Frau Gaumann, wie alt waren Sie, als Sie Ihr erstes Bier getrunken haben?
Doreen Gaumann: Mein erstes Bier mit Zusatz war eine Berliner Weiße mit Schuss. Das war mit Waldmeister, und dazu gab es auch noch eine Speckmaus. Das war beim Osterfeuer, und da war ich 15 Jahre alt. Das war mein erstes Getränk mit Bier.
Wie hat Ihnen das damals geschmeckt?
Die Kombination mit dem Süßen war ganz gut. Mit 16 kam dann aber auch nur Bier dazu – also Beck’s oder Haake-Beck. Das war damals auf den Jahrgangszwischenpartys und auch auf den Schützenfesten. Das hat mir anfangs aber überhaupt nicht geschmeckt. Auf Schützenfesten gab es da auch noch Barre.
Wie sind Sie dann dazu gekommen, dass Sie Bier zu Ihrem Beruf machen wollen?
Das war so nicht geplant. Mein Abitur hatte ich 2010 in Sulingen im musisch-künstlerischen Bereich gemacht und hatte aber auch ein Faible für Naturwissenschaften. Ich wollte auf alle Fälle eine Ausbildung machen statt zu studieren, weil ich eher praxisbezogen bin. Das sollte im Lebensmittelbereich sein. Ich war schon Bio- oder Chemielaborantin, und dann kam mein Vater mit dem Inserat und sagte: „Schau mal, Beck’s sucht Auszubildende für den Beruf Brauer und Mälzer.“ Ich war damals auf dem Trichter: Ein Job ist zum Geldverdienen da, der muss nicht unbedingt Spaß machen. Ich habe mich dort beworben und den Zuschlag bekommen. Ich habe mich einen Keks gefreut und bin froh, dass das so gelaufen ist. Am 1. September bin ich jetzt seit sechs Jahren bei der Union-Brauerei.
Aus Ihrer Berufsschulklasse sind doch bestimmt einige in die große weite Welt gegangen?
Einige haben nach Stellenausschreibungen in anderen Ländern geschaut und Deutschland dann vorerst den Rücken gekehrt. Wir können selbst auch immer nur appellieren, Berufserfahrungen in anderen Betrieben und Ländern zu sammeln und nicht nur auf einer Stelle zu treten.
Was haben Ihre Freunde gesagt, als Sie denen erzählt haben, dass Sie Brauerin werden wollen?
Das war zweigeteilt: Die einen haben das total gefeiert. Und wegen des monatlichen Deponats, das Brauereibeschäftigte ja erhalten, hatte man plötzlich mehr Freunde als man denkt. Aus dem Bekanntenkreis gab es aber auch einige, die sagten: „Mach doch nach dem Abitur einfach etwas Anständiges – zum Beispiel studieren.“
Jetzt läuft nicht immer alles glatt – gab es während ihrer Ausbildung mal Zeiten, wo es auch mal etwas mühsamer war?
Die körperlichen Tätigkeiten waren weniger das Problem. Ich habe in der Industrie gelernt und dort sind die Arbeitsprozesse oft so organisiert, dass sich die körperliche Belastbarkeit in Grenzen hält. Für mich war es zu Beginn auch kein Thema, dass der Beruf des Brauers häufig von Männern ausgeübt wird. Kollegen und Personen von außerhalb haben dies aber zum Teil immer wieder thematisiert – auch 2010 noch, als ich meine Ausbildung begonnen hatte. Leider war es auch in der Berufsschulklasse Thema und auch nicht immer angenehm. Das war eine Zeit, die ich irgendwie überwunden habe.
Dem Bier sollte es doch eigentlich egal sein, ob es von einer Frau oder einem Mann hergestellt wird?
Dem Bier schon.
Wie egal ist es denn den Brauereibesitzern in Deutschland heutzutage?
Das ist eine gute Frage – die einen so, die anderen so. Hier bei uns bei der Union-Brauerei ist das kein Thema.
War Ihnen bereits während Ihrer Ausbildung klar, dass Sie mal Ihre Meisterin machen wollen?
Nein, aber ich hatte mich während der Ausbildung immer mal informiert. Das lag vielleicht daran, dass es immer noch diesen Erwartungsdruck von Freunden und Bekannten gab, dass ich danach noch studieren müsste. Ich konnte mich aber nie mit dem Gedanken anfreunden, irgendwo im Hörsaal zu sitzen, um mir dort Wissen anzueignen. In der Arbeitshose in der Brauerei zu sein, wollte ich aber auch nicht missen. Nachdem ich nach Beck’s für eine Zeit noch bei Diebels am Niederrhein gearbeitet habe, war für mich klar, dass ich meinen Meister machen möchte.
Es sind ja mehr Männer als Frauen in Deutschland, die Bier trinken – wie erklären Sie sich das?
Da frage ich mich auch, woran das liegt. Trifft das Bier nicht die Geschmäcker der Frauen? Aber auch da heißt es Vorsicht. Denn Frauen mögen nicht immer süffige Biere. Oder liegt es an der Sichtweise, dass Bier nicht salonfähig ist, weil es manchmal als Ramschware abgestempelt wird und nicht so hochwertig aussieht? Die Bloggerin Nina Anika Klotz hat dazu ja das Buch „Von wegen hell & Süffig – Das ultimative Bierbuch – nur für Frauen“ geschrieben. Das zeigt die ganzen Facetten von Bier auf, ohne dabei von oben herab belehrend zu sein. Wenn man die ganze weite Welt von Bier kennenlernt, dass es eben nicht nur das Pils und das Lager ist, findet man da vielleicht auch ein wenig sein Bier.
Sie schauen also auch, wie Sie das ein wenig ändern können?
Ja, so ist das. Im übertragenen Sinne: Es mag nicht jeder Rotkohl oder Brokkoli, aber vielleicht gibt es dazu eine Alternative.
In der jungen Zielgruppe sind seit Jahren Biermischgetränke immer beliebter – darf bei Ihnen irgendwas an Limonade mit ins Bier kommen?
In der Herstellung ja, schließlich haben wir ja auch Fassbrause und Alster. Zu meinen Lehrzeiten bestand ein Großteil meines Deponats noch aus Biermischgetränken. Heutzutage trinke ich das aber nur noch, wenn ich im Sommer zwischendurch mal eine kleine Erfrischung benötige.
Wie sieht bei Ihnen ein Arbeitstag aus?
Das ist unterschiedlich. An einigen Tagen ist Brauen angesagt und an anderen Tagen die Abfüllung. Dann gehört auch viel Arbeit im Büro dazu, um auch die Rohstoffe neu zu bestellen. Wenn wir brauen, bereiten wir das am Morgen oder Abend zuvor entsprechend vor. An einem Tag wie heute haben wir beispielsweise schon zwei Sude. Der eine läuft dann in der Nacht schon an. Da müssen wir dann Proben nehmen und Hopfengaben machen.
Und wann geht es morgens los?
Auch das ist unterschiedlich: Der Betrieb ist inzwischen so gewachsen, dass wir Früh- und Spätschichten haben. Es kann morgens also mal zwischen sechs und acht Uhr losgehen oder dann am Mittag zwischen zwölf und 14 Uhr. Aber wir sind hier maximal flexibel und können uns das selbst ganz gut einteilen. Es muss nur am Ende des Tages die Arbeit erledigt sein.
Mit wie vielen Menschen stellen Sie denn das Bier hier in der Brauerei her?
In der Brauerei sind wir hier mit etwa neun Leuten tätig. Da haben wir eine Whatsapp-Gruppe, um uns zu organisieren.
Wie sehr fiebern Sie noch bei jeder neuen Braucharge mit?
Total! Beim Standardsortiment ist es so: Man braut das Bier, es wird seine Zeit, die es im Tank lagert, betreut, bis es dann abgefüllt wird. Bei Lohnsuden - also Biere von Auftraggebern - ist es immer wieder spannend. Oft wird Malz aus anderen Mälzereien verwendet, andere Hopfensorten oder Rohstoffe abseits vom Reinheitsgebot. An manchen Tagen muss auch die Herstellungsart überdacht werden und man lernt auch die Möglichkeiten und Grenzen seiner eigenen Sudanlage besser kennen.
Was kann die denn so?
Wir selbst bringen ja inzwischen saisonale Sorten raus, von denen einige neu sind. Am Sonntag wird sich beispielsweise entscheiden, welches saisonale Bier wir für den Herbst brauen werden. Da fiebert man dann mit, wenn der Prototyp perfekt war, und man wissen will, ob es denn auch auf der großen 20-Hektoliter-Anlage funktioniert. Da geht man in den drei bis vier Wochen, in denen das Bier lagert, auch jeden Tag an den Tank und schaut: Wie hat sich die Hefe schon gesetzt, und wie hat sich der Geschmack entwickelt.
Schreien Sie das Bier auch mal an, wenn es nicht so will wie Sie?
Es wird liebevoll gestreichelt.
Wie oft kommt es denn vor, dass das Bier nicht so will wie Sie?
Das kommt eher selten vor. Bei unseren Standardbieren müssen wir nur auf neue Malzchargen achten, ob die anders sind – und wenn es nur die Farbe ist. Sowas merkt man aber schnell oder sieht es direkt in der Analyse.
Und gab es bisher ein Bier, bei dem auch Sie abgewunken haben, weil es nicht Ihr Geschmack ist?
Nein, weil es nie den Prototypenstatus verlassen hat. Ich habe schon Prototypen gebraucht, die dann direkt in die Kanalisation gingen. Es war nicht das, was ich wollte.
Gibt es ein Bier, das bei Ihnen hoch im Kurs ist, das aber wohl von den Verbrauchern nicht mitgetragen wird?
Das ist das Altbier. Als wir das für die Fachmesse Fisch & Feines gebraut hatten, hatten wir sogar nochmals nachgebraut. Auch unser Altbier vom letzten Jahr hat sich gut verkauft. Bei der Flaschenware läuft das gut, jedoch nicht direkt aus dem Fass.
Geht das eigentlich wirklich, dass man daheim die Waschmaschine zum Bierbrauen verwenden kann, oder ist das nur ein Gerücht?
Ich kenne es auch nur aus Erzählungen. Selbst kenne ich keinen Heimbrauer, der mit einer Waschmaschine Bier gebraut hat. Ich könnte mir vorstellen, dass die Läuterung, also die Trennung von Feststoffen und der Flüssigkeit, damit sehr gut funktionieren kann. Es gibt auch ein kleines Sudwerk mit einem Volumen von 50 Liter, das wie ein Betonmischer aussieht. Damit würde ich gerne einmal brauen. Mein Budget gibt das allerdings noch nicht her.
Inwiefern können Sie inzwischen schon am Geruch erkennen, aus welchem Teil der Erde der Hopfen kommt?
Vor allem wenn man Hopfen in heißem Wasser löst, kann man einige Sorten ganz gut voneinander unterscheiden. Aber ich könnte jetzt nicht sagen, ob der aus Übersee kommt.
Jetzt arbeiten Sie hier in einer regionalen Brauerei – es macht den Eindruck, dass Sie hier einen gewissen Freiraum haben?
Ja, ich würde es als „Leinen los“ bezeichnen.
Welche der Biersorten, die hier in der Union-Brauerei hergestellt werden, gehen auf Ihre Kreation zurück?
Vieles machen wir im Team zusammen, wie zum Beispiel das Helle, das sehr gut läuft. Das Altbier vom letzten Jahr kam aus meiner Feder und jetzt die neue saisonale Kreation für den Herbst.
Wie sehr stehen Sie als Braumeisterin auch in der Verantwortung, dass das Team während der Arbeit nicht zu viel trinkt?
Das hält sich in Grenzen. Denn da ist bei uns schon jeder für sich eigenverantwortlich genug. Zur Abfüllung und bei Prototypen müssen wir natürlich probieren. Wenn wir uns dazu zusammensetzen, achten wir darauf, dass wir zuvor schon anständig gegessen haben – natürlich nichts, was den Geschmack des Bieres verfälschen könnte. Ich denke, dass man da schon sensibilisiert ist und auf den anderen achtet.
Mussten Sie sich schon mal rechtfertigen, dass Sie etwas Alkoholisches und damit eine Droge herstellen?
Dieses Thema hat in letzter Zeit Aufwind bekommen. Das hängt vielleicht mit der Zigarettenwerbung zusammen. Ich bin Nichtraucherin und hatte in der Vergangenheit Zigarettenwerbung kritisiert, musste mir dabei aber gleichzeitig eingestehen, dass ich Bierwerbung nicht als schlimm empfinde, weil ich in dem Beruf arbeite. Eigentlich ist das der falsche Ansatz.
Inwiefern?
Wenn man Bierwerbung macht, sollte man auch Zigarettenwerbung machen dürfen. Bei Zigaretten ziehe ich allerdings alle anderen um mich herum in Mitleidenschaft, bei Alkohol ist es immer nur auf mich bezogen. Und ich bin bei allem immer für den verantwortungsvollen Konsum. Bei mir ist das tägliche Feierabendbier absolutes No-Go, weil ich nicht möchte, dass dieses Biertrinken zur Gewohnheit wird. In den elf Jahren, in denen ich das mache, ist es auch nicht Gewohnheit.
Bei dem Herzblut, das Sie hier reinlegen – wie haben Sie da die letzten eineinhalb Pandemie-Jahre durchlebt?
Das war durchwachsen. Wir hatten am Ende zum Glück nur einige Wochen mit weniger Arbeit. Als ich in dieser Zeit zu Hause war, habe ich die Zeit genutzt, um mir neue Sorten zu überlegen und irgendwas aufgearbeitet, was die Monate zuvor liegen geblieben ist. Wir sind am Ende mit einem blauen Auge davon gekommen. Die Kneipen hatten geschlossen, aber unser Flaschenbier ging im Handel durch die Decke. Den Kneipenabsatz konnte man damit nicht kompensieren, es hat uns aber gut durch die Monate getragen.
Wie empfinden Sie das, wenn im Handel eine Kiste Bier in Aktionen für weniger als fünf Euro über die Ladentheke geht?
Wenn da in der Aktion eine Kiste zum Teil für 3,33 Euro über die Ladentheke geht, tut mir das schon weh. Ich weiß natürlich, wie das geht – wenn man also mit einer Charge gleich 80.000 Flaschen auf einmal abfüllen kann. Bei uns können die Leute durch die Räumlichkeiten gehen und schauen, wie wir das Bier herstellen. Die können dann auch mit den Leuten reden, die es hergestellt haben.
Hat das Bier im Urlaub Pause, oder sind Sie immer auf der Suche nach Input?
Das ist abhängig davon, wohin ich meinen Urlaub buche. Für kommendes Jahr fahre ich zum Beispiel nach Österreich zu einer Fortbildung. Das ist ein Seminar in der Bierakademie, in der es um die Geschichte der Trapistenbiere und die Herstellung geht. Da geht es um Biertrinken und um neue Sorten. Der andere Kurs geht um Hopfenstopfen: Wie bekomme ich das Aroma ins Bier? Danach hänge ich eine Woche Urlaub dran.
Knüpfen Sie Urlaubserinnerungen manchmal auch an einen bestimmten Geschmack?
In den Urlaub nach Belgien bin ich gefahren, um mir explizit die Herstellung von Lambic-Bieren anzuschauen.
Warum ist Brauerin für Sie der schönste Beruf der Welt?
Weil er sehr facettenreich ist.
Das Gespräch führte Florian Schwiegershausen.