Christian Freese hat noch nicht einmal Platz genommen, da fragt er schon: „Ist es okay, wenn ich die Krawatte abnehme?“ Sicher, das liegt an den sommerlichen Temperaturen. Aber auch daran, dass Freese eher der Typ Krawatten-Abnehmer ist: locker und unkompliziert.
Dabei arbeitet Freese doch in einer Traditionsfirma. In vierter Generation führt er die Freese AG. Die Firma aus Bremen-Gröpelingen ist auf Fußboden-Beläge für Schiffsdecks spezialisiert. Egal, ob Schiffe in Südamerika oder im Pazifik: Viele haben ein langlebiges Stück Freese an Bord.
Der Betrieb gehört in seiner Nische zu den Weltmarktführern und das liegt auch daran, wie Freese ihn führt. Am Mittwochabend ist er in Bremen zum Unternehmer des Jahres 2015 gewählt worden. Jedes Jahr vergeben die Sparkasse Bremen sowie die Vereine Die Familienunternehmer (ASU) und Die jungen Unternehmer (BJU) diese Auszeichnung an herausragende Unternehmer. „Mit Christian Freese ehren wir eine Bremer Persönlichkeit, die es in besonderer Weise versteht, ein traditionsreiches Unternehmen erfolgreich in die Zukunft zu führen“, sagt Jury-Mitglied Franca Reitzenstein. Dass er einmal ausgezeichnet würde, hätte er sich nicht träumen lassen, sagt Freese. „Ich bin sehr stolz auf diesen Preis.“
Was nach einer geraden Karriere aussieht, brauchte Zeit
Die Firma in Familienhand ist bereits mehr als 100 Jahre alt: 1910 hatte Cassen Behrends Freese das Unternehmen gegründet. Er bot Kesselreinigungen für Schiffe an. „Das war eine unglaublich schmutzige Angelegenheit“, sagt Freese. Nach dem Krieg stellte die Firma dann Rostschutz für Schiffe her. Nebenbei spezialisierte sich Freese auf Fußböden für Schiffsdecks. Solche Beläge müssten innen schallisoliert, außen rutschfest und leicht sein, erklärt Freese und hält nacheinander zwei Kübel mit einer festgewordenen Masse hoch. Der erste Kübel ist so schwer, dass er beide Hände braucht. Das sei das Material der Konkurrenz. Das zweite Gefäß – gefüllt mit einem Freese-Produkt – ist leicht. Hochheben mit zwei Fingern ist kein Problem. Anschaulich verkaufen, kann der 47-Jährige also auch.
Was nach einer geraden Karriere aussieht, brauchte Zeit. Zwar führte ihn der Vater schon früh ein: Schon als Junge begleitete er den Senior am Wochenende in die Firma. „Da durfte ich dann auch mal im Lkw mitfahren.“ Aber gleich nach der Schule in den Betrieb? Das kam für ihn nicht infrage. Klar habe sein Vater den Wunsch geäußert, er möge irgendwann die Firma übernehmen. „Das ist völlig normal, den Wunsch habe ich bei meinen Kindern auch“, sagt Freese, der eine Tochter und einen Sohn hat. Sein Vater habe ihm geraten „eine gute Ausbildung“ zu absolvieren. Also zog Freese junior in die Welt, reiste viel und wurde Unternehmensberater bei der Firma Andersen Consulting (heute: Accenture). Doch das viele Reisen missfiel ihm auf Dauer: „Irgendwann ist das Hotelleben doof.“ Ende der 1990er gründete Freese schließlich eine Familie. Zeit, sesshaft zu werden. 2004 kehrte er ins elterliche Unternehmen und nach Bremen zurück.
Teamarbeit ist ihm wichtig geblieben
Sein Wunsch damals: Wenn er ins Unternehmen eintritt, dürfe der Vater nicht mehr mitreden. „Von Anfang an war mir klar: Zusammen wird das nichts. Unsere Führungsstile sind einfach zu unterschiedlich.“ Eine schwierige Forderung: Sein Vater sei schlichtweg das Unternehmen, kurz: der Patriarch, gewesen. „Alle Entscheidungen gingen über seinen Schreibtisch.“ Der Sohn hingegen wollte seine Mitarbeiter mitentscheiden lassen. Freese junior kann sich durchsetzen, der Vater überträgt ihm die Verantwortung – und hält sich seitdem zurück. „Diese Nachfolgeregelung hat uns beeindruckt“, sagt Jurymitglied Franca Reitzenstein.
Teamarbeit ist dem Junior wichtig geblieben. Der Betrieb beschäftigt etwa 300 Angestellte, vorrangig Männer und 21 Lehrlinge. Er habe den Anspruch, dass die Beschäftigten möglichst eigenverantwortlich handeln. Seine wichtigsten Werte beim Führen: Ehrlichkeit und Vertrauen.
Damit fährt er gut. 2014 hat Freese gut 70 Millionen Euro umgesetzt; die Erlöse seien über die Jahre gestiegen, sagt er. Doch der Mittelständler hat auch unter der Schifffahrtskrise gelitten: „Wir mussten in der Vergangenheit viel Lehrgeld bezahlen und sind auch schon geschrumpft.“ Denn der Schiffbau wanderte zuletzt immer mehr ins Ausland ab, nach China und nach Korea. Das Unternehmen musste zusätzliche Geschäfte suchen. Tatsächlich entwickelten Freeses ein neues lukratives Standbein: Terrazzoboden für Gebäude. Ein Fußboden, der sich individuell gestalten und ohne Fugen verlegen lässt. Die Auftraggeber sind prominent: So war Freese am Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg ebenso beteiligt wie am Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt.
Was hat der Unternehmer als nächstes vor? Wer soll die Firma später führen? Noch sei unklar, welche Wege die 18-jährige Tochter und der 15-jährige Sohn einschlagen werden. Nach dem Vorbild seines Vaters möchte Freese seine Kinder ziehen lassen. Doch auch er wünscht sich eine Rückkehr und sagt das offen: „Ich erzähle zu Hause immer nur Gutes von der Firma.“