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Handel Klima-Siegel auf Lebensmitteln: Alles nur Etikettenschwindel?

Zahlreiche Zertifikate und Siegel versprechen klimaneutrale Produkte. Doch kann man den Aufklebern trauen? Die Organisation Foodwatch hat ein damit markiertes Produkt als "Windbeutel des Jahres" prämiert.
02.01.2022, 05:00 Uhr
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Klima-Siegel auf Lebensmitteln: Alles nur Etikettenschwindel?
Von Timo Thalmann

Manfred Spreen gibt zu, dass er selbst den Überblick schon lange verloren hat. „Es gibt so viele Siegel und Zertifikate auf den Verpackungen, dass ich auch nicht sagen kann, auf was sich der Verbraucher verlassen kann“, sagt der Lebensmittelkaufmann. Aber soviel kann der Chef über rund 1300 Quadratmeter Rewe im Jan-Reiners-Center in Findorff sagen: „Das jetzt negativ prämierte Produkt führen wir gar nicht.“

Gemeint ist ein Hähnchenbrustfilet der Rewe-Eigenmarke Wilhelm Brandenburg. Es hat 2021 den von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch ausgelobten „Goldenen Windbeutel“ erhalten. Der Negativpreis wird alljährlich Produkten zuerkannt, die ihre Werbeversprechen nicht einlösen.

Im Falle des Filets ist das ein Aufkleber mit dem „Klimaneutral“-Logo von Climate-Partner. „Rewe erwecke damit den Eindruck, Fleisch sei ein klimafreundliches Lebensmittel. Dabei ist Gegenteil der Fall: Die Tierhaltung trägt weltweit mit über 15 Prozent zu den vom Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen und damit zum Klimawandel bei", begründet Foodwatch die Wahl.

Rewe weist Etikettenschwindel-Vorwurf zurück

Die Organisation will recherchiert haben, dass die von Rewe für das Siegel eingekauften CO2-Zertifikate eines Waldschutzprojektes in Peru zu Unrecht ausgegeben wurden, weil durch das Projekt gar kein Kohlendioxidausstoß eingespart wird. Rewe streitet diese Darstellung ab.

Spreen ist selbstständiger Kaufmann und kein Rewe-Filialist. Er hält sich aus dem Konflikt heraus, zumal besagter Aufkleber fast ausschließlich in Bayern die Packungen der Eigenmarke verziert hat. „Das Filet ohne dieses Siegel haben wir natürlich auch im Sortiment.“ Ob derartige Auszeichnungen den Absatz eines Produkts befördern, will er ebenfalls nicht beurteilen. „Aber ich würde sagen, dass sich die Nachfrage insgesamt langsam in Richtung Klimaschutz verschiebt.“

Für Spreen sind die wachsenden Regalmeter in seinem Laden für vegetarischen Fleischersatz sowie Hafermilch-Produkte der Beleg dafür. „Wurst und Hack auf der Basis von Soja war noch vor wenigen Jahren überhaupt nicht interessant für uns.“ Inzwischen sei das Teil des Standardangebots, ebenso wie immer mehr regionale Produkte.

Vielzahl von Siegeln auch für Verbraucherzentrale ein Problem

Das ist auch der Tipp von Annabel Dierks von der Verbraucherzentrale Bremen. „Wer saisonales Gemüse aus der Region und weniger Fleisch kauft, ist vermutlich immer klimafreundlicher unterwegs, als bei dem Kauf von Produkten mit irgendwelchen Klimalabeln.“ Sie sieht dabei auch wenig Verzicht. „Selbst im Winter stehen bei uns rund 30 regionale Gemüsesorten auf dem Speiseplan.“ Im Kern beruhe die Logik vieler Siegel stets auf den Ausgleich weiterhin klimaschädlicher Anbau- oder Herstellungsmethoden durch Investitionen an anderer Stelle.

Auch Dierks beurteilt die Vielzahl von Umwelt-Siegeln auf den Produktverpackungen als „unübersichtlich“. Viele davon seien wenig vertrauenswürdig und von Organisationen ausgestellt, die die jeweiligen Hersteller selbst gegründet haben und finanzieren.

Dierks verweist auf die Webseite siegelklarheit.de, die von der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit im Auftrag der Bundesregierung erstellt wurde. Hier sind zahlreiche Siegel aufgelistet und bewertet. Allerdings steht die Seite noch am Anfang. Gerade im Bereich Lebensmittel sind die vielen Siegel bislang kaum überprüft, unter anderem auch weil die jeweiligen Siegelgeber eine Bewertung insgesamt ablehnen können.

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