Der Frühling ist da, die Temperaturen steigen und pandemiebedingt ist man gehalten, möglichst viel Zeit draußen zu verbringen. Da wo die gefürchteten Aerosole deutlich weniger Schaden anrichten. Der Osterdeich dürfte also in den nächsten Wochen wieder ein beliebter Ort vieler Bremer werden.
Entspannt am Hang sitzen, Schiffe und Leute gucken, Kaltgetränke schlürfen, so die Devise. Wobei – entspannt am Hang sitzen? Na ja. Viele „Deicher“ kennen die Probleme mit der dauerhaften Schräglage: Auch hier wirkt die Schwerkraft, das Sitzen wird zur Rutschpartie – wenn auch in Zeitlupe. Dazu kommen grüne Farbmuster auf den Gesäßtaschen und Rückenprobleme für die, die nicht mehr ganz so jung und gelenkig sind.
Die unpraktische Hanglage am Osterdeich war auch dem Bremer Christian Spilker schon vor bald zehn Jahren ein Dorn im Auge. Aus einer Alberei darüber mit Freunden während der Breminale entstand so die Idee für die Deichbremse, einen mobilen Hocker im Stecksystem für die bequeme Sitzposition in rückenschonender Haltung. Der simple Trick dabei: Die Stuhlbeine sind vorne ein Stückchen länger als hinten und verhindern so das Herunterrutschen. Spilkers Werbespruch für sein Produkt: „Ohne Zwang am Hang“.
„Es hat mich damals schon gewundert, dass vorher noch niemand auf diese Idee gekommen war“, erzählt Spilker in seiner Kellerwerkstatt in der Bremer Neustadt. Der 45-jährige, brauner Vollbart, Kapuzenpullover, ist im Hauptberuf selbstständiger Werbetechniker und ein echter Tüftler. Für die Deichbremse hat er damals eine ganze Weile herumprobiert, hat Bücher über Stuhldesign gelesen und ist mit Wasserwaage und Zollstock über den Osterdeich gezogen, um die verschiedenen Gefälle dort auszumessen.
„Irgendwann nachts kam mir dann plötzlich die Idee für die optimale Form“, erinnert sich der gebürtige Westfale, der seit 20 Jahren in Bremen lebt. Er baute einen Prototypen, den er 2013 auf der Breminale vorstellte. Anfangs waren die beiden Stuhlbeine noch in einem Stoffbeutel für den Transport verpackt, heute dient der Stoffsitz selber als praktischer Tragegurt.
Alles an der Deichbremse ist Handarbeit
Die Deichbremse ist aus hoch belastbarem Multiplexholz. Der Sitzbezug, den es in verschiedenen Design- und Farbvorlagen gibt, ist mit gut 120 Kilogramm Maximalbelastung auch für schwergewichtige Menschen geeignet. Auch einen Getränkehalter und einen Tisch zum Einhängen an den Hocker gibt es.
„Alles an der Deichbremse ist Handarbeit, jedes einzelne Holz wird gesägt, entgratet, geschliffen und lasiert“, erklärt Christian Spilker, dem auch die regionale bremische Herkunft seines Produktes wichtig ist. Der Stückpreis liegt bei 60 Euro. Bis zu zehn Exemplare baut er selber, bei größeren Bestellungen beauftragt er größere Tischlereien. Etwa 1000 Exemplare des Sitzmöbelstücks hat der Bremer seit 2013 verkauft. Neben der Breminale und dem Summer-Sounds-Festival vertreibt er den Hocker über einen Onlineshop.
Spilker ist klar, dass die Deichbremse ein Saison- und Nischenprodukt ist, das wohl nie in riesigen Stückzahlen hergestellt werden wird. „Man muss immer noch erklären, was es ist. Aber wenn die Leute sich drauf setzen, kommt der Aha-Effekt“, hat er beobachtet.
Die Zusammenarbeit mit großen lokalen Unternehmen zur breiteren Vermarktung des Spezialhockers hat er schon abgelehnt, da ihm die Bedingungen nicht passten und er sich für Imagekampagnen nicht verbiegen lassen wollte. Trotzdem ist er immer offen für interessierte Investoren.
„Handgemachte Produkte liegen ja im Trend“, ist Spilker überzeugt. Aktuell baut der Bremer Bastler Gewürzregale aus Palettenholz und poliert alte Möbelstücke wieder auf. „Solche Sachen laufen auch während Corona sehr gut“, sagt er. Für die Zukunft schwebt Spilker ein Dreiklang aus Werbetechnik, einer Art Manufakturbetrieb für Möbel und die Produktion der Deichbremse vor.
Die ist durchaus vielseitig einsetzbar. Früher hat sie Christian Spilker als Laptoptisch im Bett benutzt. Was in Zeiten drohender Ausgangsbeschränkungen ja auch wieder ganz praktisch sein könnte.
Grüner Schutzwall
Der Osterdeich ist nur nur ein beliebter Treffpunkt bei den Bremer. Seit 1850 schützt er auch die Östliche Vorstadt vor Weser-Hochwasser. Er verläuft von der Bremer Innenstadt bis nach Hastedt und heißt seit den 1950er-Jahren ab der Georg-Bitter-Straße Hastedter Osterdeich. Zwischen 1905 und 1935 war auch die Heimat des ersten botanischen Gartens in Bremen. 1937 wurde der nach Horn-Lehe verlegt und ist seitdem ein Teil des dort damals neugegründeten Rhododendron-Parks.