Herr Hofmann, die Energiepreise sind infolge des Ukraine-Krieges enorm gestiegen; Industrievertreter warnen deshalb vor einer De-Industrialisierung Deutschlands, einem Abwandern der Industrie in Länder mit niedrigeren Energiepreisen. Teilen Sie diese Befürchtungen?
Natürlich haben wir Abwanderungstendenzen bei energieintensiven Industrien, wenn wir keine verlässlichen Perspektiven bei den Industriestrompreisen bieten können. Der Ausbau der regenerativen Energien ist da also das A und O. Offshore-Windenergie ist sehr günstig – das sind Preise, die durchaus wettbewerbsfähig sind. Aber die geplante Ausbaugeschwindigkeit – die ist im Moment nur ein Versprechen, an das keiner so recht glauben kann.
Nehmen wir das Beispiel Stahlindustrie: Sehen Sie die Gefahr, dass die energieintensive Roheisen- und Stahlerzeugung ins Ausland verlagert werden könnte und nur die Weiterverarbeitung in Deutschland bleibt?
Die Stahlindustrie steht vor einer doppelten Herausforderung: Sie braucht Wasserstoff für die klimaneutrale Roheisenerzeugung und viel Strom für die Stahlproduktion im Elektrolichtbogenofen. International aufgestellte Konzerne wie Arcelor Mittal können da natürlich vergleichen, wo es für sie am günstigsten ist. Deshalb noch mal: Wettbewerbsfähige Energiepreise sind hier das A und O.
Bund und Länder sind bereit, den Aufbau einer Produktion von „grünem Stahl“ mit Milliardensummen zu unterstützen. Warum ist das gut investiertes Geld? Wäre es in zukunftsträchtigen High-Tech-Branchen nicht besser aufgehoben?
Stahl ist in vielen wichtigen Zukunftsfeldern unverzichtbar, gerade auch in Gütern, die es erlauben, Produkte leichter zu machen, korrosionsbeständiger und damit langlebiger. Für nachhaltiges Wirtschaften ist Stahl ein Werkstoff, der absolut eine Perspektive hat. Und der zweite Punkt ist: In den letzten anderthalb Jahren ist das Thema Resilienz von Lieferketten auch in Europa angekommen. Wenn wir den Eisenschwamm nur noch aus Australien oder von sonst wo beziehen, muss nur im Suezkanal mal wieder ein Tanker querstehen und wir hätten ein Problem.
Der Schmelzer am Hochofen muss dann künftig eine ganz andere Anlage bedienen, die mit Wasserstoff statt mit glühendem Koks arbeitet. Das wird für manch altgedienten Hüttenwerker sicherlich eine große Herausforderung. Wie kann die Weiterqualifikation der Mitarbeiter sichergestellt werden?
Beim Stahl ist es so, dass die Komplettumstellung nicht von heute auf morgen erfolgt. Man kann sich also jetzt überlegen: Welche Ausbildungsberufe biete ich an? Und was biete ich den Kollegen an, die noch 10, 20, 30 Jahre im Beruf vor sich haben? Darüber muss man sich jetzt Gedanken machen, und es ist absolut sinnvoll, dass der Staat das mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen unterstützt. In die Qualifikation der Menschen muss genauso viel Drive rein wie in Infrastrukturmaßnahmen.
Auch die Automobilindustrie steckt mitten in einem großen Umbruch – Stichwort E-Mobilität. Bei Dieseln und Benzinern waren die deutschen Hersteller immer spitze – sehen Sie diese Vorherrschaft in Gefahr?
Wir können gerade noch die Kurve kriegen. Ich erinnere mich an so manchen Automanager, der der Meinung war, Batterien seien etwas, was man auf dem Weltmarkt einkaufen kann wie Schrauben. Aber natürlich entscheidet sich an den Batterien, wer den Wettbewerb beherrscht. Insofern ist es gut, dass Europa jetzt eine eigene Batteriezellenfertigung aufbaut. Ich glaube: Die Autos, die wir bauen, sind gut. Leider sind die Lieferzeiten zurzeit abstrus lang, sodass der eine oder andere dann doch zu einem Fahrzeug aus Korea oder China greift.
Überholen die Chinesen beim E-Mobil gerade die deutsche Autoindustrie?
Die deutschen Hersteller setzen zurzeit auf die teuren Fahrzeuge mit hohen Margen und erzielen damit Rekordgewinne. Aber wichtig für die Beschäftigung in den Werken sind natürlich auch die kleinen und mittleren Fahrzeuge in großen Stückzahlen. Wir brauchen E-Autos für unter 20.000 Euro, wir brauchen auch die Golf-Klasse. Da müssen wir aufpassen, dass wir keine Marktanteile verlieren.
Ein E-Auto besteht aus weniger Teilen als ein Verbrenner. Verlieren wir also Arbeitsplätze in den Autowerken?
Durch die E-Mobilität wird es weniger Arbeitsplätze in der Fertigung geben. Ich sehe aber nicht die Gefahr einer großen Arbeitslosigkeit, weil der demografische Wandel uns da entgegenkommt. Für einige spezialisierte Zulieferer wird es sicherlich schwierig. Hier braucht es Unterstützung, dass diese in nachhaltige Wertschöpfung investieren. Aber nimmt man die Energie- und Mobilitätswende insgesamt, geht uns nicht die Arbeit aus. Auch hier kommt es wieder darauf an: Wie geben wir den Menschen, die heute in Bereichen arbeiten, in denen morgen der Arbeitskräftebedarf nicht mehr so groß sein wird, eine verlässliche Perspektive?
Was halten Sie eigentlich von Elon Musk?
Für Brandenburg ist das Tesla-Werk sicherlich ein Gewinn. Welche Nachhaltigkeit diese Investitionen und die Produkte haben, muss man sehen. Tesla ist mit dem 3er-Modell in eine Lücke gestoßen, weil man als erster ein Fahrzeug auf den Markt gebracht hat, das auch für normale Käufer erschwinglich war und gute elektrische Fahreigenschaften hat. Im Moment verfehlt Tesla das Verkaufsziel deutlich und versucht mit Kampfpreisen Absatz zu machen. Ob sich das hält auf die Dauer, weiß ich nicht. Klar, auf der einen Seite fasziniert so ein Typ wie Elon Musk, aber auf der anderen Seite spielt er seine Macht eben auch hemmungslos aus, und sein Stil ist nicht unbedingt verträglich mit dem, was Menschen von guter und wertschätzender Arbeit erwarten.
Gewerkschafter sieht er am liebsten von hinten.
Am liebsten gar nicht.
Unabhängig von den langfristigen Veränderungen steht die deutsche Wirtschaft möglicherweise vor einer Rezession. Wie kommen wir da durch?
Am Freitag wurden die Zahlen für 2022 veröffentlicht: Preisbereinigt haben wir ein Wachstum um 1,9 Prozent und auch im zweiten Halbjahr schwarze Zahlen. Von der Rezession reden wir seit einem halben Jahr – bis jetzt ist sie aber nicht gekommen. Wir haben einen stabilen Arbeitsmarkt, wir haben die Entlastungspakete der Bundesregierung, wir haben gute Tarifergebnisse. Gegen das größte Risiko, dass der Konsum abschmiert, haben wir also kräftig gegengesteuert.
Geht dem Staat irgendwann das Geld aus für die vielen Hilfspakete?
Die Frage ist: Was ist sinnvolle Haushaltspolitik? Und da bin ich der Auffassung, dass Investitionen in die Zukunft, in die Mobilitätswende, in Digitalisierung und Bildung nicht in die Schuldenbremse mit eingerechnet werden sollten. Die rechnen sich nämlich über die Jahre und zahlen sich aus.
Das Gespräch führte Christoph Barth.