Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Neuer BLG-Chef Matthias Magnor "Mit der Autologistik stehen wir im Sturm"

Zum 1. Januar übernimmt Matthias Magnor die Führung bei Bremen größtem Logistikunternehmen, der BLG. Im Interview äußert er sich zur Krise der Automobilindustrie, maroden Kajen und der Stärke der Chinesen.
28.12.2024, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Christoph Barth

Herr Magnor, Sie gehen in der BLG-Zentrale bereits seit drei Jahren ein und aus – wenn Sie am 2. Januar das Haus betreten, sind Sie der Chef. Ändert das etwas an dem Gefühl, mit dem Sie hier durch die Tür kommen?

Ich werde denselben Eingang nehmen und wie jeden Morgen am Empfang freundlich grüßen. Ich habe es mal mit einem Sprung vom Zehnmeterbrett verglichen – man ist entschlossen, steht oben und muss springen. Es ist eine Mischung aus Vorfreude und Respekt vor der Aufgabe, die eine gesunde Anspannung erzeugt. Die Tatsache, dass ich bereits seit drei Jahren im Unternehmen bin und zwei der drei operativen Bereiche – die Kontraktlogistik und die Automobillogistik – geführt habe, macht die Situation recht komfortabel. Wir haben die Themen im Vorstand bisher gemeinsam in eine gute Richtung bewegt, und diese Linie wollen wir fortsetzen.

Die Autoindustrie, einer der größten Kunden der BLG, steht mitten in einem fundamentalen Wandel: Die deutschen Hersteller kriseln, die Chinesen drängen in den Markt, die E-Mobilität verändert die Produktionsprozesse. Wie wird sich all das auf das Geschäft der BLG auswirken?

Wir können uns von diesen Entwicklungen nicht abkoppeln. In der Kontraktlogistik, zu der beispielsweise die Autoteilelogistik gehört, machen wir ein Drittel unseres Geschäfts mit der Automobilindustrie. Dieser Bereich hat im abgelaufenen Jahr massive Rückgänge verzeichnet.

Man hört von 25 bis 30 Prozent.

An einigen Standorten sind es auch 40 Prozent. Wenn die Arbeit nicht da ist, wenn im Lager keine Teile zu verpacken und versenden sind, sind wir gefordert, die Mannschaften entsprechend anzupassen. In diesem Bereich stehen wir tatsächlich mitten im Sturm, der die Automobilindustrie erfasst hat.

Das heißt, Sie müssen Personal abbauen?

Wir müssen den Personalbestand anpassen. Das versuchen wir aufzufangen, indem wir in anderen Geschäftsfeldern wachsen. In der Kontraktlogistik sind wir bereits weniger abhängig von der Automobilindustrie, als das vor drei Jahren der Fall war. Wir wachsen zum Beispiel im Bereich Anlagenbau für die Energiewende.

Auch im Umschlag an der Kaje macht sich die Krise bemerkbar: Dieses Jahr wurden in Bremerhaven in den ersten drei Quartalen 16 Prozent weniger Autos umgeschlagen als im Vorjahr, das auch schon nicht so toll war.

Richtig, wir haben vor einigen Jahren fast doppelt so viele Fahrzeuge umgeschlagen. Bremerhaven ist unser größter und wichtigster Standort im Netzwerk, aber nicht der einzige: Wir haben im Geschäftsbereich Automobile auch eine Reihe von Inlandterminals – einen neuen Standort haben wir gerade in der Ahlhorner Heide eröffnet, an dem wir jetzt Personal brauchen.

Lässt sich der Umschlagrückgang mit dem Import chinesischer Fahrzeuge auffangen?

Chinesische Fahrzeuge machen im Moment keine fünf Prozent des Umschlags in Bremerhaven aus. Ich war vor einigen Monaten in China, unter anderem beim Hersteller BYD in Shenzhen. Die Patente der letzten Jahre hängen dort an einer Wand, neun Meter hoch, 60 Meter lang – das Ergebnis der Arbeit von 90.000 Ingenieuren im Bereich Forschung und Entwicklung. Das hat mich nachhaltig beeindruckt und bei mir das Gefühl hinterlassen: Der Schüler hat den Meister überholt.

Aus den fünf Prozent werden also mal zehn oder zwanzig?

Davon gehe ich aus.

In China selbst wollen Sie nicht aktiv werden – warum nicht?

Wir pflegen enge Verbindungen zu Kunden in China, Korea und Japan. Eigene Terminals haben wir dort nicht. Aber die Chinesen planen mittlerweile Werke in Europa. Da könnten wir ins Geschäft kommen. In der Vergangenheit haben wir uns stark auf die großen deutschen Hersteller konzentriert – das wird in Zukunft noch breiter und internationaler werden.

Werden irgendwann wieder mehr Autos in Bremerhaven umgeschlagen?

Wir sind dabei, unsere Flächen dort neu zu strukturieren und die Produktivität weiter zu verbessern. Während der Coronazeit und der Lieferkettenprobleme haben wir dort mehr Stellplätze verkauft, als wir eigentlich zur Verfügung hatten – die Autohersteller haben unseren Umschlagplatz als Parkplatz für ihre Produktion genutzt. Wenn man sechs Autos umparken muss, um eines zu bewegen und aufs Schiff zu fahren, leidet die Produktivität. Daran arbeiten wir intensiv und ich bin davon überzeugt, dass wir auf diese Weise wieder mehr Menge generieren werden.

Die Bundesregierung hat dieses Jahr eine Nationale Hafenstrategie verabschiedet, die aber zu verpuffen scheint. Der Bund sagt: Die Häfen sind Ländersache; die Länder sagen: Wir haben kein Geld. Verkommen die deutschen Häfen?

Die Art und Weise, wie mit der Hafeninfrastruktur in Deutschland umgegangen wird, ist skandalös. Die Investitionen, die hier getätigt werden, reichen bei Weitem nicht einmal aus, um den Status quo zu erhalten. Sehen Sie sich die Stromkaje in Bremerhaven an: Der südliche Teil wurde in den 1970er Jahren gebaut und ist abgängig – muss also dringend saniert oder erneuert werden. Dafür braucht es eine gemeinsame Kraftanstrengung vom Land Bremen, aber auch vom Bund. Der gegenwärtige Hafenlastenausgleich des Bundes – 38 Millionen Euro im Jahr für alle deutschen Seehäfen – ist lächerlich. Die Erneuerung der gesamten Stromkaje kostet allein etwa eine Milliarde Euro. Die wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass wir als Terminalbetreiber dort Containerbrücken aufstellen können, die die neueste Generation von Schiffen abfertigen kann – das können wir im Moment nicht.

Müsste eine neue Bundesregierung die Schuldenbremse lockern, um mehr Geld für Investitionen in die Infrastruktur und damit auch in die Häfen lockerzumachen?

Auf der einen Seite finde ich die Schuldenbremse richtig, weil sie alle diszipliniert, nicht mehr Geld auszugeben, als wir haben. Auf der anderen Seite sind wir jetzt in der Situation, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verlieren, wenn nicht mehr in die Infrastruktur investiert wird. Ich glaube, der Sachverständigenrat hat hier einen guten Vorschlag gemacht, nämlich in einem eng definierten Korridor Mittel freizugeben, um unsere Infrastruktur zu ertüchtigen. Leider kommen die Häfen in dem Konzept nur ganz am Rande vor.

Es gibt aber auch Berechnungen, wonach wir bei den Umschlagskapazitäten im Containerbereich in Europa Überkapazitäten haben, also eigentlich zu viele Häfen. Investieren wir die Milliarde für eine neue Stromkaje also an der richtigen Stelle?

Wir stehen im Wettbewerb mit den Westhäfen, also insbesondere Rotterdam und Antwerpen, wo sehr viel in die Häfen investiert wird. Man kann natürlich sagen: Wir leben in einem vereinten Europa – ist egal, über welchen Hafen der Handel läuft. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir als Volkswirtschaft einen eigenen Zugang zu den Weltmärkten brauchen – das ist für mich systemkritisch. Zuschütten und einen Beach-Club daraus machen, kann nicht in unserem Interesse sein. Wir müssen wettbewerbsfähiger werden, und das bedeutet Investitionen in Automatisierung und Digitalisierung.

In Wilhelmshaven wird das schon erprobt, wann ist Bremerhaven an der Reihe?

Das diskutieren wir im Moment. Einen Schiffsliegeplatz voll zu automatisieren, erfordert immerhin Investitionen von 500 Millionen Euro.

Reden wir da noch über die 2020er Jahre oder über die 30er?

Wir reden über die späten 2020er Jahre. Aber es wird ein schrittweiser Prozess, kein "Big Bang", mit dem alle Terminals auf einmal automatisiert werden.

Die Containerkonsortien sortieren sich gerade neu. Marktführer MSC tritt jetzt allein an und steigt beim Hamburger Hafenbetreiber HHLA ein, ihrem Wettbewerber. Welche Verschiebungen ergeben sich dadurch?

Grundsätzlich halte ich es für einen Fehler, kritische Infrastruktur aus der Hand zu geben. Die anderen Reedereien wie Maersk oder Hapag-Lloyd müssen ihre Container in Hamburg nun bei ihrem Wettbewerber abliefern. Die Verschiebungen, die sich dadurch ergeben, werden aber nicht zu unserem Nachteil sein. Wir selbst sind langfristig eng mit MSC verknüpft.

Das ist also eine Chance für die BLG und ihre Containertochter Eurogate?

Ich gehe fest davon aus, dass Bremerhaven und Wilhelmshaven von diesen Entwicklungen profitieren werden.

Das Gespräch führten Christoph Barth und Peter Hanuschke

Zur Person

Matthias Magnor

ist seit 2021 Vorstandsmitglied der BLG Logistics Group. Am 1. Januar übernimmt er den Vorstandsvorsitz. Zuvor war der gebürtige Osnabrücker in leitender Funktion beim Logistikunternehmen Hellmann und bei der LH Bundeswehr Bekleidungsgesellschaft tätig.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)