Frau Baumann, für viele ist Astronaut sein ein Kindheitstraum. Wie fühlt es sich an, einen Traum zu leben?
Nicola Baumann: Sehr, sehr schön. Es ist ein tolles Gefühl, wenn man nicht vor der grauen Realität eingeknickt ist und seinen Traum nicht aufgeben musste.
Fühlen Sie sich schon wie eine Astronautin?
Ich weiß natürlich nicht, wie sich andere Astronauten fühlen. Ich fühle mich momentan aber nicht anders als vorher. Wenn es dann aber losgeht, wird sich das bestimmt ändern.
Es hat sich seit Ihrer Bewerbung bei „Die Astronautin“ aber schon viel getan, oder?
Es ist viel passiert. Ich spreche bei Konferenzen, habe Live-Schalten im Fernsehen, werde fotografiert und gebe Interviews. Das ist alles sehr spannend, weil es Dinge sind, die ein normaler Mensch sonst nicht erlebt. Ich kann das voll genießen.
Viele Träume haben die Eigenschaft, sich nur schwer umsetzen zu lassen. Sollte man sich irgendwann eingestehen, dass man etwas nicht schaffen wird?
Eigentlich sollte man einen Traum nie aufgeben. Wenn man im Basiscamp vom Mount Everest steht, ist es kalt, die Luft ist dünn und alles erscheint ganz schwierig. Auch, weil man vom Basiscamp aus nicht den ganzen Weg nach oben sieht. Trotzdem muss man einfach mal loslegen und wenn ich den 1000. Schritt gegangen bin, dann sehe ich, wo ich Schritt 1001 hinsetzen muss. Deswegen sollte man nicht von Anfang an aufgeben.
Kann man jeden Traum erreichen?
Ich glaube fest, dass jeder seine Träume erreichen kann. Es kann nur nicht jeder jeden Traum erreichen. Wenn man in einem Bereich völlig talentfrei ist, sollte man sich das auch eingestehen. Ich wollte beispielsweise wahnsinnig gerne Schauspielerin werden, habe drei Jahre Unterricht genommen. Dann musste ich aber feststellen, dass ich richtig schlecht bin.
Dieser Traum ist nun begraben?
Ja, wobei das auch andere Gründe hatte. Ich wollte eigentlich nur Schauspielerin werden, um Josh Hartnett kennenzulernen. Ich war 16, er hat in dem Film Pearl Harbour mitgespielt und ich fand ihn klasse. Als Schauspielerin wäre ich eine Kollegin gewesen und hätte ihn so kennenlernen können. Später habe ich dann gemerkt, dass es mir gar nicht so sehr um Josh Hartnett ging, sondern um die Fliegerei, die in dem Film gezeigt wurde.
Also hatten Sie mit der Fliegerei einen neuen Traum. Wie häufig verläuft man sich auf dem Weg zum Ziel?
Das kommt immer mal wieder vor. Mir ist von Anfang an klar, dass ich nie den ganzen Weg kenne und dass ich bestimmt auch ein paar Mal gegen die Wand laufe. Das traurigste Gefühl ist es, wenn man einfach so aufgibt.
Sie wirken so gelassen.
Das musste ich mir beibringen. Mit 17 war ich etwas pummelig, die Jungs fanden mich doof. Da hatte ich mit mir zu kämpfen. Ich wollte selbstbewusster werden, hatte aber keine Erfolgserlebnisse. Deswegen habe ich einfach so getan, als sei ich selbstbewusst. Der Amerikaner nennt das „Fake it ‘til you make it“. Wenn ich selbstbewusst auftrete, geben mir auch andere Menschen das Feedback, dass ich es wirklich bin.
Was war bislang Ihre größte Herausforderung?
Als ich 15 Jahre alt war, ist mein Stiefvater beim Fliegen ums Leben gekommen. Das hat meine Mutter aus der Bahn geworfen und für mich war es damals schwierig, sie zu unterstützen. Mir ist dadurch aber auch klar geworden, dass das Leben sehr kurz sein kann. Mein Stiefvater war gerade erst 40, als er den Unfall hatte.
Trotzdem sind Sie Pilotin geworden.
Dass das Leben tödlich endet, wusste ich schon vorher. Deswegen wollte ich mich nicht vor Angst verkriechen. Ich lebe lieber 40 Jahre richtig als 80 langweilig. So hat das auch mein Stiefvater gesehen. Außerdem schätze ich das Risiko immer vorher ab. Nur wenn ich zu 100 Prozent konzentriert bin, gehe ich fliegen.
Haben Sie einen Trick, um sich zu motivieren, wenn es mal nicht so läuft?
Bei der Bundeswehr betreut eine Fluglehrerin eine Schülerin. Dadurch kann man sich nicht in der Klasse verstecken. Daraus habe ich gelernt, dass ich die Kritik nie persönlich nehmen darf. Ein anderer Trick ist es, dass ich mich selbst frage, ob ich mich in einem Jahr auch noch über die vermeintliche Niederlage ärgere. Wenn das nicht der Fall ist, brauche ich mich auch jetzt nicht darüber aufzuregen.
Gibt es auch etwas Positives an Niederlagen?
Ja, in der Fliegerei ist es zum Beispiel ganz schlecht, wenn Flugschüler im Training noch nie durchgefallen sind. Man braucht dieses Negativerlebnis, um mit Rückschlägen umgehen zu können. Sonst haut einen die erste Niederlage komplett um.
Haben Sie Menschen, an denen sie sich orientieren?
Ich mag Amelia Earhart, die erste Frau, die alleine über den Atlantik geflogen ist. Sie hat sich von niemanden reinreden lassen und ihr Ding gemacht. Das finde ich natürlich auch bei Männern beeindruckend – historisch hatten Frauen es aber an vielen Stellen schwerer.
Das ist auch heute noch so.
Das glaube ich nicht. Egal ob ich ein Mann oder eine Frau bin: Jeder kann in Deutschland zur Schule gehen, studieren und in seinem Fachbereich exzellent werden. Natürlich gibt es immer Leute, die einem Grenzen setzen wollen. Egal, welches Geschlecht man hat.
Das Projekt Die Astronautin ist etwas ganz Neues. Und noch immer steht die Finanzierung des Ganzen nicht. Außerdem besteht die Gefahr, dass Sie als Ersatz auf der Erde bleiben und Ihre Kollegen Insa Thiele-Eich ins All fliegt. Wäre das eine Niederlage für Sie?
Auf gar keinen Fall. Insa und ich machen viel für das Projekt, halten Reden, geben Interviews, gehen in Schulen und Kindergärten. Selbst wenn Insa ins All fliegt, würde ich mir auch einen Teil des Erfolgs zuschreiben – und anders herum ist das genauso. Ich mache das schließlich nicht für mein Ego, sondern für das Ziel, dass es endlich eine deutsche Astronautin gibt. Wenn das gesamte Projekt scheitern sollte, wäre das natürlich sehr schade. Aber wenigstens haben wir es dann versucht.
Neben dem Astronautentraining haben Sie auch noch einen Job bei der Bundeswehr. Was machen Sie, wenn Sie auf beides mal keine Lust haben?
Ich kann mich dazu zwingen, ein disziplinierter Mensch zu sein. Der Vorrat an Selbstdisziplin ist aber irgendwann aufgebraucht. Deswegen leiste ich mir auch Phasen, in denen ich wirklich ich bin. Wenn ich einen freien Tag habe, schlafe ich auch mal bis elf Uhr, gehe abends feiern oder ernähre mich ungesund mit Pfannkuchen und Eis.
Das Interview führte Stefan Lakeband.