Seit Jahren ist die Kreuzfahrtindustrie ein Wachstumsmarkt mit steigenden Passagierzahlen und ausgelasteten Werften – etwa der Meyer-Werft in Papenburg. Die Branche samt Kreuzfahrtschiffen, Werften und Zulieferern sorgt in Deutschland für Tausende Arbeitsplätze. Die Corona-Pandemie hat das Kreuzfahrt-Reisegeschäft aber zum Stillstand gebracht.
Wann diese Branche wieder zur Normalität findet, ist offen: So haben etwa die USA gerade erst die sogenannte No Sail Order für 100 Tage verlängert. Das heißt: Größere Kreuzfahrtschiffe mit mehr als 250 Passagieren dürfen die USA nicht anlaufen. Die Bundesregierung hat nun zusammen mit anderen europäischen Ländern für ein Paket zur Liquiditätsentlastung der Reedereien gesorgt, um dadurch unter anderem Stornierungen von Neubauten zu vermeiden.
Um Liquiditätskrisen bei den Kreuzfahrtreedereien vorzubeugen, haben sich deshalb die Regierungen in Deutschland, Frankreich, Finnland, Italien und Norwegen auf Prinzipien verständigt, wie Kreuzfahrtreedereien auf Antrag für ein Jahr die Schuldentilgung ihrer mithilfe staatlicher Exportkreditgarantien finanzierten Kreuzfahrtschiffe aussetzen können. Die für den Erwerb neuer Kreuzfahrtschiffe notwendigen Finanzierungen werden regelmäßig über staatliche Exportkreditgarantien abgesichert. Allein Deutschland sichert so aktuell nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums Zahlungsverpflichtungen für Finanzierungen von in Deutschland gefertigten Kreuzfahrtschiffen in Höhe von rund 25 Milliarden Euro ab.
„Es hilft unseren Kunden sicher in gewissem Maße und ist ein richtiger erster Schritt“, sagte ein Sprecher der Meyer-Werft auf Nachfrage des WESER-KURIER. Diese Maßnahme reiche aber bei Weitem nicht aus, um den vollständigen Stillstand im Kreuzfahrtmarkt auszugleichen. Welchen wirtschaftlichen Stellenwert die Kreuzfahrtindustrie hat, zeigt sich an der Meyer-Werft, die derzeit 3625 Mitarbeiter und aktuell Aufträge mit geplanten Ablieferungen bis Ende 2023 für acht Schiffe hat. Die zur Meyer-Gruppe gehörende Neptun-Werft in Rostock, die in erster Linie Flusskreuzfahrtschiffe baut, hat 700 Mitarbeiter. Meyer Turku in Finnland hat 2200 Beschäftigte und Aufträge mit Ablieferungen bis 2025.
Nach Angaben von Clia Deutschland – der Verband vertritt den Großteil der Kreuzfahrtindustrie – sind insgesamt mehr als 400.000 Mitarbeiter in der Kreuzfahrt und in den mit ihr verbundenen Branchen in Europa beschäftigt, in Deutschland sind es etwa 50.000. Laut Bundeswirtschaftsministerium wirkt sich die schlagartig verschlechterte Ertragslage der Reedereien negativ auf die europäischen Schiffbauer und deren Orderbücher aus.
Es bestehe die Gefahr, dass aufgrund fehlender Liquidität Schiffsbestellungen storniert und Neubau-Investitionen verschoben werden. Dies hätte fatale Auswirkungen für Tausende von Beschäftigten – sowohl in der europäischen Werftenindustrie als auch in den zahlreichen Zulieferbetrieben. „Wir sorgen für eine Liquiditätsentlastung bei den Kreuzfahrtreedereien und stabilisieren damit in der aktuellen Krisensituation die langjährigen Geschäftsbeziehungen der europäischen Werften“, so Norbert Brackmann (CDU), maritimer Koordinator der Bundesregierung
„Ich denke, das ist eine sinnvolle Maßnahme gerade für die großen Reedereien“, sagt Plantours-Geschäftsführer Oliver Steuber. Für den Bremer Veranstalter, der unter anderem das kleinste deutsche Hochseekreuzfahrtschiff, die MS „Hamburg“, in seiner Flotte hat, komme das aber nicht infrage. „Wir chartern unsere Schiffe. Zum Glück kommen wir noch ganz gut klar, weil wir viele Gäste in die zweite Jahreshälfte umbuchen können.“
Prüfung der Hilfsmaßnahmen
„Trotz der abgesagten Reisen verzeichnen wir über das Gesamtjahr immer noch eine Auslastung von 65 Prozent, viele Gäste der abgesagten Reisen entscheiden sich für eine Umbuchung und Gäste halten an bereits getätigten mittel- und langfristigen Buchungen fest“, heißt es von Tui Cruises. Nichtsdestotrotz werde die Reederei grundsätzlich alle möglichen Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung prüfen und gegebenenfalls beantragen.
„Das ist eine gute Entscheidung des Bundes„, sagt Ralf Nagel, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Verbands Deutscher Reeder. Die Passagierschifffahrt sei am schnellsten und härtesten von den Folgen der Corona-Pandemie betroffen. In Kürze werde sich zeigen, dass auch weitere Bereiche der international agierenden deutschen Schifffahrt dramatisch vom zu erwartenden wirtschaftlichen Abschwung weltweit erfasst würden. “Dort, wo wirksame Unterstützung gebraucht wird, sollte es sie dann vergleichbar auch geben.“
Für Tui Cruises wäre das beste Szenario, „bald wieder Fahrt aufnehmen zu können“, so eine Sprecherin. Erste Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Betriebs seien die Aufhebung der Reisewarnung des Auswärtigen Amts, Lockerung der Einreisebestimmungen in den Fahrgebieten und verfügbare Häfen. Oberste Priorität habe selbstverständlich die Gesundheit von Gästen und Besatzung. „Wir hatten in der Vergangenheit an Bord der Mein-Schiff-Flotte keinen Fall von Corona.“ Damit das so bleibe, prüfe die Reederei zusätzliche infektionspräventive Maßnahmen.
Rückführung von Passagieren
Das vorerst letzte Kreuzfahrtschiff wurde am Sonntag mit der „Astor“ an der Columbuskaje in Bremerhaven abgefertigt. Die seit einigen Wochen geltenden Reisebeschränkungen im Zusammenhang mit Corona-Virus hatten dazu geführt, dass Passagiere nicht wie geplant in anderen Häfen von Bord gehen konnten. Damit wurden Lösungen erforderlich, die die Rückkehr deutscher Kreuzfahrtgäste ermöglichen und gleichzeitig die Einhaltung der notwendigen Regeln zum Infektionsschutz gewährleisten.
Deshalb hatte Häfensenatorin Claudia Schilling (SPD) zusammen mit der Hafenbehörde und der Polizei ein Rückführungskonzept erarbeitet, das die Bedingungen des Infektionsschutzes genau berücksichtigte und die Rückholung der Kreuzfahrtgäste ermöglichte. Dadurch konnten in Bremerhaven an der Columbuskaje seit dem 1. April fünf Kreuzfahrtschiffe aufgenommen werden und es wurden 1768 Passagiere und circa 500 Besatzungsmitglieder ausgeschifft.