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Kunststoffproduzent Made in Bremen: Auf allen sieben Weltmeeren unterwegs

Firma Haindl aus Blumenthal entwickelt und produziert Kunststoffe. Die Produkte finden sich unter anderem auf Jachten, U-Booten und großen Marineschiffen auf allen Weltmeeren.
05.08.2017, 18:38 Uhr
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Von Tobias Meyer

Goldene Lettern auf rotem Untergrund. Das Buch in Jens Rohpeters Händen ist alt, die Seiten schmuddelig, die Kanten abgegriffen. 1954 steht im Impressum, und auf dem Buchdeckel: Fiberglass Reinforced Plastics, kurz FRP. Noch heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, ist das die internationale Bezeichnung für Faser-Kunststoff-Verbunde. Und genau für die ist die Haindl Kunststoffverarbeitung GmbH Spezialist: Die Produkte aus der Fertigung in Bremen-Nord finden sich nach eigenen Angaben unter anderem auf Jachten, U-Booten und großen Marineschiffen auf allen Weltmeeren.

Das Buch, das Geschäftsführer und Eigentümer Jens Rohpeter durchblättert, hat Gründer Egon Haindl damals aus Amerika mitgebracht. Dorthin war der 1928 geborene Bremer nach seiner Ausbildung zum Chemielaboranten in den Leverkusener Bayerwerken zwischenzeitlich ausgewandert. In den USA arbeitete er an der Entwicklung künstlicher Badeschwämme mit – und kam zum ersten Mal in Berührung mit faserverstärkten Kunststoffen. Ein Werkstoff, der ihn faszinierte. Und zwar so stark, dass er mit vielen Ideen und dem rot-goldenen FRP-Lehrbuch zurück nach Bremen-Nord kehrte, um hier 1958 sein eigenes Unternehmen zu gründen. Im Garten seines Hauses fertigte er Komponenten für Ortungs-, Sonaranlagen und Fischereifahrzeuge in Handarbeit. Einer seiner ersten Kunden waren die Atlas-Werke, später kamen etwa die Schiffbauer Abeking & Rasmussen und die Lürssen-Werft dazu.

Das Unternehmen wuchs und wuchs. 1996 – da war Sohn Timo Haindl bereits sechs Jahre Geschäftsführer – kaufte Haindl eine alte Wäscherei in Blumenthal, baute sie stetig weiter aus. Zwar wird noch immer ein kleiner Teil am Standort der etwa ein Kilometer entfernten Werkstatt direkt am Familienhaus gefertigt. Der Großteil der Produktion findet aber Am Knick 4 statt, dem Hauptsitz der Firma.

"Die Finanzkrise hat uns ziemlich getroffen"

Jens Rohpeter steht in einer der großen Hallen, in denen es jetzt, am Freitagmittag, bereits ruhig ist. Hier hat er vor 15 Jahren als Fertigungsleiter begonnen – und 2009 schließlich die Geschäftsleitung übernommen. Eine Feuertaufe. „Die Finanzkrise hat uns da ziemlich getroffen“, erinnert sich der 47-Jährige. „Viele unserer Auftraggeber haben sich mit Anfragen zurückgehalten.“ Doch Haindl nutzt diese Zeit, um neue Märkte kennen zu lernen, baut beispielsweise für einen Kunden salzwasserbeständige Sole-Badewannen. Nicht die einzige Kuriosität in der Firmengeschichte: Da waren auch Komponenten für Karussells und mobile Bierschänken in riesiger Fliegenpilzform. Und in den 80er-Jahren fertigte Haindl Teile für Bremer Straßenampeln. Einige der typischen dunkelgrünen Masten sind heute noch im Stadtbild zu sehen.

Das Kerngeschäft von Haindl aber liegt woanders: in der Herstellung von Komponenten aus sogenannten Duromeren, also Kunststoffen, die mit anderen Werkstoffen – zum Beispiel Glasfaser – kombiniert werden und eine so starke Verbindung eingehen, dass sie anschließend nicht mehr verformt werden können. „Diese Glasfaser hier“, erklärt Rohpeter und rollt das Gewebe von einer Rolle ab, „wird beispielsweise zu einer Außenverkleidung für Möbel auf Mega-Jachten.“

Wie das aussehen kann, zeigt er in der nächsten Halle: Dort liegen zwei große, glänzend schwarze Rahmen, die demnächst eine zehn Meter lange Lautsprecherwand auf einer Jacht verkleiden sollen. „Die Herausforderung bei dieser Spezialanfertigung war, sie für den Außenbereich witterungsfest zu machen und gleichzeitig die Ästhetik und das Design eines Indoor-Möbelstück zu bewahren.“

Der Markt wandelt sich

Haindl ist genau auf solche besonderen Anfragen spezialisiert. „Wir sind quasi eine industrielle Manufaktur“, sagt Rohpeter. „Wir leben davon, dass Unternehmen mit bestimmten Vorstellungen von einem Produkt zu uns kommen – und wir anschließend Lösungen suchen, um sie möglich zu machen.“ Ein Kunde habe sich einmal eine Vertäfelung seiner Jacht gewünscht, deren Oberflächenstruktur der Haut des seltenen Perlmutt-Rochens nachempfunden sein sollte. „Es hat uns einiges an Zeit und Ideen gekostet, aber wir haben es geschafft“, sagt er.

Auch, wenn die Sonderwünsche der Jachtbesitzer lukrativ sind – der Markt wandelt sich. „Es sind mittlerweile immer stärker schnelle Lösungen gefragt, für die es viel Equipment und große Maschinen braucht“, sagt Rohpeter. Gleichzeitig wird es schwieriger, Fachkräfte zu bekommen. „Unsere Mitarbeiter sind unser wichtigstes Gut. Viele von ihnen sind seit über fünfzehn Jahren bei uns. Ohne dieses Know-how könnten wir im Markt nicht bestehen. “

Die Aufträge aus der Jacht-Branche machen nur einen Teil des Geschäfts aus. Für den Windenergie-Bereich etwa stellt Haindl Komponenten her, ebenso für den Flugzeugbau. Einen großen Anteil am Umsatz hat der Marineschiff-Markt. „In jedem deutschen U-Boot sind Teile von Haindl verbaut“, sagt Rohpeter. Er steht jetzt neben einem riesigen schwarzen Oval, das mehr als doppelt so hoch und um ein Vielfaches so lang ist wie er selbst. Eine gedämpfte Verkleidung für Sonargeräte, die durch die Kombination verschiedener Werkstoffe akustische Umgebungsgeräusche schluckt, alle wichtigen Signale aber durchlässt. Direkt davor liegen vom U-Boot abmontierte Außenteile, die nach 16 Jahren auf See nun wieder aufgearbeitet werden sollen. „Das Material ist noch vollkommen ohne Mängel“, sagt Rohpeter, der als Diplom-Ingenieur für Schiffbau und Meerestechnik auch Gutachten erstellt. Die Nachfrage für Recycling oder die nachhaltige Aufbereitung von Kunststoff-Komponenten ist in den vergangen Jahren gestiegen.

20-köpfiges Team

Diese besonderen Kunststoffe zu fertigen, denen selbst aggressives Meereswasser und hohe mechanische und Druckbelastungen nichts anhaben können – das ist eines der großen Pfunde, mit denen Haindl wuchern kann. Glas- und Carbonfasern, Schäume, Polyurethane. „Am Ende geht es darum, durch Hightech-Verfahren und eine spezielle Schichtung Stoffe zusammenzubringen, die eigentlich nicht miteinander funktionieren“, erklärt Rohpeter. „Viele unserer Werkstoffe sind in ihrer Zusammensetzung einzigartig.“

Deswegen ist Haindl für viele Auftraggeber aus der Industrie auch ein wichtiger Partner, wenn es um Forschung und Entwicklung geht: Regelmäßig wird das 20-köpfige Team des Unternehmens vor neue Herausforderungen gestellt, die es in Zusammenarbeit zu lösen gilt. Dabei hat Rohpeter keine Angst davor, auch einmal mehrere Wege parallel einzuschlagen – wenn es am Ende zum Ziel führt: „Innovation entsteht durch Ideen, Versuche aber eben auch durch Fehler“, ist der 47-Jährige überzeugt. Ins Ausland will Haindl mit seiner Produktion nicht gehen. „Alle unsere Produkte sind zu einhundert Prozent Made in Bremen“, betont der Geschäftsführer. „Das wird auch so bleiben.“

Ebenfalls in Bremen entstanden ist ein Herzensprojekt des leidenschaftlichen Seglers: eine Jolle, die in der Regel als Wettkampfboot gefahren wird, als Familienboot mit extra viel Raum zu konstruieren. Der Prototyp steht bereits auf dem Hof, noch in diesem Jahr will Rohpeter mit seiner Frau und seinen drei Kindern die erste Fahrt auf dem Wasser wagen. Seine Begeisterung fürs Segeln zeigt sich auch in seinem Büro: An den Wänden hängen viele Bilder von Segelbooten. Er selbst segelt seit seinem sechsten Lebensjahr – und kam da schon in Berührung mit dem Werkstoff, der heute sein Alltagsgeschäft ist. „Es ging immer darum, wie man möglichst schnell etwas reparieren kann, wenn etwas an dem Boot kaputtgegangen ist.“

Auch für die Zukunft des Unternehmens sind die Segel schon gesetzt: „Wir wollen weiter natürlich und bedacht wachsen – und uns auch noch mehr Richtung Ausland orientieren“, sagt Jens Rohpeter. Die Anfragen aus Ländern wie Indien, Indonesien und Griechenland wachsen, der Einsatz von Fachkräften vor Ort beim Kunden ist gefragt. Und wer weiß, vielleicht kommen bald sogar auch Angebote aus Amerika – dem Land, in dem Egon Haindl einst an Schwämmen für die Badewanne arbeitete. Und daraufhin ein Unternehmen gründete, das heute auf allen sieben Weltmeeren unterwegs ist.

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