„Großauftrag für Airbus“ – so lautete die Überschrift vor gut einem Jahr im WESER-KURIER, als der europäische Flugzeugbauer auf der Luftfahrtmesse in Dubai zwei Großbestellungen über insgesamt 170 Mittel- und Langstreckenjets bei zwei arabischen Airlines einsammelte. Die Auftragsbücher waren voll wie nie, es ging nur darum, wie die Produktion noch weiter hochgefahren kann. Doch die Corona-Pandemie hat alles verändert: Die Nachfrage nach neuen Flugzeugen ist im Keller, die Produktion auf ein Minimum gedrosselt. Diese Situation ist auch der IG Metall Bezirk Küste klar, aber sie befürchtet, „dass die Corona-Krise bei Airbus auch als Vorwand genutzt wird, um Strukturen anzupassen“.
Denn Umstrukturierungspläne und ein damit verbundener Stellenabbau hatte der Flugzeugbauer schon vor mehr als einem Jahr bekannt gegeben, als sich niemand vorstellen konnte, dass eine solche Krise folgen wird und die Branche insgesamt massiv belastet. Wie massiv, das geht aus einer aktuellen Befragung der Betriebsräte hervor, die die Gewerkschaft IG Metall am Freitag vorgestellt hat. Danach droht in der norddeutschen Luft- und Raumfahrtindustrie im nächsten Jahr ein weiterer Abbau von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Bundesweit seien in den beteiligten Unternehmen etwa 10.000 Arbeitsplätze gefährdet, davon rund 6300 in Norddeutschland. 70 Prozent der Arbeitnehmervertreter im Norden erwarten laut der Befragung bis Ende nächsten Jahres einen weiteren Rückgang an Beschäftigung.
„Die Corona-Krise schlägt im Passagierflugzeugbau voll durch“, sagte Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste, bei der Vorstellung der Befragungsergebnisse. „Noch im vergangenen Jahr war die Branche ein Jobmotor, jetzt bereiten uns Airbus, Premium Aerotec und insbesondere die vielen kleineren Zulieferer große Sorgen.“ Gemeinsam mit Arbeitgebern und Politik müsse man gegen diese Situation gegensteuern und Arbeitsplätze sowie Standorte sichern. „Wir werden nicht hinnehmen, dass Corona – etwa bei Airbus in Bremen – als Vorwand genutzt wird, um Strukturen anzupassen.“ Die IG Metall erwarte, dass die Ausstattung der Flügel unter anderem mit Landeklappen, weiterhin im Bremer Werk bleibt.
Gefragt seien „kluge Konzepte“, die den Beschäftigten in dieser für alle schwierigen Zeit Sicherheit bieten und eine Brücke in die Zukunft bauen. Friedrich forderte eine Verlängerung der in der Luftfahrtindustrie weitverbreiteten Kurzarbeit und Arbeitszeitverkürzungen mit teilweisem Lohnausgleich. „Darüber verhandeln wir derzeit mit Airbus. Auch in der Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie wollen wir dazu Lösungen mit den Arbeitgebern vereinbaren“, sagte der IG Metall-Bezirksleiter.
Personalabbau auf freiwilliger Basis
Man sei in Gesprächen, teilte Heiko Messerschmidt, Sprecher der IG Metall Küste, mit. Was Airbus und Premium Aerotec angehe, müsse man abwarten, wie deren sogenannten Freiwilligenprogramme anlaufen. In diesem Zusammenhang soll ein Personalabbau auf freiwilliger Basis erfolgen, der über Abfindungen oder Transfergesellschaften geregelt werde. „Wie diese Angebote angenommen werden, wissen wir nicht. Die Fristen enden dafür im März.“ Man werde vonseiten der Gewerkschaft alles daran setzen, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden.
Alles andere führe dazu, dass man sich die Zukunft verbaue, sagte Messerschmidt. Die Produktion werde wieder anlaufen, das sei sicher. „Und wir denken darüber hinaus an die Flugzeuge der nächsten Generation. Die sollen auch in Deutschland und wie bisher vornehmlich im Norden gefertigt werden.“ Dafür müssten die Weichen gestellt werden. Die Standorte im Norden hätten dafür die Voraussetzungen, aber die dürfe man nicht durch betriebsbedingte Kündigungen einfach kaputt sparen. Diese Fachkräfte bekomme man nicht wieder. Es müsse vermieden werden, dass sich Airbus selber Voraussetzungen schaffe, um ganze Produktionsstandorte ins Ausland zu verlagern. Von der Produktion in Norddeutschland sei auch eine breit aufgestellte Zuliefererbranche abhängig.
Die durchschnittliche Auslastung der befragten Unternehmen ist in Norddeutschland von 100 Prozent Anfang 2020 auf jetzt 72 Prozent gesunken. Ein Großteil der Betriebe erwartet danach ein anhaltend niedriges Niveau oder sogar einen weiteren Auftragsrückgang. Die Betriebsräte berichten, dass Investitionen in neue Anlagen oder Hallen gestoppt oder verschoben worden sind. „In vielen Unternehmen stehen auch Forschung und Entwicklung hintenan. Damit sind Investitionen in innovative, klimaneutrale Projekte gefährdet, die für die Zukunft der Branche entscheidend sind“, sagte Friedrich.
Kritik kommt von der IG Metall an der geplanten Reduzierung der Ausbildungsplätze. Laut der Befragung planen mehr als 40 Prozent der Betriebe, im nächsten Jahr weniger Auszubildende einzustellen. Auch die in den Tarifverträgen geregelte unbefristete Übernahme nach der Ausbildung wird von vielen Betrieben infrage gestellt. „Bei allem Verständnis für die wirtschaftliche schwierige Lage ist das ein falsches Signal“, erklärte Bezirksleiter Friedrich. Die Branche sei bei jungen Menschen attraktiv und müsse weiter mit guten Arbeitsbedingungen vorangehen.