, zu sehen, was sie erreicht haben“, sagte die Senatorin. Ähnlich sah es Meyer, allerdings nicht, ohne ein Wort über den aktuellen Fachkräftemangel in den Handwerksberufen zu verlieren: „Tragen Sie Ihr Selbstbewusstsein und den Stolz hinaus und zeigen Sie, dass das Handwerk besser ist als sein Ruf.“ Doch das sei im Denken vieler Menschen noch nicht angekommen.
Das zeige sich auch an den Zahlen der unbesetzten Lehrstellen, erläuterte der Hauptgeschäftsführer: „In unserer Lehrstellenbörse sind derzeit rund 100 Stellen offen. Natürlich gibt es aber auch eine versteckte Statistik.“ Laut Andreas Meyer könnten ungefähr 4000 ausbildungswillige junge Menschen sofort in den Betrieben untergebracht werden. „Einen großen Teil dieser Stellen füllen die Geflüchteten aus, die eine Lehre im Handwerk aufgenommen haben“, ergänzte Präses Thomas Kurzke. „Ohne sie wäre die Lage deutlich schlechter.“