Als Peter Stöcker das erste Mal eine Sprühdose in der Hand hielt und seine Zeichen an den Wänden der Stadt hinterließ, war er zehn Jahre alt. Es waren die 1990er Jahre, die goldene Ära der Rapmusik. Stöckers ältere Brüder waren begeisterte Sprayer, und er ließ sich von dem Lebensgefühl anstecken. Anfangs versuchte sich er sich vor allem an Graffiti-Buchstaben, später an Figuren und Flächen. Die Leidenschaft des heute 33-Jährigen für urbane Kunstwerke ist geblieben, Stöcker hat daraus ein Geschäftsmodell gemacht:
Vor sieben Jahren gründete der gebürtige Bremer seine Agentur Lucky Walls mit Sitz in der Überseestadt. Gemeinsam mit anderen Graffitikünstlern, Illustratoren, Malern und Lackierern entwickelt er seitdem Konzepte für Privat- und Geschäftskunden. „Es gab für mich nie eine andere Option“, sagt Stöcker, dem früh klar war, dass er seine Vorliebe für Graffitis zum Beruf machen möchte.
„Ich wollte eine Arbeitsstelle schaffen, die zu mir passt“, sagt der Graffitikünstler. Stöcker, der in der Szene gut vernetzt war, hörte davon, dass man mit beauftragten Graffitis auch Geld verdienen könnte. „Wir haben da große Vorreiter in Bremen“, sagt er. Eines seiner Vorbilder ist Markus Genesius, der vor mehr als 30 Jahren als Sprayer begann und sich als Wow123 einen Namen in der internationalen Kunst- und Graffitiszene gemacht hat. Genesius stieg schnell auf legale Flächen um und machte vor, wie man seine Leidenschaft für Graffitis mit Auftragsarbeiten verbinden kann.
Einige von Stöckers Kunden, zu denen bekannte Marken wie Fritz-Cola, aber auch Werbeagenturen, Architekturbüros und Wohnungsbaugesellschaften wie Gewoba und Brebau gehören, haben von vornherein ganz konkrete Vorstellungen von der Gestaltung ihres gewünschten Kunstwerks. „Es gibt aber auch Unternehmen, die verstehen den Wert einer urbanen Arbeit“, sagt der Agenturleiter. „In den meisten Fällen ist das für mich die interessantere Arbeit.“ Dann kann sich der Graffitikünstler gemeinsam mit seinem Team von Lucky Walls, das derzeit aus vier festen und weiteren freien Mitarbeitern besteht, auf den Fassaden, Wänden und Objekten der Stadt austoben.

Eine von Lucky Walls gestaltete Häuserwand.
Mehr Berater als Künstler
Aber der Agenturleiter, der in Berlin Mediadesign studiert hat, sieht sich nicht nur als Künstler, sondern auch als Berater. „Ich frage mich immer zuerst, was den Kunden anspricht“, sagt Stöcker. „Oftmals ist vor allem eine authentische Arbeit gefragt.“ Vor der tatsächlichen Gestaltung der bunten Fassadenkunstprojekte steht oft ein langer Entwurfsprozess, in dem Ideen und Motive gefunden, ausgearbeitet, verworfen und wieder neu ausgedacht werden. Die Flächen für die Kunstwerke aus Bremen reichen von der Innenwand eines Büros bis zum mehrstöckigen Hochhaus.
Trotz vermeintlich grell-bunter Graffiti soll sich die Wandgestaltung immer auch ins Gesamtbild des Gebäudes einfügen. „Wenn die Architektur etwas vorgibt, greifen wir das gerne auf“, sagt Stöcker. Zu den gesprühten Farben sind inzwischen auch Lichtinstallationen hinzugekommen, die man in Bremen beispielsweise in Kattenturm in der Theodor-Billroth-Straße bewundern kann. Dort hat das Lucky-Walls-Team überdimensionale Mohnblumen auf den Schornstein des Brebau-Wohnhauses gebracht, die aufgrund der LED-Panels auch im Dunkeln zu sehen sind. „Das hat einen coolen Effekt“, findet Stöcker, der mit dieser Arbeit einen ganz besonderen Moment verbindet: Als sein Sohn im Krankenhaus Links der Weser geboren wurde, konnte der 33-Jährige die illuminierten Mohnblumen im Hintergrund sehen.
Neben der kommerziellen Arbeit liegen dem Bremer Unternehmer besonders soziale Projekte mit Jugendlichen am Herzen. So hat er erst im Sommer zusammen mit einer Künstlergruppe aus Panama und Schülern der Wilhelm-Wagenfeld-Schule das Gebäude der Oberschule Hermannsburg gestaltet. Gemeinsam sammelten die Schüler Vorschläge und brachten die Entwürfe schließlich in Form einer Collage an das Hauptgebäude der Schule.
Um junge, kunstaffine Menschen von der Materie zu begeistern, nimmt Stöcker in den Schulferien oft ganze Praktikantengruppen auf, mit denen er Graffitiprojekte in Bremen umsetzt. Etwa zweimal im Jahr engagiert sich der Künstler außerdem für soziale Projekte, an denen auch Geflüchtete teilnehmen. Stöcker bringt ihnen bei, wie man einen kreativen Entwurfsprozess durchführt und ein solches Projekt von der ersten Idee bis zum letzten Finish umsetzt. Im Fokus stehe hier das Überwinden kultureller und sprachlicher Barrieren bei der gemeinsamen Arbeit: „Das passiert über Graffiti sehr beiläufig“, sagt der 33-Jährige.