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Serie Die Standhaften Der Stift muss zur Hand passen

Die Geschichte von A. Six aus Vegesack begann vor fast 100 Jahren. Wie schafft man es als Laden, in schwierigen Zeiten zu bestehen? Und wie macht man weiter, wenn es wenig Hoffnung auf einen Nachfolger gibt?
12.08.2023, 05:00 Uhr
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Der Stift muss zur Hand passen
Von Lisa Schröder

Ob Liebesbrief, Glückwunschkarte oder Urlaubsgruß – auf den richtigen Stift und das richtige Papier kommt es an. Seit über 90 Jahren dreht sich bei A. Six alles genau darum. So lange gibt es das Geschäft in Vegesack schon. Doch die Welt wird immer digitaler. Wie hält sich da ein Papier- und Schreibwarenladen?

In den verschlossenen Glasvitrinen hinter Inhaber Thorsten Ruhl stehen teure Füllfederhalter und Kugelschreiber zur Auswahl. Auf den Stift einer Besucherin, ein Kugelschreiber von Caran d'Ache in Dunkelviolett, schaut der Experte sofort und schraubt ihn auseinander. Aus Kaffeekapseln sei der? Seine Leidenschaft fürs feine Schreibgerät ist im Gespräch schnell zu spüren.

An seiner Arbeit macht Ruhl vor allem der Austausch mit den Kunden und Lieferanten Freude. A. Six solle kein Geschäft sein, bei dem es kurz an der Kasse "Ping" mache und der Kunde wieder gehe. "Wir kennen viele hier. Man schnackt eben ein bisschen", sagt Ruhl. Viele Generationen kämen her. Ganz wichtig dabei sei natürlich auch die Ware selbst: "Die Qualität halten wir hoch." Mappen für die Schule seien zum Beispiel zwar teurer als im Supermarkt, dafür hielten die Schnellhefter das ganz Jahr.

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Um gegen die Konkurrenz auch aus dem Internet bestehen zu können, muss der Einzelhandel eine eigene Handschrift entwickeln – wie hier mit der persönlichen Beratung. "Irgendwann werden Sie fragen, weswegen man hier einkaufen sollte", sagt Ruhl. Das wolle er gerne gleich zu Anfang vorführen. "Schreiben Sie mal 'Bremen'", sagt er und wartet kurz, um festzustellen: "Sie halten falsch. Sie wissen gar nicht wohin mit den Fingern." Auf dem Zeigefinger sei außerdem zu viel Druck. Und ob der Kugelschreiber nicht zu zierlich für die Hand sei? Für Ruhl ist dieser Blick auf die Finger wichtig. Genau solches Beobachten der Schreibhaltung sei nämlich nötig, um den Kunden einen Stift empfehlen zu können – passend zur Hand. Oft werde leider irgendwas gekauft, nur weil es schön aussehe.

Seit 1932 gibt es A. Six schon hier auf der Flaniermeile. Archivbilder zeigen: In früheren Jahren durften noch die Kundenautos in der Straße geparkt werden, durch die heute die Passanten schlendern. Gründerin des Geschäfts ist Anna Six gewesen. Ihren Namen hat Thorsten Ruhl bewusst behalten, als er ihren Laden übernahm. Oft werde er heute als "Herr Six" angesprochen – und höre darauf einfach.

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Viele Kunden schätzen die schönen Dinge zum Verschenken, die es neben den Papier- und Schreibwaren auch gibt. Andere kaufen sich hier ihre Zeitung oder Zeitschrift – eine Morgenroutine. Kundin Heike Buhse aus Vegesack findet den Laden "ganz großartig". Die Beratung sei sehr persönlich. In ihren Händen hält sie eine gerade gekaufte Kladde für ihre Gedanken. Einen Füller von Six hat sie schon.

Lob fürs Sortiment gebe es oft, sagt Verkäuferin Petra Nagel. Jetzt gleich im Anschluss muss sie aber zunächst passen. "Es geht um reißfeste Versandtaschen", trägt der Mann am Tresen seinen Wunsch vor. Die sind gerade aus, werden für ihn bestellt. "Wie viele brauchen Sie denn? 100 Stück?", scherzt Thorsten Ruhl aus der Tiefe des Raumes.

Seit 1990 führt er den Laden. Seine Karriere begann allerdings weit weg von der Welt der Briefumschläge und Tintenfässer: als Führungsmittelelektroniker. Ruhl reparierte bei der Bundeswehr auf Fehmarn Radaranlagen. Warum er heute hier steht? Zur Familie Six gab es eine persönliche Beziehung. Seine Großmutter kümmerte sich als Haushälterin um den Sohn von Anna Six, der wegen einer Behinderung besondere Pflege brauchte. Als die Geschäftsgründerin starb, stieg seine Großmutter mehr ins Geschäft ein – und bot es schließlich ihrem Enkel an. Er holte dafür die Ausbildung zum Bürokaufmann nach. Ruhl vergrößerte den Laden, was Hans-Claus Six, den Sohn von Anna Six, besonders gefreut habe.

Heute dreht sich Ruhls Alltag um Graf von Faber-Castell und Lamy. Nur eine bekannte Marke ist schon länger nicht mehr dabei, weil der Hersteller sich eine deutlich größere Präsenz wünschte, für die der Platz nicht da gewesen wäre: Montblanc. Das bedauert Ruhl schon wegen der Qualität, sein Lieblingskuli ist von der Marke. "Wir haben Montblanc groß gemacht", erinnert sich der Chef. An Weihnachten sei dann aber nach den Gesprächen ein Brief gekommen: "Wir werden Sie nicht weiter beliefern." Von Pelikan hat sich derweil Ruhl selbst verabschiedet, weil man mit den Preisen im Internet einfach nicht mithalten könne.

Das Geschäft bedeutet viel Arbeit: Von Montag bis Sonnabend ist Ruhl da. Wie es in Zukunft weitergeht? Natürlich mache man sich Gedanken, wer das Geschäft mal übernehmen könne. Doch Ruhl hat kaum Hoffnung, einen Nachfolger zu finden. "Solche Geschäfte gibt es kaum noch", sagt er. In der Bremer Innenstadt findet sich heute kein einziger Papier- und Schreibwarenladen mehr.

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Um den Standort selbst macht er sich jedoch keine Sorgen. Gerade hier mitten in der Fußgängerzone sei die Lage noch gut, während es anderswo schon Leerstand in der Stadt gebe. "Ich bin ein positiver Mensch", sagt Ruhl aber. Wer hierher zum Bummeln komme, könne danach "ruckzuck" noch an der Weser spazieren gehen, sich die Schiffe von Abeking & Rasmussen angucken. Das sei ein Erlebnis! Über dem Laden wohnt er mit seiner Frau. Das Haus, in dem vorher der bekannte Botaniker Albrecht Roth gelebt habe, gehöre dem Ehepaar Ruhl. 

Am Ende des Besuchs gibt es einen Minischwamm als Hilfsmittel mit auf den Weg. Sonst zeigt Thorsten Ruhl damit Kindern, wie sie ihre Finger beim Schreiben halten sollten. Unzählige Erstklässler aus Bremen dürften hier schon ihren allerersten richtigen Stift gefunden haben.

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Die Letzten ihrer Art

Sie sind so etwas wie die letzten ihrer Art: Inhabergeführte Geschäfte, die den großen Handelsketten trotzen und ihre Kundschaft auf ganz eigene Art und Weise umschmeicheln. Der WESER-KURIER stellt in loser Reihenfolge Geschäfte vor, die sich seit vielen Jahren standhaft der übergroßen Konkurrenz erwehren und sich dank großer Kundennähe behaupten.

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