Herr Schäfer, was würden Sie mit acht Millionen Euro machen?
Bernd M. Schäfer: Ich würde wahrscheinlich unser Grundstück in der Türkei erweitern, wo wir Oliven und Wein anbauen und dort eine Weinproduktion aufbauen.
Sind acht Millionen Euro eine erhebliche Summe oder verziehen Sie da als Versicherungsmakler für Geld- und Werttransporte nicht mal das Gesicht?
Natürlich ist das schon erheblich, wenn man das auf die Schadenssumme herunterbricht. Loomis ist ja ein weltweit agierendes Unternehmen, deshalb ist es auch nicht in Deutschland versichert. Da läuft der internationale Versicherungsschutz über Lloyd‘s in London. Ein Schaden in dieser Höhe würde den deutschen Markt auch überfordern.
Wer versichert so etwas in Deutschland?
Es gibt im Wesentlichen nur einen Markt, nachdem in den letzten Jahren immer mehr Anbieter ausgestiegen sind. In der Firma Gaede & Glauerdt in Hamburg sitzt der erfahrenste Underwriter Deutschlands, der solche Risiken in Vollmacht für eine Reihe von Versicherungsgesellschaften zeichnet. Andere deutsche Anbieter spielen nur sehr punktuell eine Rolle.
Mehr gibt es nicht?
Nein, damit ist es ein knallhartes Oligopol: Die Versicherer diktieren die Spielregeln, geben die Sicherheitsstandards vor und diktieren auch die Preise. Es gibt praktisch keinen Wettbewerb. Man kann als Makler für kleinere und mittlere Unternehmen, die nur in Deutschland versichert werden können, keine richtige Konkurrenz aufbauen und nur im Rahmen des Möglichen mit den Versicherern ein Arrangement finden. Und das ist in so einem Oligopol schwierig.
Aber Sie sind ja nun Makler.
Als Makler hat man seine Daseinsberechtigung, weil man natürlich die Kunden im Tagesgeschäft berät, weil man die aktuellen Fragen löst und weil man Versicherungsbestätigungen ausstellt, die sehr wichtig sind im Bereich der Geldtransporte. Aber in anderen Bereichen ist das Geschäft eben anders. Im Bereich der Haftpflichtversicherung für Sicherheitsdienstleister sind wir Marktführer und arbeiten mit 14 Versicherungsgesellschaften zusammen. Da kann ich mir dann aussuchen, mit welcher Gesellschaft ich zusammenarbeite. Da kann ich die Konditionen im Hinblick auf Risiko und Deckungskonzept formulieren. Da sind wir mehr aktiver Spieler im Gegensatz zu Geld und Wert, weil es eben ein so kleiner Markt ist.
Und ab welcher Höhe platziert man das doch bei Lloyd‘s in London?
Man gestaltet das mit einer Grunddeckung, die das normale Risiko in Millionenhöhe abdeckt. Wer darüber hinaus eine höhere Deckung haben möchte, was im stationären Bereich in den Geldbearbeitungszentren durchaus sein kann, der muss einen sogenannten Exzedenten draufsetzen. Das kann durchaus in dreistellige Millionenbereiche hochgehen. Wenn man auf die Euroeinführung 2001 zurückschaut, wurden dort Milliarden bewegt. Die Versicherung des damals größten privaten Geldrisikos weltweit ging über meinen Tisch.
Wie muss man sich das vorstellen?
Ich war zum Beispiel damals mit meinen Mitarbeitern vor Ort und hatte für einen Moment in jedem Arm einen braunen Karton, in dem sich jeweils 20 Millionen Euro befanden. Und es gab viele Kartons.

Ein Beispielfoto der Geldtransportfirma Prosegur aus dem Archiv, einem Mitbewerber von Loomis, zeigt, wie in der Geldbearbeitung die Scheine in die Kassetten gepackt werden.
Wie fühlt sich das an?
Ich bin für so was nicht empfänglich, weil ich durch meinen Beruf ja auch in die Geldbearbeitungszentren gehe. Da sieht man dann schon mal Millionen. Wenn einen das aufregt, sollte man da nicht hingehen. Und wenn ich da auf die Tat in Bremen schaue: Den Stress, den die mutmaßliche Täterin sich da eingekauft hat, dass sie nie wieder nach Deutschland kann, da ist es für mich seltsam, dass die Menschen so an Geld hängen.
Wie sind Sie beruflich auf dieses Spezialfeld gestoßen?
Ich bin durch meinen Vater von klein auf mit dem Thema Kriminalität und Kriminalprävention groß geworden. In Brokdorf war ich übrigens auch dabei – aber mit meinem Vater aufseiten der Polizei. Bei uns zu Hause stand dann mal der Drogenvorführkoffer mit Heroin, Haschisch, LSD und anderen Drogen. Ebenso habe ich Bombendrohungen am Flughafen mitbekommen. Ich hatte mich dann beim Bundeskriminalamt beworben. Aus heutiger Sicht ist es gut, dass ich da nicht genommen wurde, weil ich in so einer hierarchischen Struktur wohl nicht glücklich geworden wäre.
Und dann?
Ich bin dann als Zeitsoldat zur Bundeswehr zu den Panzergrenadieren in Delmenhorst gegangen und bin Leutnant der Reserve. Danach habe ich in Bremen die Ausbildung zum Versicherungskaufmann mit Schwerpunkt im Transportbereich gemacht, weil ich nach meiner Tätigkeit als Panzergrenadier lieber einen Beruf haben wollte, bei dem ich wetterunabhängig bin. Danach ging ich nach Köln, um an der Fachhochschule Versicherungswesen zu studieren und bin seitdem dort geblieben. Im Studentenwohnheim lernte ich dann auch übrigens meine türkische Frau kennen.
Wie ging es mit Ihrer Arbeit weiter?
Nach dem Studium arbeitete ich schließlich für einen großen Makler. Dort kam ich dann in die Betreuung von Geld- und Werttransporten. Diesen Bereich wollte ich dort ausbauen, was das Unternehmen aber nicht wollte.
Sind Sie mehr im Büro oder mehr unterwegs?
Durch Corona bin ich mehr im Büro oder im Homeoffice, aber vorher war ich pro Woche zwei bis drei Tage unterwegs.
Was prägt Sie in Ihrem Beruf vom Elternhaus her?
Das ist wohl das Gerechtigkeitsempfinden. Wenn man es so sagen will, komme ich aus einem einfachen Polizistenhaushalt. Wir waren mit Sicherheit nicht reich, Geld hat mich nicht sehr interessiert. Das ist Baumwolle und Metall – mehr ist das nicht. Wenn sich an der Stelle also jemand davon blenden lässt, dann ist das falsch. Dagegen war ich von früh an schon wie geimpft.
Das klingt nachvollziehbar.
Meine Eltern waren total ehrliche Leute und fingen mit nichts an – meine Mutter als geflüchtete Sudetendeutsche und mein Vater, der zum Ende des Zweiten Weltkriegs 19 Jahre alt war und aus dem Krieg kam. Sie waren immer ehrlich und sparsam. So wurde ich also groß und passe in diesen Versicherungsbereich vielleicht auch ganz gut rein. Und so führe ich auch mein eigenes Unternehmen, mit den Tugenden eines hanseatischen Kaufmanns.
Zurück zu den acht Millionen in Bremen: Da scheint es eine Schwachstelle gegeben zu haben.
Eigentlich ist alles heutzutage mehrfach überwacht. Wenn da aber eine Person ist, die von innen weiß, wie es geht, dann kann sie so einen gezielten Zugriff machen. Sie sucht sich Ort und Zeit aus, trifft die entsprechenden Vorbereitungen und schlägt dann zu. Dennoch fällt es mir schwer, mir vorzustellen, wie das geht, weil ich ja nun auch viele Geldbearbeitungszentren kenne.

Der Bremer Loomis-Standort im Gewerbegebiet Bayernstraße. Hier hat die mutmaßliche Täterin beim Geldsortieren acht Millionen Euro beiseite geschafft und sich wahrscheinlich in die Türkei abgesetzt. Der Angeklagten bei dem am Dienstag startenden Prozess wird Beihilfe zu der Tat vorgeworfen. Es drohen hier bis zu siebeneinhalb Jahre Haft.
Wieso?
Wenn Sie zum Beispiel eine Tür öffnen, stehen Sie vor der nächsten verschlossenen Tür. Es ist außerdem schwer, sich vorzustellen, dass das jemand allein gemacht haben soll. Bisher ist auch kein Fall bekannt, bei dem eine Frau allein eine solche Tat begangen hat. Allerdings ist der Anteil an Frauen in der Geldbearbeitung sehr hoch.
Wäre es heutzutage noch möglich, wie damals im Bremer Fall von Hermann Kieselhorst, dass er zehn Jahre unerkannt in der EU leben könnte? Er wohnte in den Niederlanden auf einem Boot und nutzte für die Einreise das Rad. Er trug ein Toupet, und ihm wurde ein Allerweltsgesicht nachgesagt.
Das wäre heute vielleicht auch noch möglich, aber anstrengend. Dann müsste diese Person aufs Smartphone verzichten und sich aus jeglichen sozialen Medien raushalten. Denn gerade da ist die Gesichtserkennung sehr gut. Wenn ich da auch nur einen Fuß in den Consumerbereich mache, glaube ich nicht, dass das geht.
Sie sagten, dass Sie Marktführer sind bei der Versicherung von Sicherheitsdienstleistungen. Wie sieht es da aus?
Grundsätzlich gibt es hier drei Dinge, die immer mal wieder passieren: Da wäre der Telefonmissbrauch, dass ein Sicherheitsmitarbeiter auf Kosten der zu bewachenden Firma telefoniert, dann ist da der Bereich des Abhandenkommens von bewachten Sachen, also Diebstahl von Gütern des Auftraggebers, und als letztes gibt es Brandstiftung. Bei Letzterer hatten wir den bisher größten Schaden in einer Höhe von 2,3 Millionen Euro, den wir regulieren konnten.
Und wieso Brandstiftung?
Da ging es um jemanden, der bei der Freiwilligen Feuerwehr war, und zeigen wollte, was er für ein Held ist, wenn er hinterher das Feuer löscht. Wenn es dann ein Mitarbeiter eines Sicherheitsunternehmens ist, haftet das Unternehmen für einen solchen Schaden. Aber nur der kleinere Teil der Sicherheitsunternehmen ist dagegen versichert. Das ist natürlich hochproblematisch, weil für die Firma dahinter die sofortige Insolvenz steht.
Weiß das die Branche?
Zusammen mit dem Bundesverband BDSW, der 80 Prozent des Branchenumsatzes vertritt, habe ich den Mindeststandard an Versicherungsschutz in den Verband gebracht. Das war 2008. Dieser Standard blieb da irgendwie stecken, kam dann aber 2015 zum Zuge, als durch den Flüchtlingsstrom auch die Bewachung von Flüchtlingsheimen ein Thema wurde. Da war man dann froh, dass man da auf einen Standard zurückgreifen konnte. Den Kommunen wurde dann unter Rückgriff auf den Mindeststandard dargelegt, welcher Versicherungsschutz der Standard bei den beauftragten Unternehmen sein sollte, damit die Kommunen geschützt sind. Die neue DIN für Wach- und Sicherheitsunternehmen (DIN 77200-1), die ab November 2017 gilt, war der nächste Schritt bei der Anhebung der Qualität der Dienstleistung. Und nun kommt das neue Sicherheitsdienstleistungsgesetz.
Worum geht es da?
Im Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass eine neue rechtliche Grundlage für die Sicherheitswirtschaft bestimmt wird. Das wird in der nun kommenden Legislaturperiode kommen. Die Sicherheitswirtschaft wird damit vom Wirtschaftsministerium endlich dem Innenministerium zugeordnet, was ihre Bedeutung als Teil der Sicherheitsarchitektur unterstreicht. Damit verbunden ist die Definition von zeitgemäßen Zugangskriterien für die Marktteilnehmer, die nicht mehr über das Gewerberecht, sondern eben über das neue und spezielle Sicherheitsdienstleistungsgesetz geregelt werden. Und der gesetzlich vorgegebene Versicherungsschutz der Pflichtversicherung wird endlich von dem Niveau von Anfang der sechziger Jahre auf einen neuen, zeitgemäßen und deutlich höheren Standard angehoben.
Wie viele Überfälle auf Geldtransporte gibt es jedes Jahr?
Es gibt da immer eine hohe und eine niedrige Zahl: Bei Überfällen auf sogenannte sondergeschützte Fahrzeuge hatten wir in den letzten Jahren eine Zahl, die pro Jahr niemals zweistellig war. Wenn es dann eine hohe Zahl gibt, handelt es sich um Angriffe auf Geldboten. Da fällt zum Beispiel der Mitarbeiter mit rein, der für seine Firma das Geld in den Nachttresor bringt.

Das Foto vom Januar 2021 zeigt, wie nach einem Überfall auf einen Prosegur-Geldtransporter im Frankfurter Stadtteil Bergen die Beschäftigten die Fracht auf ein anderes Fahrzeug umladen.
Aber die Aufklärungsraten scheinen hoch zu sein, oder?
Die Aufklärungsrate ist praktisch bei 100 Prozent, nur das Geld ist meistens weg.
Also unschön für die Versicherung.
Genau. Gute Ermittlungen der Polizei machen den Schaden für die Versicherung nicht ungeschehen.
Welche Auswirkungen können Sie aufgrund der Minuszinsen beobachten?
Wir nehmen einen Ausbau von Schließfachanlagen in den Räumlichkeiten von Sicherheitsunternehmen wahr. Statt Strafzinsen zu bezahlen, legen Privatpersonen ihr Bargeld lieber in verschwiegene Schließfächer. Ebenso boomt der Absatz von Tresoren. Die Hersteller kommen kaum hinterher.
Also ein weiteres Geschäftsfeld für Sie?
So ist es. Beim Thema der Versicherung von Sicherheit wird es also nicht langweilig. Und ansonsten gab es bisher kein Szenario, was wir nicht schon mal hatten. Und wenn wir einen bestimmten Fall „neu“ lernen, dann gilt ja die daraus gewonnene Erkenntnis sofort für alle Kunden. Die müssen wir dann aber sofort in alle bestehenden Verträge mit implementieren. So können wir als Makler guten Gewissens sagen, dass wir in unserem Spezialgebiet mehr Ahnung haben als die Versicherer. Wir haben auch schon mehr als eine Schadenabteilung eines Versicherers in der Bearbeitung von Haftpflichtschäden bei Sicherheitsdienstleistungen geschult.
Haben Sie testhalber schon mal einen Raub auf einen Geldtransporter inszeniert?
Bloß nicht. Aber natürlich gehen wir durch und schauen uns die Standorte an, bei denen wir auch einige Dinge feststellen.
Sollte sich nach einem Überfall doch Geld wiederfinden, geht das an die Versicherung?
Ja, an die Versicherung und danach wird der Selbstbehalt damit aufgefüllt.
Arbeiten die Versicherungsunternehmen bei größeren Summen auch mit Privatdetektiven zusammen?
Es gibt durchaus einige Ermittlungsagenturen, die sich die Daten der Gefängnisentlassung von verurteilten Tätern auf Wiedervorlage legen. Es gibt davon nicht so viele Ermittler, und das ist auch ein sehr verschwiegenes Gewerbe.
Welche Versicherung kostet mehr: Geldtransporte oder die gegen Entführung?
Klar Geldtransporte, denn sich selbst gegen Entführung zu versichern, ist ein überschaubarer Rahmen. Große Unternehmen machen dies zum Beispiel für Mitarbeiter, die zeitweise im Ausland arbeiten.
Ist bei Versicherungen gegen Entführung die Nachfrage gleichbleibend hoch?
Ich würde das eher weiter auf das Thema Erpressung fassen. Und angesichts der Cyberkriminalität ist die Nachfrage für Versicherungsdeckungen gegen Erpressung wegen Cyber-Crime hoch. Das wird auch weiter zunehmen.
Was ist bei Ihnen am Ende des Tages in Ihrem Beruf mehr gefragt: das Versicherungswissen oder das kriminalistische Verständnis?
Ich würde es als juristisches Verständnis bezeichnen, weil wir die Haftungsthemen unserer Kunden regeln müssen. Das kriminalistische Verständnis spielt da eine nicht so große Rolle. Wir reflektieren natürlich auch immer die Kriminalität und mögliche Angriffe, aber wir haben ja auch mit ganz anderen Sachen zu tun. Das ist natürlich Thema bei Raub und Überfällen, aber wir haben ja zum Beispiel auch mit Schäden durch Hochwasser zu tun.
Und was macht Ihren Beruf so spannend?
Es ist die Abwechslung. Wir beschäftigen uns mit allen Versicherungsthemen von Sicherheitsdienstleistern, die es in Deutschland gibt. Aktuell ist es zum Beispiel der Einsatz von Drohnen zur Absicherung von Objekten oder Veranstaltungen. Wir haben aber auch Unternehmen, die Kernkraftwerke bewachen oder an Flughäfen im Bereich Personen- oder Frachtkontrollen tätig sind. Es wird also nicht langweilig.